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Corona-Impfung: Ein Thema, sieben Meinungen: Brauchen wir eine Impfpflicht?

Wie stehen Sie zum Thema Impfpflicht? Diese Frage haben wir sieben einflussreichen Personen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medizin gestellt.
Foto: Robert Michael, dpa
Corona-Impfung

Ein Thema, sieben Meinungen: Brauchen wir eine Impfpflicht?

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    Julian Nida-Rümelin, Philosoph: „Pflicht an das Alter binden“

    Man sollte mit dem Instrument einer Impfpflicht so behutsam wie möglich umgehen. Generell, weil es einen Eingriff in die individuelle Freiheit bedeutet. Aber auch, weil eine solche Pflicht vor nicht langer Zeit von vielen regierenden Politikern mit großer Deutlichkeit ausgeschlossen wurde, sodass eine allzu weitreichende Einführung nun einen schwerwiegenden Vertrauensverlust bedeuten könnte.

    Aber was heißt „behutsam“? Das hängt davon ab, welche Ziel wir mit einer Impfpflicht verfolgen. Es kann meines Erachtens nicht mehr darum gehen, die aktuelle Infektionswelle zu brechen oder eine nachhaltige Herdenimmunität zu erreichen – die Impfpflicht wird ihre Wirkung erst entfalten, wenn die aktuelle Welle, hoffentlich, vorüber ist und die bisherigen, nicht vollständig immunisierenden, eben nicht sterilen Impfstoffe werden auch bei einer sehr hohen Impfquote nicht dauerhaft verhindern können, dass sich Menschen infizieren, zwar mit abgesenkter Wahrscheinlichkeit, aber wir infizieren uns und geben die Infektionen weiter.

    Die globale Dynamik des Infektionsgeschehens wird sich angesichts der niedrigen Impfquoten in vielen Teilen der Welt und der hohen Mobilität vermutlich nicht völlig brechen lassen. Das spricht keineswegs gegen das Impfen, auch nicht gegen Impfpflichten. Weil die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken, im Krankenhaus, gar auf der Intensivstation zu landen oder zu sterben, durch Impfung massiv sinkt. Vom Risiko betroffen sind nun vor allem Ungeimpfte, und zwar Ungeimpfte älterer Jahrgänge und mit Vorerkrankungen. Das Problem, mit dem wir konfrontiert sind, ist die Impflücke bei diesen Personen.

    Wenn das Ziel einer Impfpflicht ist, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, können wir das am besten erreichen, indem wir die Hochaltrigen und die Vorerkrankten impfen. Daher würde ich empfehlen, die Impfpflicht an das Alter zu binden – allenfalls ab 50, vielleicht genügt auch schon ab 60. Das wäre eine risikofokussierte Strategie, die so behutsam wie möglich ist, aber ihr Ziel erreichen wird.

    Josef Franz Lindner ist Rechtsprofessor an der Universität Augsburg.
    Josef Franz Lindner ist Rechtsprofessor an der Universität Augsburg. Foto: Naomi Rieger

    Josef Franz Lindner, Rechtsprofessor: „Rechtlich nicht zu rechtfertigen“

    Josef Franz Lindner ist Rechtsprofessor an der Universität Augsburg.
    Josef Franz Lindner ist Rechtsprofessor an der Universität Augsburg. Foto: Naomi Rieger

    Die Impfpflicht ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Das Grundgesetz erlaubt dem Gesetzgeber solche Eingriffe. im Fall einer Pandemie des Gesundheitssystems. Ob dessen Überlastung ab nächstem Herbst durch eine (neue) Virusvariante droht, ist derzeit offen. Jetzt eine allgemeine Impfpflicht auf Verdacht oder Vorrat einzuführen, ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

    Das bedeutet nicht, dass der Bundestag untätig bleiben müsste. Verfassungsrechtlich tragfähig wäre die Einführung einer Impfpflicht in drei Schritten:

    1. Bereits jetzt könnte der Bundestag in einem Impfpflicht-Vorratsgesetz die Voraussetzungen für eine allgemeine Impfpflicht regeln: Gefahr einer Infektionswelle ab Herbst, die das Gesundheitswesen bedroht, Verfügbarkeit eines hinreichend wirksamen Wirkstoffes, Existenz einer (auch zeitlich) effektiven Impfinfrastruktur.
    2. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, müsste der Bundestag auf der Basis tatsächlich belastbarer wissenschaftlicher Expertise in einem zweiten Schritt (im Mai oder Juni) feststellen; erst dadurch würde die Impfpflicht dann aktiviert.
    3. Dem würde die tatsächliche Umsetzung der Impfpflicht folgen. Da überwiegend Menschen über 50 Jahre ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben, sollte sich die Impfpflicht auf diesen Personenkreis beschränken. Eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren ist verfassungsrechtlich hingegen schwer begründbar. Ein Impfregister ist nicht erforderlich. Die Kontrolle könnte über die Meldeinfrastruktur oder stichprobenartig erfolgen. Wer eine Impfung nicht nachweisen kann, müsste mit einem Bußgeld rechnen.
    Angela Inselkammer führt den Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband.
    Angela Inselkammer führt den Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband. Foto: Tobias Hase, dpa

    Angela Inselkammer, Gastronomin: „Raus aus der Endlosschleife“

    Wir haben in Deutschland nun schon lange versucht, ohne eine Impfpflicht auszukommen. Und ich bin auch keine Befürworterin von immer mehr Pflichten und Regeln. Doch die Appelle an die Menschen, sich in hohem Maße impfen zu lassen, schon aus Solidarität den Mitmenschen gegenüber, haben scheinbar nicht in ausreichendem Maße gefruchtet. Wie uns die Expertinnen und Experten sagen, reicht die inzwischen erzielte Impfquote wohl nicht aus, um im kommenden Herbst und Winter eine weitere Corona-Welle zu verhindern. Doch noch mal so eine Welle können wir als Gesellschaft und insbesondere das schwer gebeutelte Hotel- sowie Gaststättengewerbe nicht verkraften.Bayerns Dehoga-Chefin sieht getrübte Stimmung in der Branche durch Corona-RegelnAngela Inselkammer

    Deshalb müssen wir jetzt den Rat der Expertinnen und Experten annehmen, die mehr als wir von den Gesetzen einer Pandemie verstehen. Auch wenn Hotels- und Gaststätten unter der Beachtung der 2G-Regel nach wie vor Besucherinnen und Besucher begrüßen können, kommen doch erheblich weniger Gäste zu uns. In unserem Familienbetrieb in Aying bei München mussten wir zuletzt einen Rückgang bei der Kundschaft um rund 80 Prozent verzeichnen. Das ist dramatisch. Wir mussten wieder Kurzarbeit einführen. Wegen der sich immer höher auftürmenden Omikron-Welle kommen eben viele nicht mehr. Diese massiven wirtschaftlichen Auswirkungen auf unseren für Kultur und das Gemeinschaftsgefühl so wichtigen Wirtschaftszweig sollten die Impfskeptiker und Impfgegner bedenken. Noch einmal einen Herbst und Winter mit verheerenden Besucherzahlen werden viele Betriebe nicht verkraften.

    Da uns aber führende Virologinnen und Virologen sagen, die Impfpflicht sei der einzige Ausweg, um eine solche Corona-Endlosschleife zu verhindern, spreche ich mich klar fürs Impfen aus. Eine Impfpflicht würde sicher helfen. Ich bin drei Mal geimpft und hatte keine Probleme nach der Impfung. Und so verhält es sich mit unserer ganzen Familie. Im Übrigen sind im Hotel- und Gaststättengewerbe ohnehin die meisten Kräfte geimpft.

    Andrew Ullmann ist Arzt und Bundestagsabgeordneter.
    Andrew Ullmann ist Arzt und Bundestagsabgeordneter. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Andrew Ullmann, FDP-Abgeordneter: „Das Alter ist ein Risikofaktor“

    An diesem Mittwochnachmittag wird der Bundestag zu einer Orientierungsdebatte zusammentreten, um über die Einführung einer Covid-19-Impfpflicht zu debattieren. Das Parlament spiegelt eine Vielfalt an gesellschaftlichen Meinungen wider, die jeder auch im Freundes- und Bekanntenkreis wahrnimmt. Mein Ziel ist es, die gesellschaftlichen Strömungen zu vereinen und einen mehrheitsfähigen Entwurf zu unterbreiten. Wir schlagen daher zwei konkrete Maßnahmen vor.

    Erstens: eine verpflichtende Impfaufklärung. Die Gesellschaft teilt sich nicht nur in Impfgegner und Geimpfte. Es gibt eine große Zahl an Menschen, die nicht geimpft sind, obwohl sie überzeugt werden könnten. Wir schlagen ein verpflichtendes, professionelles und persönliches Beratungsgespräch für alle volljährigen Ungeimpften vor. Wir wollen jeder ungeimpften Person einen Termin zukommen lassen, der verpflichtend wahrgenommen werden muss. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, sich freiwillig impfen zu lassen. So können wir viele Fake News und Ängste entkräften und die Impfquote steigern.

    Zweitens: eine Impfnachweispflicht ab 50 Jahren. Ziel der Pandemiebekämpfung ist es, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen. Das Alter ist ein einfach zu messender Risikofaktor für einen schweren Verlauf. Eine Impfnachweispflicht für Personen, die älter als 50 Jahre sind, kann dieses Ziel erfüllen. Es wäre die mildere Impfpflicht und der mildere staatliche Eingriff als beispielsweise eine allgemeine Impfpflicht (ab 18 oder 5 Jahren). Wir können vor die Winterwelle 2022/23 kommen. Daher müssen jetzt Maßnahmen geplant und ergriffen werden, damit wir endlich den Kampf gegen die Pandemie gewinnen.

    Axel Heller koordiniert die Krankenhausbelegung in der Region.
    Axel Heller koordiniert die Krankenhausbelegung in der Region. Foto: Silvio Wyszengrad

    Axel Heller, Chefarzt am Uniklinikum Augsburg: „Alle anderen Patienten leiden“

    Seit Anfang der Pandemie haben wir im Uniklinikum Augsburg mehr als 3000 Patienten wegen Covid behandelt, davon mehr als 1000 auf den Intensivstationen. Sie kamen stoßweise als Folge der Inzidenzwellen mit zum Teil mehr als 150 Patienten gleichzeitig auf den Stationen. Das Uniklinikum musste dazu umstrukturiert werden, sehr zulasten der Betreuung aller anderen Patienten. Die Inzidenzspitzen jeweils Anfang November haben eine anhaltende Intensivbelegung für drei Monate nach sich gezogen, mit mehr als 35 Covid-Patienten gleichzeitig. Die Kapazitäten waren derart ausgelastet, dass wir sogar mehrere hundert Intensivpatienten in andere Krankenhäuser verlegen mussten – vor einigen Wochen sogar mithilfe der Luftwaffe. Das gelang nur dank der hervorragenden Kooperation aller Krankenhäuser.

    Es ist für uns Behandlungsteams einfach nicht nachvollziehbar, warum man sich nicht impfen lässt – insbesondere, wenn man vorerkrankt ist. Wirklich belastbare Gründe, sich nicht impfen zu lassen gibt es jedenfalls keine – außer für einen verschwindend geringen Anteil der Bevölkerung.

    Die Gruppe, die seit 23 Monaten täglich am Krankenbett in zusätzlicher Schutzausrüstung kämpfen muss, unterliegt jetzt einer Impfpflicht. Die starke Belastung, der diese ausgesetzt ist, zeigt sich auch an den mehr als 170 Pflegekräften, die seit Beginn der Pandemie in der Region ausgebrannt ausscheiden mussten.

    Jetzt geht es darum, ob wir die Pandemie beenden können oder ob wir in jedem Herbst neu Operationen zurückstellen müssen und der Aderlass in den Gesundheitsberufen weitergeht. Um das zu verhindern, erscheint eine allgemeine Impfpflicht verhältnismäßig.

    Sahra Wagenknecht war Fraktionschefin der Linken im Bundestag.
    Sahra Wagenknecht war Fraktionschefin der Linken im Bundestag. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Sahra Wagenknecht, Linken-Abgeordnete: „Nicht notwendig, nicht geeignet“

    Ich halte eine Impfpflicht weder für ein notwendiges noch für ein geeignetes Mittel, um die Corona-Pandemie zu beenden. Für die aktuelle Welle kommt jede Impfpflicht zu spät. In diesen Wochen infizieren sich Millionen Menschen mit der Omikron-Variante, was den Grad der Immunisierung in der Bevölkerung massiv erhöht. Auch die WHO hält es für plausibel, dass sich in Europa die Pandemie gerade verabschiedet. Und das wird auch nicht durch die angeblich so große deutsche Impflücke verhindert. Das RKI hat mehrfach darauf hingewiesen, dass wegen unzureichender Meldungen die reale Impfquote in Deutschland rund fünf Prozent über der offiziellen liegt. Danach würde Deutschland mit einer Impfquote von 78 Prozent zu den fünf europäischen Ländern mit den höchsten Impfquoten gehören.

    Ob es im Herbst noch einmal neue, gefährlichere Mutanten gibt, weiß niemand. Aber selbst wenn, ist unklar, ob der aktuelle bzw. ein auf Omikron angepasster Impfstoff dann wirksam wäre. Dass die Impfung nicht davor schützt, sich und andere anzustecken, erleben wir gerade. Wir wissen auch schon aus dem letzten Herbst, dass der Impfschutz gegen schwere Verläufe mit der Zeit nachlässt, gerade in den Risikogruppen. Damals waren bis zu 44 Prozent der über Sechzigjährigen auf den Intensivstationen geimpft. Erst der Booster hat den Schutz erneuert. Aber wie lange er wirkt und ob er bei möglichen neuen Mutanten noch schützt, kann aktuell niemand beurteilen. Man sollte auch nicht vergessen: Alle derzeit verfügbaren Impfstoffe haben nur eine bedingte Zulassung, weil längerfristige Daten zu Wirksamkeit und möglichen Risiken noch nicht vorliegen. In Abwägung all dessen lässt sich eine allgemeine Impfpflicht nicht rechtfertigen.

    Serap Güler ist Mitglied des CDU-Bundesvorstandes.
    Serap Güler ist Mitglied des CDU-Bundesvorstandes. Foto: Johannes Neudecker, dpa

    Serap Güler, CDU-Bundestagsabgeordnete: „Es geht um Glaubwürdigkeit“

    Als Abgeordnete reden wir in diesen Tagen ganz intensiv mit vielen Experten – mit Medizinern, Virologen, Juristen, Ethikern oder auch Sozialarbeitern, die die Komplexität der Frage „Impfpflicht – Ja oder Nein“ deutlich machen. Denn die Impfung an sich mag ein medizinischer Eingriff sein, sie ist aber keine rein medizinische Frage. Sie hat enormes Potenzial, die Gesellschaft zu spalten. Es gibt also jede Menge Fragen, die nach Antworten schreien und alles andere als banal sind.

    Als Bundestagsfraktion der Union haben wir deshalb im Dezember der Regierung eine Reihe von Fragen geschickt, wie sie eine Impfpflicht rechtlich und praktisch umsetzen will. Die Antworten ist die Regierung uns bis heute schuldig geblieben. Für eine allgemeine Impfpflicht müssen diese Fragen aber beantwortet werden. Denn neben der Spaltung der Gesellschaft steht nichts Minderes auf dem Spiel, als dass wir unsere Glaubwürdigkeit – das höchste Gut der Politik – verspielen.

    Ich habe mich letztendlich noch nicht entschieden, denke aber, dass wenn es am Ende auf eine Impfpflicht hinausläuft, diese temporär und auf Ältere sowie vulnerable Gruppen beschränkt sein muss. Auch stelle ich mir die Impfpflicht ohne ein zentrales Impfregister, wie es zum Beispiel in Österreich der Fall ist, als praktisch nicht umsetzbar vor. Insofern hätte ich mir gewünscht, dass die Regierung, die einen ganzen anderen Apparat und somit andere Möglichkeiten hat als einfache Abgeordnete, hierzu eine Vorlage macht. Schließlich zählt unser neuer Gesundheitsminister zu den Corona-Experten schlechthin. Dass er gerade in dieser Frage sich jetzt für die Neutralität entscheidet, die ihm zwei Jahre fremd war, leuchtet mir nicht ein.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. In der aktuellen Folge spricht eine Betroffene über ihre Long-Covid-Erkrankung – und über den mühsamen Weg zurück in ein normales Leben.

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