Wer will stets zwischen allen Stühlen sitzen? Wer vom Wohlwollen anderer abhängig sein? Wer um sein Leben fürchten müssen? Es sind Fragen, die sich aufdrängen, geht es um die Lage der Christen im Nahen Osten, ganz besonders um die der Christen in Syrien.
Sie sind in den vergangenen Tagen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt – nach einer Welle der Gewalt, die vor allem die religiöse Minderheit der schiitischen Alawiten traf. Christinnen und Christen in Syrien fragen sich seitdem, was die Beteuerungen von Übergangspräsident Ahmad al-Scharaa wert sind, sie schützen zu wollen.
Die Zahl der Christen in Syrien ist seit Beginn des Bürgerkriegs massiv gesunken
Seit vielen Jahren bereits geht der Anteil der Christen in der von Krisen und Kriegen erschütterten Weltregion kontinuierlich zurück und eine Umkehr der Entwicklung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: In der katholischen Kirche etwa besteht die Sorge, dass eine mehr als 2000-jährige christliche Siedlungsgeschichte in absehbarer Zeit an ein Ende geraten könnte. In Syrien, im Irak, in Israel wie in Palästina. „Die Gefahr ist sehr real“ – diese alarmierende Einschätzung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, setzte in der vergangenen Woche den Ton bei der Vollversammlung der Bischöfe im nordrhein-westfälischen Kall-Steinfeld.
Tatsächlich ist die Zahl der Christinnen und Christen in Syrien seit dem Beginn des Bürgerkriegs vor 14 Jahren von 1,5 Millionen auf heute rund 300.000 geschrumpft. Im Irak, so Bätzing, sei die Situation kaum besser.
Dabei war mit Blick auf Syrien zuletzt Hoffnung aufgekommen, in Bevölkerung und internationaler Politik. Im Dezember tanzten die Menschen nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad auf den Straßen. Nachdem Übergangspräsident al-Scharaa ausdrücklich versprochen hatte, sich für den Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten einzusetzen, wuchs dann sogar die Hoffnung der EU-Mitglieder auf ein „neues Syrien“.
Doch Kamal Sido, Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker, warnte im Gespräch mit unserer Redaktion schon zum Jahreswechsel vor verfrühter Euphorie angesichts der Vielzahl islamistischer Milizen, die weite Teile des Landes kontrollieren. „Ein Chaos wäre für die Christen eine Katastrophe, denn sie verfügen nicht über eine eigene Miliz. Sie sind schutzlos“, sagte er.
Jacques Mourad, Erzbischof von Homs: Hoffnung, dass viele Syrer in die Heimat zurückkehren, ist vergebens
Dieses Chaos brach am zweiten März-Wochenende los: Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete ein „Massaker“ mit 1500 Todesopfern in Latakia und Umgebung, unweit der Grenze zur Türkei. Betroffen von den Taten islamistischer Milizen, es soll sich um Assad-Anhänger handeln, seien in erster Linie Alawiten gewesen, hieß es – jene Minderheit also, zu der die Familie Assad zählt. Nach Angaben des internationalen katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ befinden sich unter den Opfern vereinzelt Christen. „Kirche in Not“ bezog sich auf Quellen aus der Hafenstadt, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben müssten. In Latakia leben unter anderem griechisch-orthodoxe und syrisch-katholische Christen. Von vereinzelten christlichen Opfern berichtete ebenfalls das überkonfessionelle christliche Werk „Open Doors“. Die Meldungen aus Syrien haben Zweifel genährt, ob al-Scharaa willens und fähig ist, Stabilität herstellen und garantieren zu können.
Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse erfuhr der Auftritt des syrisch-katholischen Erzbischofs von Homs, Jacques Mourad, im Rahmen der Vollversammlung der deutschen Bischöfe ein erhöhtes öffentliches Interesse. Mourad hatte weltweite Bekanntheit erlangt, als er 2015 von Islamisten entführt und vier Monate festgehalten wurde. „Ein muslimischer Freund hat mir auf dem Motorrad zur Flucht verholfen“, erzählte er. Mourad, damals Pfarrer im syrischen Kloster Mar Elian in Qaryatayn, wandte sich gegen eine seiner Meinung nach in Europa verbreitete Islamophobie – und fand zugleich für die syrisch-sunnitische Übergangsregierung klare Worte: Es regiere wieder Willkür, wieder würden sich – jetzt mit Alawiten – die Gefängnisse füllen. Und wie zu Assads Zeiten würden die öffentlichen Medien nur im Sinne der Machthaber berichten.
Auch im Irak fürchten sich Christen vor islamistischen Kämpfern
„Große Sorgen bereitet mir, dass die Übergangsregierung die Scharia einführen und einen islamistischen Staat Syrien schaffen will“, sagte der Erzbischof von Homs. Die europäischen Hoffnungen, dass viele Syrer nach dem Sturz Assads in ihre Heimat zurückkehren würden, seien vergebens. Eher würden gerade auch Christen versuchen, Syrien zu verlassen.
Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz und vor Kurzem im Irak, sagte: Die größte Angst der Christen dort sei, dass die islamistischen Kämpfer, etwa der Terrororganisation IS aus syrischen Gefängnissen freikämen und in den Irak gingen.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden