Zum Ausbruch der Covid-19-Pandemie konnte es gar nicht schnell genug gehen. Zunächst mussten Masken her, später dann Impfstoffe, Geld spielte keine Rolle. Millionen Schutzmasken sind seither vernichtet worden, weil viel zu viele davon bestellt wurden und das Haltbarkeitsdatum ablief. Eine ähnliche Entwicklung droht jetzt bei den Impfstoffen. Die finanziellen Dimensionen sind ungleich größer.
Mit Stand 6. April belief sich der von Regierungsseite eingekaufte Vorrat in den Lagern bundesweit auf rund 120,8 Millionen Covid-19-Impfstoffdosen. Die Preise variieren je nach Hersteller, aus letzten verfügbaren Zahlen lässt sich ein Durchschnittspreis von 22 Euro pro Impfdosis errechnen, das macht etwa einen Wert von 2,66 Milliarden Euro aus. Außerdem ist der Bund über EU-Verträge verpflichtet, weitere 110,6 Millionen Impfstoffdosen für rund 2,5 Milliarden Euro abzunehmen. Zusätzlich befinden sich noch etwa 32 Millionen Impfdosen in Praxen, Impfzentren und Apotheken. Billig ist die Lagerung nicht, allein aufgrund der hohen Energiepreise: Denn die meisten Impfstoffe müssen gekühlt werden.
Lauterbach will mehr Corona-Impfstoff an arme Länder geben
Das Überangebot wird weiter zunehmen, weil der Bedarf an Impfungen stark zurückgegangen ist. Zuletzt wurden laut Gesundheitsministerium weniger als 1.000 Impfdosen pro Tag verabreicht. Zum Vergleich: Die bisher meisten Impfungen gab es am 15. Dezember 2021 mit insgesamt 1,6 Millionen. Die ersten gelagerten Ampullen müssen bald vernichtet werden. Sie weisen "nach derzeitigem Zulassungsstand eine unterschiedliche Haltbarkeit von April 2023 bis Februar 2024 auf", wie das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage weiter erklärte.
Die Regierung spendet zwar Impfstoff an andere Länder. Seit Pandemiebeginn wurden 120,3 Millionen Impfdosen unentgeltlich abgegeben und ausgeliefert. "Die Bundesregierung engagiert sich zudem multilateral und bilateral dafür, die Kapazitäten zur Verimpfung von Covid-19-Impfstoffdosen in den Empfängerländern zu steigern", wie ein Sprecher des von Karl Lauterbach (SPD) geführten Gesundheitsministeriums weiter erklärte. Dennoch werden wohl noch viele Glasampullen in die Entsorgung wandern: Wurden 2021 nach offiziellen Angaben 3.810 Impfdosen entsorgt, waren es im Jahr darauf rund sieben Millionen. In diesem Jahr wanderten bereits 29,7 Millionen Impfdosen in den Müll (Stand: Ende Januar).
"Kaufrausch": Union kritisiert Karl Lauterbach für Impfstoff-Beschaffung
"Der Kaufrausch von Minister Lauterbach rächt sich", sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge unserer Redaktion. Die Union habe bereits vor mehr als einem Jahr davor gewarnt, dass viel zu viel Impfstoff beschafft werde. Die Ampel-Regierung beteuere zwar seit Monaten, sie wolle sich um eine Flexibilisierung der EU-Verträge bemühen, damit nicht immer noch mehr frischer Impfstoff nach Deutschland geliefert wird. Geschehen sei aber bislang nichts. "Die Kosten für den Steuerzahler sind erheblich und gehen in die Milliarden", kritisierte Sorge. Es sei "nicht mehr von der Hand zu weisen, dass sich die Bundesregierung bei ihren Impfstoffbestellungen massiv verschätzt hat."
Für die Lagerung gilt die Faustregel: 50 Cent pro Packung pro Monat. Unklar ist, wie die Entsorgung vonstattengeht, was sie kostet und wer es bezahlt. "Hinsichtlich des Umgangs mit bereits verfallenen und zukünftig verfallenden Impfdosen befinden wir uns seit geraumer Zeit in Gesprächen mit dem Bundesministerium für Gesundheit", sagte Thomas Porstner, Co-Geschäftsführer des Bundesverbandes des pharmazeutischen Großhandels (Phargo), unserer Redaktion. Die Regierung erwidert: "Mit der Annahme des Impfstoffs durch den überregional agierenden pharmazeutischen Großhandel obliegt diesem beziehungsweise im Anschluss den Apotheken sowie Ärztinnen und Ärzten und dem öffentlichen Gesundheitsdienst … die sachgemäße Handhabung und Distribution, um einem übermäßigen Verfall vorzubeugen."
Die Kosten pro Impfdosis haben sich vervielfacht
Die Rechnung dürfte mit jeder überflüssigen Impfdosis höher werden. So sind zum einen heute "vierzehn verschiedene Impfstoffe mit unterschiedlichen komplexen Prozessanforderungen in der Versorgung", wie Porstner erklärte. Während der Aufwand für deren Umverteilung unverändert sei und die Komplexität mit jedem Impfstoff zunehme, sank gleichzeitig "die Menge der zu verteilenden Impfstoffe stark".
Im Klartext: Von vielen Impfstoffen werden wöchentlich nur ein- oder zweistellige Mengen an Ampullen (Vials) bestellt. "Damit haben sich allein die Vial-bezogenen Kosten für die Warenannahme, die Prozessaufwände, die Umverteilung und Auslieferung der Impfstoffe vervielfacht", sagte Porstner.