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Corona-Pandemie: Genesene geraten in einem umstrittenen Verfahren unter Impfdruck

Corona-Pandemie

Genesene geraten in einem umstrittenen Verfahren unter Impfdruck

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    Genesene im Visier? Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
    Genesene im Visier? Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Foto: Jens Büttner, dpa

    Es geht auch anders. In der Schweiz können Menschen, die bereits an Corona erkrankt waren, ihren Status als Genesene alle drei Monate verlängern und so weiter ins Restaurant gehen, ins Theater oder in ein Konzert. Einzige Voraussetzung: Ein Test, der ihnen bescheinigt, dass sie noch genügend Antikörper in sich haben. Während Deutschland die Freiheiten der Genesenen drastisch einschränkt, indem es die Laufzeiten ihrer Nachweise auf drei Monate verkürzt hat, gelten

    Sepp Müller, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, hält davon nicht viel. „Trotz positiver Antikörpertests kann man sich mit Corona infizieren und es an andere Menschen übertragen,“, warnt der CDU-Mann aus Sachsen-Anhalt gegenüber unserer Redaktion. Die Verlängerung des Genesenenstatus mit Hilfe eines Antikörpertests berge daher eine unsichtbare Gefahr. Inhaltlich sei die Entscheidung, die Gültigkeit der Genesenen-Nachweise in Deutschland zu verkürzen, also richtig. „Richtige Änderungen müssen aber auch richtig kommuniziert werden“, kritisiert Müller. Dies hätten der Gesundheitsminister und das Robert-Koch-Institut versäumt. Und das nicht zum ersten Mal, wie Müller findet: „Der Minister verursacht ein Kommunikationschaos nach dem anderen.“ Künftig müssten den Bürgern bevorstehende Änderungen in der Corona-Politik der Koalition verständlich begründet und rechtzeitig vermittelt werden.

    In der Vorlage des Ministeriums standen noch 180 Tage

    Am Freitag vergangener Woche war das erkennbar nicht der Fall. Nach dem Bundestag hatte da auch der Bundesrat einstimmig eine Neuregelung auf den Weg gebracht, nach der künftig das Robert-Koch- und das Paul-Ehrlich-Institut darüber entscheiden, wie lange jemand als vollständig geimpft bzw. als genesen gilt. In der Beschlussvorlage des Gesundheitsministeriums war dabei nach Müllers Wortennoch von 180 Tagen für Genesene die Rede - ein Wert, den auch die renommierte deutsche Gesellschaft für Virologie für realistisch hält. Praktisch zeitgleich mit der Entscheidung der Länderkammer und ohne jede öffentliche Ankündigung halbierte das Robert-Koch-Institut dann allerdings die Frist für Genesene auf nur noch 90 Tage. Ein kurzer Hinweis auf den Internet-Seiten des Instituts - und das war es dann auch.

    Genesene, deren Infektion mehr als diese drei Monate zurückliegt, werden jetzt wie Ungeimpfte behandelt – ein politischer Drahtseilakt. „Die Frage der Gültigkeit eines Genesenennachweises ist nicht nur eine naturwissenschaftlich-medizinische,“ warnt etwa der Augsburger Rechtsprofessor Josef Franz Lindner, „sondern vor allem auch eine juristische.“ Die Gültigkeit sei Voraussetzung für einschneidende Coronamaßnahmen, vor allem bei der 2G-Regelung. „Dies ist in hohem Maße grundrechtssensibel.“, betont Lindner. „Es genügt verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, dass die Festlegung der Gültigkeitsdauer durch eine nachgeordnete Behörde wie das Robert-Koch-Institut erfolgt.“ Diese müsse vielmehr durch ein Gesetz oder zumindest durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung bestimmt werden.

    Lauterbach: Die Wissenschaft entscheidet

    Lauterbach dagegen will genau das nicht. Veränderungen, betonte er im Bundesrat, werde es nur auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse geben, „also ohne Beeinflussung durch den Minister zum Beispiel.“ Dass der Status der Genesenen direkt nach dem Beschluss drastisch verkürzt werden würde, sagte er nicht. Im Gegenteil: Sein Ministerium werde so informieren, versprach Lauterbach, dass Betroffene nicht ständig die Seiten der Institute anklicken und prüfen müssten, ob sich etwas geändert habe...

    Nimmt der Minister jetzt die Genesenen ins Visier? „Wenn sich Viren verändern, kann sich auch der Schutz durch Impfung oder durch vorherige Erkrankung verringern“, erklärt sein Sprecher auf Nachfrage. „Von daher ist es richtig, auf solche Veränderungen schnell zu reagieren. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass man nach einer Genesung von einer Corona-Erkrankung nicht so lange vor einer Infektion mit der Omikron-Virusvariante geschützt ist wie vorher bei den anderen Varianten.“ Ein Nebeneffekt der neuen 90-Tage-Regelung sei überdies der neue Anreiz, sich impfen zu lasen: „Ein Genesener erreicht mit einer weiteren Impfung den vollen Impfschutz und erhält Ausnahmerechte bei Quarantäne oder beim Zugang in die Gastronomie.“

    Streng genommen ist die Zeit, in der sich Genesene wie Geimpfte fühlen dürfen, sogar noch kürzer als die jetzt verordneten drei Monate: Als genesen gilt ein Patient erst vier Wochen nach seiner Corona-Infektion. Diese 28 Tage werden mit in die 90-Tages-Frist eingerechnet, so dass Betroffene faktisch nur noch 62 Tage den Status des Genesenen für sich in Anspruch nehmen dürfen. Viele Nachweise aus dem Herbst sind damit bereits abgelaufen.

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