Es ist eine Therapiesitzung, die jeder und jede sehen darf. Ein Mann steht vor der Ruine seiner Karriere. Er weiß nicht, wie es dazu gekommen ist. Dabei ist das Urteil über ihn längst gesprochen. Das Urteil teilt ihm die Therapeutin mit, die Sandra Maischberger heißt und Fernsehjournalistin ist.
Armin Laschet windet sich unter ihren Fragen, die er sich selbst stellen müsste. Trägt er die Schuld daran, dass er vom Volke für zu leicht befunden wurde? Die Niederlage ist ein Waisenkind, sie steht immer alleine da.
So wie Armin Laschet alleine dasteht oder vielmehr sitzt in Maischbergers Studio. "Glauben Sie mir, es ärgert mich zu Tode", sagt er, als Maischberger auf das Bild zu sprechen kommt, das seinen Wahlkampf schwer beschädigte. Laschet steht an einem von der Sturzflut heimgesuchten Ort und feixt. Seine Zunge schaut aus dem grinsenden Mund, eingeklemmt zwischen den Zähnen. Der gefallene Kanzlerkandidat von CDU und CSU versucht sich nicht an ausufernden Begründungen, warum er verloren hat.
Laschet ist der verlachte Lakonier
Er antwortet Maischberger in kurzen, lakonischen Sätzen, meist nach einer Sekunde des Überlegens. Das Wort kommt von den alten Griechen. Als Lakonier wurden die Bewohner Spartas bezeichnet. Einmal sandten sie nach einer verlorenen Schlacht einen Bericht nach Hause, der von den Athenern abgefangen wurde. "Männer haben Hunger. Wissen nicht, was tun", heißt es dort lapidar. Die Athener lachten über die ihnen aus ihrer Sicht kulturell unterlegenen Spartaner. Über Laschet lachte das Internet, regte sich auf, schüttelte den Kopf, selbst wenn er sich nur ein Eis kaufte oder eine Bratwurst mit Ketchup aß statt mit Senf.
Mit ein wenig bösem Willen könnte man Armin Laschet in ein antikes Drama zwängen. Der tragische Held, die Flut als Prüfung des Schicksals, die er nicht besteht, und natürlich der böse Gegenspieler Markus Söder. Der bayerische Machtmensch war Laschet zuvor im Kampf um die Kanzler-Kandidatur unterlegen.
Seine Kränkung konnte er nicht verwinden und sabotierte deshalb Laschets Kampagne und damit die Wahlchancen von CDU und CSU. Warum hat Söder das getan, will Maischberger wissen. "Ich weiß es nicht", sagt Laschet leise gequält. Immer wieder hat er bei seinem Feind im eigenen Lager angerufen. "Markus, lass es. Markus, warum sagst du jetzt wieder das?" Söder beschwichtigte dann, alles nur falsch zitiert.
Laschet galt immer als zu lasch
Beim Anschauen der Therapiesitzung stellt man sich unweigerlich die Frage, ob Laschet für die Welt der Politik gemacht ist. Ob er hart genug ist, durchtrieben genug für diesen brutalen Kampf um die Macht. Im Falle Söders wissen spätestens nach den vergangenen Monaten alle Wählerinnen und Wähler, wie grell sein Ehrgeiz lodert und was er bereit ist zu tun, um an die Macht zu kommen. Es wirkt, als lese er jeden Abend Machiavelli vor dem Einschlafen.
Und was liest Laschet? Seine Biografen haben ihrem Werk den Titel "Der Machtmenschliche" gegeben. Die Essenz des Buches ist, dass der Aachener nicht bereit ist, für die Macht seine Seele zu verkaufen. Er bindet Leute ein, lässt sie glänzen, sucht den Ausgleich und will anständig bleiben. Schon immer habe es geheißen, Laschet sei zu weich, zu mitfühlend, nicht brutal genug für die Politik. Und dennoch hat er es bis zum Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen geschafft.
Seine Hoffnung war, dass es auch dieses Mal reichen würde. Es hat nicht gereicht. Aus dem tragischen Helden wurde der Ritter von der tragischen Gestalt. Er hat Fehler gemacht und zu wenig Freunde gehabt. Aber Armin Laschet bleibt sich treu: Er wütet nicht gegen Söder, er stichelt nicht einmal, wie der Franke es immer getan hat. Es ist eine leise Anklage gegen den Lautsprecher Söder.