Ihre letzte große Auslandsreise vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie führte die damalige Kanzlerin Angela Merkel Anfang Februar 2020 nach Südafrika und Angola. Im Regierungsflieger wurden Meldungen über ein neuartiges Virus aus China aufmerksam verfolgt, der Ernst der Lage war aber noch niemandem klar. „Das wird bei uns schon nicht so schlimm werden“, lautete die Einschätzung eines hochrangigen Regierungsmitglieds, viele andere teilten diese Meinung. Es war der Beginn einer langen Reihe von lebensrettenden Maßnahmen, aber auch von Fehleinschätzungen. Die Aufarbeitung der Corona-Politik der Bundesregierung beschäftigt Gerichte, etwa wegen Unregelmäßigkeiten bei der Maskenbeschaffung, und viele Menschen im Land. Jüngster Höhepunkt der oft aufgeregten Debatte ist die Veröffentlichung von Dokumenten, die Auskunft über die Corona-Sitzungen beim Robert Koch-Institut (RKI) geben sollen.
Das RKI hat 2515 Seiten seiner Krisenstabsprotokolle bereits ins Internet gestellt. Sie geben Einblick in die Entscheidungsabläufe zwischen Januar 2020 und April 2021. Auf Kritik aus der Öffentlichkeit hin heißt es dort etwa auf Seite 774: „Die Äußerung von Hr. Lauterbach zur Evidenzlage und zur politischen Umsetzung der Infos aus der Wissenschaft sollten genau betrachtet werden.“ Das war im Mai 2020, Karl Lauterbach war noch nicht Gesundheitsminister, der Arzt und SPD-Politiker meldete sich aber regelmäßig zu Wort.
Noch nicht alle RKI-Files frei
Offiziell noch nicht frei zugänglich sind die Protokolle bis zum Ende der Krisenstabs-Sitzungen im Juli 2023. Das RKI will sie „so schnell wie möglich veröffentlichen“, muss aber zunächst noch dem Gesetz Genüge tun und die Rechte beteiligter Dritter abklären. Eine Berliner Journalistin nimmt für sich in Anspruch, die „kompletten Daten“ von einem Whistleblower aus dem RKI erhalten zu haben und lud sie Medienberichten zufolge ins Internet hoch. Das RKI erklärte, es habe die Datensätze „weder geprüft noch verifiziert“.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki stuft die Dokumente als echt ein und fordert nach ihrer Lektüre persönliche Konsequenzen von Lauterbach. Sein Vorwurf: Der öffentliche Pandemie-Druck sei vom Minister und seinem Haus künstlich hochgehalten worden. „Nicht zuletzt müssen wir die ernsthafte Frage stellen, welches Amtsverständnis Bundesgesundheitsminister Lauterbach mit Blick auf die Grundrechte hatte“, schreibt der Bundestagsvizepräsident an einer Stelle und kritisiert an einer anderen, viele der ihm gegebenen Antworten „vom Lauterbach-Ministerium“ seien „mindestens irreführend“ gewesen. Später stellt Kubicki den Minister als Lügner hin: „Die falsche Angabe durch Ministerien ist das eine, der mindestens lückenhafte, wenn nicht sogar falsche Vortrag vor dem Bundesverfassungsgericht durch eine Bundesoberbehörde, ist etwas anderes.“
Gesundheitsministerium hält sich zurück
Der CDU-Abgeordnete Armin Laschet bezeichnete die Analyse von Kubicki als „lesenswert“. Lauterbachs Ministerium wollte die Äußerungen des FDP-Politikers hingegen auf Anfrage nicht kommentieren. Der Minister wurde aber mit den Worten zitiert, dass es „in den RKI-Protokollen nichts zu verbergen“ gebe und er daher die Veröffentlichung der Protokolle angewiesen habe. Das RKI habe Empfehlungen abgegeben, die politische Verantwortung aber beim Ministerium gelegen. „Trotz der insgesamt vorsichtigen Strategie sind allein im Jahr 2022 in Deutschland noch mehr als 50.000 Menschen an Corona gestorben. Die Maßnahmen waren damit mehr als begründet“, hieß es abschließend.
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