Zweifel, dass er, der Mann mit diesem fremdländisch klingenden Namen, vielleicht doch nicht der Richtige sein könnte, dass man ihm den Landesvater nicht abnehmen könnte, will er gar nicht erst aufkommen lassen. „Mein Name ist Cem Özdemir. Ich bin in Bad Urach, am Fuße der Schwäbischen Alb, geboren und aufgewachsen. Unser Land hat meine Werte, meine Überzeugungen und meine Sicht aufs Leben geprägt“ – so beginnt der Brief, in dem sich Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir den Menschen offiziell als Spitzenkandidat der Grünen in Baden-Württemberg vorstellt.
Vier Seiten lang ist das Schreiben. Das Ziel ist groß: Nach der Landtagswahl im Frühjahr 2026 will er den beliebten Winfried Kretschmann als Ministerpräsident beerben. Der 76-Jährige tritt aus Altersgründen nicht mehr an. Schon lange wurde über Özdemirs Kandidatur spekuliert, nun hat er den Schritt gewagt. Es ist ein Risiko.
Diese Gründe sprechen für Cem Özdemir
Drei Gründe sprechen aus Sicht vieler baden-württembergischer Grüner für den 58-Jährigen: Er ist bekannt, er hat lange politische Erfahrung und er gehört genau wie Kretschmann zum Realo-Flügel seiner Partei. Wie „realo“ er ist, hat er in den vergangenen Wochen immer wieder bewiesen. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung klagte er jüngst über die Gewaltbereitschaft und das patriarchale Gebaren muslimischer Zuwanderer.
Schon Kretschmann war es mit einem grün-konservativen Kurs gelungen, viele CDU-Wähler für sich zu gewinnen. Die Behauptung, im Südwesten könne man auch einen Besenstiel schwarz anmalen und er würde gewählt, schien er endgültig ins Reich der Legenden verwiesen zu haben. Kretschmanns Pragmatismus wurde zum Erfolgsrezept der baden-württembergischen Grünen. Dass er es geschafft hatte, der CDU ihr Stammland streitig zu machen und zum ersten grünen Ministerpräsidenten aufzusteigen, verschaffte ihm großen Respekt und manchmal auch Narrenfreiheit.
Nicht ohne Grund erwähnt Özdemir den Ministerpräsidenten in seinem Brief und nennt ihn einen Freund: „Dabei bedeutet es mir viel, dass Winfried Kretschmann meine Entscheidung aus vollem Herzen unterstützt. Und Winfried kennt mich lange und gut.“ Auch Özdemir spricht Themen an, die auf die Mitte zielen: das Handwerk stärken, die Infrastruktur verbessern, die Forschung fördern, eine wehrhafte Demokratie. „Ich stehe mit Leib und Seele für das Aufstiegsversprechen unserer sozialen Marktwirtschaft“, schreibt der Grüne.
Wahl in Baden-Württemberg: Chancen für die Grünen stehen schlecht
Im Fall eines Wahlsiegs wäre Özdemir der erste deutsche Ministerpräsident mit Migrationshintergrund. Er selbst bezeichnet sich gerne als anatolischen Schwaben. Allerdings sind seine Chancen zumindest zum jetzigen Zeitpunkt überschaubar. Bundesweit kippt gerade die Stimmung gegen die Grünen, das ist in Baden-Württemberg nicht anders. Schlechter waren deren Werte seit 14 Jahren nicht. Die Mehrheit der Menschen dort glaubt einer Umfrage zufolge nicht daran, dass der Grünen-Politiker nächster Ministerpräsident wird. 55 Prozent halten dies nach der Erhebung des Forschungsinstituts Kantar für unwahrscheinlich. Nur 23 Prozent trauten ihm zu, die Wahl zu gewinnen.
Deutlich bessere Chancen auf den Wahlsieg räumen die Menschen der Umfrage zufolge dem noch unbekannten CDU-Fraktionsvorsitzenden Manuel Hagel ein. Demnach hält fast jeder zweite Befragte (46 Prozent) eine Wahl Hagels zum Ministerpräsidenten für wahrscheinlich. Übersetzt heißt das: Entgegen aller Hoffnungen haben es die Grünen auch in Baden-Württemberg nicht zur Volkspartei geschafft. Kretschmann wurde nicht weil, sondern obwohl er ein Grüner ist, gewählt – und das hat sich mit seinem nahenden Abschied aus der Politik abgenutzt.
„Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich politische Stimmungen rasch ändern können“, sagt Frank Brettschneider, Politikforscher und Kommunikationswissenschaftler aus Stuttgart. „Für Cem Özdemir wirkt die Stimmung gegen seine Partei wie ein Klotz am Bein.“ Derzeit profitiere von der Dominanz des Migrations-Themas vor allem die AfD. Ob es dabei bleibe, hänge davon ab, ob dieses Thema entschärft wird. „Und auch die Stimmung für die CDU ist derzeit relativ gut“, sagt Brettschneider. „Sie profitiert auf Bundesebene von der Schwäche der Ampel und in Baden-Württemberg von der wiedererlangten Geschlossenheit der Partei.“
Cem Özdemir hat keine Rückkehr nach Berlin geplant
Auch deshalb geht Özdemir ein hohes Risiko ein: Mit seinem Griff nach der Macht in Stuttgart schließt er die Türen in Berlin. Er bleibt zwar Bundeslandwirtschaftsminister, lässt sich aber für die Zeit nach der Wahl keine Rückkehroption offen. Wenn die Listen für die Bundestagswahl 2025 in den kommenden Wochen erstellt werden, wird Özdemir nicht mehr draufstehen.
Auch deshalb musste er jetzt eine Entscheidung treffen. 2012 hatte er seinen Wahlkreis Stuttgart I noch direkt gewonnen - mit 40 Prozent der Erststimmen. Stattdessen wird er sich nun um ein Landtagsmandat bewerben. Schafft er es nicht in die Villa Reitzenstein, wird er Abgeordneter des baden-württembergischen Landtags – womöglich sogar auf den harten Bänken der Opposition.
Özdemir, Sohn türkischer Gastarbeiter, ist seit 1981 Mitglied der Grünen, 1994 schaffte er den Sprung in den Bundestag. Mit seiner Partei hatte er es nicht immer leicht – und umgekehrt. Er strauchelte über eine Bonusmeilen-Affäre, er schaffte es nicht ins Amt als Fraktionsvorsitzender, einmal wurde ihm sogar ein sicherer Listenplatz für den Bundestag verweigert. Er wäre gerne Außenminister geworden, das blieb ihm versagt. Als Landwirtschaftsminister musste er sich wütenden Bauern stellen.
Özdemir macht seinen Kampfgeist zu seinem Markenkern. In seinem Brief schreibt er: „Ich habe erlebt, welche Kräfte es in einem weckt, wenn andere an dich glauben. Ich habe erfahren, dass Anstrengungen sich lohnen, wenn man nicht allein gelassen wird.“
Zuversicht wird Özdemir brauchen in den kommenden Monaten. „Das Klima im Bund belastet Özdemir stark“, sagt Politik-Experte Brettschneider. „Es wird für ihn schwer werden, sich von der Berliner Ampel zu distanzieren und sich vom Bundestrend abzukoppeln. Er muss vor allem darauf hoffen, dass sich der Trend gegen die Grünen bis zum März 2026 wieder umkehrt.“
Hanoi, Cem Özdemir kann mittlerweile Landwirtschaft und die Stuagerter alles andere außer Hochdeutsch. Da hilft dann nur noch Seitenbacher Müsli.
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