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Corona: Impfzentren schließen - brauchen wir sie nicht mehr?

So sah es früher vor dem Kaufbeurer Impfzentrum aus: Die Menschen standen in Eiseskälte Schlange, um geimpft zu werden. Jetzt ist deutlich weniger los.
Corona-Pandemie

Die Impfzentren schließen: Brauchen wir sie wirklich nicht mehr?

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    Der Kleber ist zäh. Aber irgendwie passt das. Denn zäh waren die vergangenen zweieinhalb Corona-Jahre schließlich auch. Und so vehement, wie sich das Virus wehrt, wieder zu verschwinden, will auch der Klebestreifen einfach nicht abgehen. Da ist Geduld gefragt – mal wieder.

    Die gelb-schwarzen Markierungen auf dem nüchternen Fliesenboden des Kaufbeurer Impfzentrums, denen eine Mitarbeiterin im blauen T-Shirt an diesem sonnigen Oktobervormittag mit einem Spachtel und einem Industrieföhn zu Leibe rückt, zeigten bislang an, wo die Stühle zu stehen haben, im richtigen Abstand zueinander. Die berühmten anderthalb Meter eben. Jetzt werden die Streifen vom Boden gekratzt. Wenn man so will, dann ist das der Beginn vom Ende. Nach den Markierungen werden die Kabinen mit den gelben Vorhängen verschwinden. Die Desinfektionsspender. Die Tische, Stühle, Trennwände. Alles eben. Zusammen mit den Menschen. Den Ärztinnen, Sicherheitskräften, Helfern. Und natürlich denen, die sich impfen lassen. Denn zum Jahresende werden in Bayern sämtliche Impfzentren geschlossen.

    Bald wird das Kaufbeurer Impfzentrum geschlossen. Eine Mitarbeiterin entfernt bereits jetzt Markierungen vom Boden.
    Bald wird das Kaufbeurer Impfzentrum geschlossen. Eine Mitarbeiterin entfernt bereits jetzt Markierungen vom Boden. Foto: Mathias Wild

    Rund 14 Millionen Corona-Impfungen wurden in den Impfzentren verabreicht

    Seit Ende 2020 sind in den zuletzt 80 Impfzentren im Freistaat rund 14 Millionen Corona-Impfungen verabreicht worden. Mehr als eine Milliarde Euro floss in die Einrichtungen – die Hälfte davon kam vom Bund. Gut investiertes Geld, findet Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Und trotzdem: nur noch rund acht Wochen. Dann ist Schluss.

    Ab Januar sollen weitere Spritzen dann in Arztpraxen und Apotheken verabreicht werden. Die großen, dereinst flink aus dem Boden gestampften Impfzentren brauche man nicht mehr, heißt es von der Staatsregierung. Schließlich sei die Nachfrage deutlich abgeebbt. „Das Impfen geht in die Regelversorgung über“, erklärt Holetschek. Ein neuer Impf-Ansturm sei nicht zu erwarten. Angesichts der aktuell hohen Infektionszahlen fragt man sich aber schon: Ist es richtig, die Zentren zuzusperren?

    Dr. Gregor Blumtritt sitzt mit zwei Kollegen in der Kaffeeküche des Impfzentrums. In der Ecke ein Waschbecken. Mikrowelle. Spinde. Gekachelte Wand. Auf dem Tisch, um den sich Holzstühle mit beige-grün gestreiftem Bezug gruppieren, stehen Gummibärchen und Lebkuchen und ein paar Flaschen Apfelschorle. Blumtritt, der ärztliche Leiter der Impfzentren in Kaufbeuren und Marktoberdorf, faltet die Hände vor sich auf der Tischplatte. Dann beginnt er zu erzählen. Vom ersten Impfwinter. Und den vielen, mühsamen Monaten, die folgen sollten. „Es war unglaublich viel Arbeit“, sagt Blumtritt. „Zu Beginn hatten wir an sieben Tagen die Woche geöffnet. Die Menschen standen Schlange bis auf die Straße.“ Zwischendurch eine Pause? Schwierig.

    Die Telefone im Impfzentrum liefen heißen, draußen protestierten die Impfgegner

    Im Januar 2021 wurden in den beiden Allgäuer Impfzentren 6200 Menschen geimpft. Und die Zahlen, die Blumtritts Kollege Alexander Denzel, der Verwaltungsleiter, parat hat, zogen immer mehr an. Allein im Juni wurden über 23.000 Spritzen verabreicht. „Da war wirklich was los“, sagt Blumtritt. Rund 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren im Einsatz, bis dann im September 2021 wegen der nachlassenden Nachfrage das Personal reduziert wurde. „Auf Wunsch des Ministeriums“, sagt Blumtritt und zieht eine Augenbraue nach oben. Denn kurz darauf gab es eine neue Corona- Welle – und einen neuen Ansturm auf die Impfzentren. „Also haben wir das Personal, das wir eben erst ausgestellt hatten, wieder eingestellt.“

    Dr. Gregor Blumtritt (links) und sein Kollege Alexander Denzel.
    Dr. Gregor Blumtritt (links) und sein Kollege Alexander Denzel. Foto: Mathias Wild

    Ein Konzept, wie man ein Impfzentrum betreibt, habe es nicht gegeben – dafür alle paar Tage neue Aufklärungsbögen für die Patientinnen und Patienten. Und dann war da noch die Sache mit AstraZeneca. Nach einigen bekanntgewordenen schweren Nebenwirkungen wollte niemand mehr den Impfstoff haben, die Verunsicherung war groß, die Telefone im Impfzentrum liefen heiß, draußen auf der Straße protestierten die Impfgegner.

    Wenn Blumtritt von diesen turbulenten Anfangszeiten spricht, muss er hin und wieder lächeln. Vielleicht, weil er stolz ist, dass irgendwie doch alles geklappt hat. Vielleicht aber auch deshalb, weil das Fahrwasser mittlerweile um einiges ruhiger ist. In diesem Sommer wurden in den Impfzentren Kaufbeuren und Marktoberdorf pro Monat gerade einmal 800 bis 1000 Impfungen durchgeführt. Im Oktober sind es bisher rund 1800 – ein bisschen ist die Nachfrage wieder gestiegen, seit es die neuen, an die Omikron-Variante angepassten Vakzine gibt.

    Die Zahl der Corona-Impfungen hat deutlich nachgelassen

    So sieht es im ganzen Land aus. Die Zahl der Impfungen hat merklich nachgelassen. Das wird aus der vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Zahlenreihe deutlich, die seit Beginn der Impfungen festhält, wie viele Spritzen pro Tag verabreicht werden – in Impfzentren, aber auch in Praxen oder Apotheken. Am 9. Juni 2021 etwa gab es in Deutschland unglaubliche 1,5 Millionen Impfungen. Zuletzt, am 31. Oktober, waren es gerade noch rund 27.000. An manchen Tagen im August und September wurden pro Tag nicht mal mehr 2000 Spritzen gemeldet. Ein winziger Bruchteil des einstigen Massenaufkommens.

    Ob die Zahlen in den kommenden Wochen wohl wieder anziehen? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat schließlich eben erst allen Über-60-Jährigen ein Schreiben schicken lassen mit der Bitte, sich gegen Corona impfen zu lassen. Pikantes Detail, das sogleich Kritiker auf den Plan rief: Die Impfkampagne war ziemlich teuer. Kostenpunkt: etwa 50 Millionen Euro.

    Blumtritt trinkt seinen Kaffee aus, setzt seine Maske wieder auf. Von der Kaffeeküche bis zum Anmeldebereich für die Impfungen sind es nur ein paar Schritte über beigefarbenen Fußboden. „Wer jetzt hierherkommt, der lässt sich meist den zweiten Booster geben“, sagt der Mediziner. „Wer sollte sich denn jetzt noch die erste Impfung abholen? Entweder ist man schon längst geimpft oder man steht der ganzen Sache so skeptisch gegenüber, dass man es ganz sein lässt.“

    Künftig wird in den Hausarztpraxen gegen Corona geimpft

    Mittlerweile ist es Mittag geworden. Keiner der Stühle, die hinter den Impfkabinen aufgestellt sind, ist besetzt. In Hochzeiten war hier alles voll mit Menschen, die nach der Spritze noch eine Viertelstunde zur Beobachtung blieben.

    Dann wird plötzlich ein Vorhang beiseitegeschoben, eine dunkelhaarige Frau mit buntem Schal tritt aus einem der abgetrennten Abteile und setzt sich auf einen der Stühle. Eben wurde sie zum vierten Mal geimpft. Dass die Impfzentren zum Jahresende schließen, sei bedauerlich, meint sie. „Ich finde das sehr schade. Es war alles so gut organisiert“, sagt sie. „Und leider muss man ja damit rechnen, dass die Infektionszahlen in den kommenden Wochen wieder steigen. Ob das dann die Hausarztpraxen schaffen?“

    Blumtritt, selbst Hausarzt, sagt: Ja. Es sei völlig richtig, die Impfzentren zu schließen. Deren Zeiten seien vorbei. Am Anfang, als Termine und Impfstoff rar waren und die Nachfrage zugleich immens hoch, als Menschen in Priorisierungsgruppen eingeteilt wurden und man in diesem Chaos, das das ganze Land erfasst hatte, froh über geregelte Strukturen war, da hätten die Impfzentren ihren Zweck erfüllt. Jetzt nicht mehr, sagt Blumtritt und schaut sich in der großen, nüchternen Halle um. Leere.

    Bayerischer Hausärzteverband: Impfzentren sind teuer und entbehrlich

    Der Bayerische Hausärzteverband ist übrigens der gleichen Meinung. Dessen Fazit: Die Impfzentren seien teuer und entbehrlich. Bereits Ende September, also noch bevor klar war, dass die Einrichtungen geschlossen würden, forderten der Bayerische Hausärzteverband und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Bayern den Stopp der staatlichen Finanzierung der Impfzentren. „Diese mit Steuergeldern subventionierte Parallelstruktur muss aufgelöst werden. Die Impfzentren sind nicht nur teuer sowie aktuell und auf absehbare Zeit nutzlos, sondern ein Angriff auf die etablierte medizinische Versorgung in Stadt und Land“, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. Und: Es sei nun wirklich an der Zeit, die Einrichtungen zu schließen. Und so kommt es nun ja auch.

    "Diese mit Steuergeldern subventionierte Parallelstruktur muss aufgelöst werden."Erklärung des Bayerischen Hausärzteverbands und des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Bayern

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    Früher – vor Corona und bevor die Menschen wussten, was eine mRNA-Impfung oder eine Sieben-Tage-Inzidenz ist – war in dem Gebäude, wo das Kaufbeurer Impfzentrum untergebracht ist, ein Supermarkt. Am Eingang befand sich das Obst-regal – jetzt steht dort, unter grellen Neonröhren, ein Desinfektionsspender. Eine ältere Dame drückt den Hebel nach unten und verreibt sich die farblose Lösung zwischen den Händen. Dann blickt sie nach vorne, ihr Blick schweift den leeren Gang mit dem beigen Fußboden entlang. „Gar nix mehr los“, sagt sie – fast ein wenig überrascht – und geht hinüber zur Anmeldung. Warten muss sie nicht. Sie kann gleich zur Impfung in die Kabine. Eine von zweien. Früher waren es einmal fünf.

    Knappe acht Wochen also noch. Aber bereits jetzt fühlt sich alles ein bisschen nach Ende an. Nach Zusammenpacken. Aufräumen. Klar-Schiff-Machen. Dazu gehört auch, die Klebestreifen vom Fußboden zu kratzen. Die Markierungen, die zeigen, wo die Stühle, auf denen jetzt meist niemand mehr sitzt, zu stehen haben. Die Mitarbeiterin des Impfzentrums müht sich immer noch. Das Zeug ist zäh. Irgendwie passt das. Zu den vergangenen zweieinhalb Jahren. Und zu einem Virus, das nicht mehr verschwinden will.

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