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China: Chinas Bevölkerung schrumpft: Was macht das mit der Weltwirtschaft?

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Chinas Bevölkerung schrumpft: Was macht das mit der Weltwirtschaft?

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    Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals seit sechs Jahrzehnten geschrumpft. Experten sprechen von einem «Wendepunkt» in der Geschichte des Landes.
    Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals seit sechs Jahrzehnten geschrumpft. Experten sprechen von einem «Wendepunkt» in der Geschichte des Landes. Foto: Mark Schiefelbein, dpa

    Das Pekinger Statistikamt sorgte gleich doppelt für Aufsehen: Laut den jüngsten Wirtschaftszahlen ist Chinas Bruttoinlandsprodukt im Vorjahr nur um drei Prozent gewachsen, womit die Regierung ihr selbst gestecktes Ziel von 5,5 Prozent deutlich verfehlte. Doch die schwächelnde Wirtschaft dürfte den Machthabern nur kurzfristig Kopfschmerzen bereiten, da eine sukzessive Erholung in den nächsten Quartalen als wahrscheinlich gilt.

    Der demografische Wandel wirkt auf China – und auf die Welt

    Grund für eine langfristige Migräne lieferte das Statistikamt allerdings ebenfalls. Denn erstmals seit den Hungersnöten zu Beginn der 1960er Jahre ist Chinas Bevölkerung im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft – um 850.000 Personen. Ursprünglich hatten die Behörden erwartet, dass dieser folgenreiche „Wendepunkt“ frühestens gegen Ende dieser Dekade erreicht würde. Doch die Geburtenrate ist unaufhaltsam weiter gesunken und befindet sich mit 6,77 Neugeborenen auf 1000 Menschen auf einem historischen Rekordtief. Die Sterberate stieg hingegen deutlich auf einen Wert von 7,37.

    Yi Fuxian, Wissenschaftler an der University of Wisconsin-Madison, spricht von einer „krassen Unterschätzung“. Seine empirischen Studien legen nahe, dass die offiziellen Daten der Regierung geschönt sind und der demografische Wandel rasanter voranschreitet als angenommen. Die chinesische Bevölkerung würde sich laut seinen Berechnungen bereits seit 2018 im Schrumpfen befinden. „Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind viel düsterer als erwartet“, meint Yi. 

    Teilnehmer tummeln sich auf einer Jobmesse auf dem Campus einer Shanghaier Universität.
    Teilnehmer tummeln sich auf einer Jobmesse auf dem Campus einer Shanghaier Universität. Foto: Liu Yin, XinHua/dpa

    Die Auswirkungen dürften auch im entfernten Europa zu spüren sein. Wenn etwa das herstellende Gewerbe in China – der Werkbank der Welt – aufgrund des drohenden Arbeitskräftemangels einbricht, wird dies die globalen Warenpreise verteuern und als Folge die Inflation befeuern. 

    Unis schließen, Arbeitskräfte fehlen: Chinas Produktivität sinkt

    Vor allem aber ist die Alterung der Bevölkerung die größte Bedrohung für den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas – noch weit vor der Immobilienkrise oder dem Handelskrieg mit den USA. Mit steigenden Pensionisten-Zahlen und schrumpfenden Arbeiter-Gruppen bricht unweigerlich die Produktivität ein. Nicht zuletzt werden die niedrigen Geburtenraten auch dazu führen, dass Universitäten schließen werden, weniger Talente auf den Arbeitsmarkt drängen und dieser an Innovation einbüßt. 

    Mit Migration wird China wohl kaum auf die sich abzeichnende Schrumpfung reagieren. Dafür fehlt der Regierung, die vor allem um soziale Stabilität und ideologische Kontrolle besorgt ist, der politische Wille: Ausländer ins Land zu lassen bedeutet schließlich auch, potenziell alternatives Gedankengut zu importieren. 

    Stattdessen tüfteln die führenden Forscher unter Hochdruck daran, um technologische Lösungen zu finden. Doch ob mit Automatisierung und künstlicher Intelligenz die wirtschaftlichen Folgen des Arbeitskräftemangels abgefedert werden können, ist eine offene, riskante Wette. 

    China auf dem Weg von der Ein-Kind-Politik zur Drei-Kind-Politik

    Die Entwicklung der Geburtenraten ist nur im Hinblick auf die kontroverse Ein-Kind-Politik zu verstehen, die von der kommunistischen Staatsführung Ende der 1970er Jahre implementiert wurde. Die Maßnahmen mögen in der Theorie gut gemeint gewesen sein, denn man wollte durch einen staatlich regulierten Stopp des damaligen Bevölkerungswachstums drohende Hungersnöte vermeiden. In der Praxis jedoch sorgte die Ein-Kind-Politik vor allem für immenses Leid innerhalb der Familien – bis hin zu Zwangsabtreibungen. 

    Bis 2016 galt für einen Großteil der Bevölkerung in China die Ein-Kind-Politik.
    Bis 2016 galt für einen Großteil der Bevölkerung in China die Ein-Kind-Politik. Foto: How Hwee Young, EPA/dpa

    Gleichzeitig wirken die gesellschaftlichen Traumata bis heute nach: So gibt es aufgrund der selektiven Abtreibungen von Mädchen einen eklatanten Männerüberschuss, der weiterhin in den Bereich mehrerer Millionen geht. Ebenfalls ist in der Volksrepublik eine Generation an Einzelkindern herangewachsen, der ein Mangel an Empathie und sozialen Fähigkeiten durchaus anzumerken ist. 

    Vor allem aber muss die Regierung nun realisieren, dass sie die Bevölkerungskurve nicht auf Knopfdruck nach ihren Vorstellungen steuern kann. Zwar dürfen Chinesen seit einigen Jahren wieder drei Kinder haben, doch nun wollen sie es schlicht nicht mehr. Die Gründe dafür sind komplex, doch haben sie vor allem mit den immensen Lebenshaltungskosten zu tun: Chinesische Mittelschichtsfamilien klagen über lange Arbeitszeiten, fehlende Kindergärten und horrende Preise für Wohnraum sowie für den in China obligatorischen Nachhilfeunterricht. 

    Junge Frauen in China entziehen sich patriotischen Pflichten

    Gleichzeitig hat die niedrige Geburtenrate auch mit einem allgemeinen Wertewandel zu tun. Insbesondere für junge, urbane Chinesinnen ist die berufliche und private Entfaltung mittlerweile wichtiger geworden im Vergleich zu den traditionellen Familienwerten. Dies reicht bis hin zu einer bewussten Verweigerung: Für die zunehmend populären feministischen Bewegungen ist das kinderlose Leben nämlich auch eine subversive politische Botschaft, sich der patriotischen Pflicht einer patriarchalen Regierung zu entziehen. 

    Der Staat reagiert nicht zuletzt mit Zensur und Propaganda. Die Filmproduktionen sind wieder vermehrt mit klassischen Mütterrollen gespickt, während alternative Lebensentwürfe für Frauenfiguren aus den Drehbüchern gelöscht werden. 

    Die tatsächlichen Ursachen des demografischen Wandels sind allerdings zu komplex, um das Problem über Nacht zu lösen: Damit Chinesinnen wieder mehr Kinder bekommen, müssen der massive Leistungsdruck in den Schulen gemindert, die Kindergarten-Infrastruktur ausgebaut und die Immobilienpreise leistbarer werden. All dies sind Mammut-Aufgaben. Yi Fuxians Urteil fällt jedenfalls deutlich aus: Der in den USA ansässige Wissenschaftler hält Bevölkerungsrückgang für „unumkehrbar“. 

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