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Foto: Andy Wong, dpa
Foto: Andy Wong, dpa

Vor dem Kongress der Kommunistischen Partei hat sich die Zahl der Corona-Infektionen in vielen Städten Chinas massiv erhöht.

China
12.10.2022

Corona-Lage in China droht außer Kontrolle zu geraten

Von Fabian Kretschmer

Angesichts rekordverdächtiger Infektionszahlen nimmt Chinas "Null-Covid-Strategie" abstruse Dimensionen an. Und das ausgerechnet vor dem 20. Parteikongress der Kommunisten.

Selbst George Orwell hätte sich das kaum ausdenken können: Als die Lokalregierung von Ürümqi am Wochenende zur Pressekonferenz rief, präsentierte man stolz einen Ratschlag an die Zigtausenden Touristen, die in den jüngsten Ferien unverhofft in der abgeriegelten Provinzhauptstadt von Xinjiang gestrandet sind. Da die Gäste wegen des Corona-Lockdowns vorerst nicht in ihre Heimat zurück können, sollen sie doch am besten in Xinjiang nach Arbeit suchen. Die ganze Region ist isoliert, alle Zugverbindungen sind gekappt.

Was von den Propagandamedien als wirtschaftlich smarte Maßnahme publiziert wurde, ließ selbst gedulderprobten Chinesen den Kragen platzen: „Die Wahrheit ist, dass wir unser Hotelzimmer, das wir weiterhin selbst bezahlen müssen, nicht einmal verlassen dürfen“, beschwert sich ein User auf der Online-Plattform Weibo. Ein anderer meint: „Wer zum Teufel hat sich nur diesen Plan ausgedacht?“

Nur eine Woche vor dem historischen 20. Parteikongress in Peking droht die Corona-Lage in China wieder außer Kontrolle zu geraten. Die Infektionszahlen liegen nach den nationalen Feiertagen auf dem höchsten Niveau seit über drei Monaten. Zwar sind sie im internationalen Vergleich verschwindend gering. Doch da die Volksrepublik an ihrer „Null-Covid“-Strategie festhält, schickt bereits jede einzelne Infektion Zehntausende Menschen in Zwangsquarantäne.

In Shanghai droht die Corona-Lage bereits zu kippen

Insbesondere in Shanghai ist die Lage erneut am Kippen. Der zweimonatige Lockdown vom Frühjahr droht sich zu wiederholen. Derzeit sind es zwar bislang nur einzelne Viertel, die von den Gesundheitsmitarbeitern mit grünen Gittern umzäunt werden. Doch die Corona-Situation eskaliert rasend schnell. Peter Lee hat es am eigenen Leib erfahren. Der Brite erfuhr während der Mittagspause, dass seine Wohnanlage in einen 48-stündigen Lockdown versetzt werde. Da er sich gerade in einem Restaurant befand, entschied er sich, für zwei Nächte in ein Hotel zu ziehen, um der Zwangsquarantäne zu entgehen. Doch wie Lee auf seinem Twitter-Account schildert, ist wenige Stunden später auch das Hotel abgeriegelt worden. Nun sitzt er dort für sieben Tage fest. Der Brite nimmt es mit Humor: „Egal wie sehr du rennst, es gibt kein Verstecken."

Doch viele der immer strengeren Corona-Maßnahmen entfernen sich auf geradezu absurde Weise von jeder wissenschaftlichen Grundlage. In Shanghai und in Peking lassen sich seit kurzem sogenannte „temporäre Quarantäne-Ecken“ beobachten. Dabei handelt es sich um kleine Ein-Personen-Zelte, in welche Passanten in U-Bahn-Stationen oder an Straßenkreuzungen festgesetzt werden, wenn sie keinen „grünen Gesundheitscode“ auf ihrem Smartphone vorweisen können. Dort müssen die Leute dann entweder auf ihren negativen PCR-Test warten – oder den Quarantäne-Bus, der sie in zentralisierte Isolationslager bringt.

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Corona-Maßnahmen entfernen sich von wissenschaftlicher Grundlage

Das Ohnmachtsgefühl, dass das eigene Leben von einem abstrakten Tech-Algorithmus bestimmt wird, ist Außenstehenden kaum zu erklären. Doch viele Menschen sind inzwischen mit der Angst infiziert, dass auf dem digitalen Gesundheitszertifikat plötzlich ein „Pop-up“ auftaucht. Das heißt, dass man als möglicher Kontakt eines Corona-Infizierten gilt.

Mit einem "Pop-up" ist jede Person vollkommen vom öffentlichen Leben abgeschnitten, kann nicht mal mehr den Supermarkt ums Eck besuchen. Das Nachbarschaftskomitee entscheidet dann, wie weiter vorgegangen wird: In fast allen Fällen geht es auf Nummer sicher – und ordnet sieben Tage Heimquarantäne an.

Auf der Online-Plattform Weibo haben sich die kritischen Diskussionen über den scheinbar willkürlichen Gesundheitscode derart gehäuft, dass die Zensoren sämtliche Diskussionen löschen, ja selbst Suchanfragen ins Leere laufen. Doch dies ist nur einer von vielen Hinweisen, dass immer mehr Chinesen angesichts der drastischen Corona-Maßnahmen mit ihrer Geduld am Ende sind.

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