„Deutschland kann es besser.“ Friedrich Merz hält sich nicht lange mit Vorreden und Begrüßungsfloskeln auf. Der Parteitag der CDU in Hannover hat noch gar nicht richtig begonnen, da startet ihr Vorsitzender bereits seinen ersten Angriff auf die Ampel-Parteien. Nichts brauche das Land heute dringender als Führung und einen klaren Kurs, sagt Merz. Doch ausgerechnet jetzt, eine schwere Rezession vor Augen, „leistet sich unser Land eine der schwächsten Regierungen aller Zeiten.“
Für die Delegiertenseelen einer unerwartet in der Opposition gelandeten Partei sind solche Sätze der pure Balsam. Noch hat die CDU die Niederlage bei der Bundestagswahl vor einem Jahr nicht verdaut, noch ringt sie um ihren künftigen Kurs – Merz allerdings gibt ihr beim ersten Parteitag in Präsenz seit drei Jahren das Gefühl, wieder auf Augenhöhe zu sein mit den Regierungsparteien. „Wir sind zurück auf Platz eins“, sagt er mit Blick auf die aktuellen Umfragen.
Im dritten Anlauf hat Friedrich Merz es an die CDU-Spitze geschafft
Drei Anläufe hat Merz benötigt, um CDU-Vorsitzender zu werden. Nun, da er es ist, wirkt er plötzlich wie befreit, nicht mehr so verspannt und verunsichert wie bei seinen beiden ersten Kandidaturen. Temperamentvoller. Angriffslustiger. „Stoppen Sie dieses rot-grün-gelbe Narrenschiff,“ sagt er unter dem Beifall der Delegierten an die Adresse von Bundeskanzler Olaf Scholz, den er ausdrücklich in Mithaftung für die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas macht. Hat die SPD nicht 20 der vergangenen 24 Jahre mitregiert?
„Deutschland kann es besser.“ Läuft sich da schon einer fürs Kanzleramt warm? Als CDU-Chef hätte Merz das erste Zugriffsrecht auf die Kandidatur, sofern Markus Söder nicht noch einmal dazwischenfunkt. In der Union allerdings kursiert inzwischen auch ein anderes Szenario: Den größten Dienst an der Partei, sagt ein Bundestagsabgeordneter der Union, würde Merz ihr erweisen, wenn er sie stabilisiere, mit Umfragewerten jenseits der 30 Prozent ins Wahljahr 2025 führe – und dann die Kanzlerkandidatur einem anderen überlasse, zum Beispiel dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Der gilt, anders als Daniel Günther aus Schleswig-Holstein, auch in der bayerischen Schwesterpartei als vermittelbar und hat, was Friedrich Merz bisher nicht hat: schon einmal eine Wahl gewonnen.
Friedrich Merz könnte es als Kanzlerkandidat bei der nächsten Bundestagswahl wissen wollen
Bei der nächsten regulären Bundestagswahl wäre der Kandidat Merz fast 70 Jahre alt – das muss kein Nachteil sein, ein Vorteil aber ist es auch nicht. Trotzdem deutet vieles darauf hin, dass er es am Ende selbst wissen will. Seine neue, nicht mehr so kantige Brille steht geradezu symbolhaft für den neuen Merz, der nicht mehr so kühl und schneidend daherkommt und sich auch in der Sache Mühe gibt, sein Image als konservativer Hardliner abzustreifen. Eine Frauenquote in der CDU? Für Merz zumindest einen Versuch wert. Ein soziales Pflichtjahr? Nicht allzu populär in der Union, aber für ihn kein Tabu. Er sei überrascht, sagt er, wie groß die Zustimmung unter den Jugendlichen dafür sei.
Nach dem Laschet-Söder-Debakel im vergangenen Jahr hat die CDU ihn mit einem enormen Vertrauensvorschuss ausgestattet. An der Basis hatte er zwar immer schon eine große Fangemeinde, die umso größer wurde, je weiter Angela Merkel die Partei aus ihrer liberal-konservativen Ecke heraus geführt hat. Unter den Abgeordneten, den Parteifunktionären und den vielen Einflüsterern im politischen Berlin aber galt Merz lange als frustrierter Solist, angetrieben von seinem Merkel-Trauma und außerhalb der konservativen Stammkundschaft schwer vermittelbar. Einer, auf den die Menschen eher zweifelnd als interessiert schauen. Der in der Wirtschaft ein Millionenvermögen verdient hat und mit dem Privatflugzeug durch die Republik jettet. Das riecht geradezu nach fehlender Bodenhaftung – wie einst bei Peer Steinbrück, der bekannte, eine Flasche Pinot Grigio, die nur fünf Euro koste, komme ihm nicht ins Haus.
Auch Friedrich Merz hat bisher seine Mühe mit der CDU
Ist Merz also der Steinbrück der Union – rhetorisch brillant, fachlich über jeden Zweifel erhaben, aber weit weg vom wahren Leben und nicht wirklich geliebt von den Seinen? Der Beifall für seine Rede in Hannover spricht gegen diese These. Andererseits hat er auch eine Partei übernommen, deren Zustand mit „ausgelaugt“ noch freundlich umschrieben ist, die viel zu lange auf Angela Merkel fixiert war und sich selbst darüber vergessen hat. Auch Merz hat nach acht Monaten im Amt noch seine Mühe mit dieser CDU. Seine erste Büroleiterin war schnell wieder weg, ihren Nachfolger hat er ebenfalls schon wieder abberufen, der von ihm zum Generalsekretär beförderte Berliner Mario Czaja kämpft vergebens um bundesweite Aufmerksamkeit – und auch an der Parteispitze klafft hinter Merz eine große Bekanntheitslücke.
Wer kennt schon Sylvia Breher, Karin Prien, Andreas Jung oder Carsten Linnemann, allesamt stellvertretende Parteivorsitzende? Allein der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat in der zweiten Reihe noch einen gewissen Namen, wenn auch einen eher zweifelhaften, weil er neuerdings als Russland-Versteher gilt.
Wofür Friedrich Merz als Kanzlerkandidat stünde, ist bisher nicht klar
Allerdings ist auch Merz nicht fehler- und friktionsfrei durch seine ersten Monate als Parteichef gekommen. Die CDU hat die letzten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zwar überraschend deutlich gewonnen, getuschelt aber wird draußen, auf den Fluren, sehr wohl. Warum nur hat der Parteichef für eine Veranstaltung erst zu- und dann wieder abgesagt, bei der ein bekennender Trump-Fan so etwas wie der Stargast war? Musste das mit der Frauenquote wirklich sein? Hat die CDU keine anderen Sorgen? Und überhaupt: Was ist heute eigentlich noch konservativ und wie bildet sich das im neuen Parteiprogramm ab? Einen Kandidaten für das Kanzleramt zu haben, ist das eine. Aber wofür soll dieser Kandidat stehen?
Als Oppositionsführer muss Merz , kraft Amtes, ja vor allem dagegen sein. Die Gasumlage? „Von Anfang an eine Fehlkonstruktion.“ Das dritte Entlastungspaket der Koalition? „Ein Sammelsurium an Kompromissen auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners,“ sagt Merz, als er in dieser Woche die Generaldebatte im Bundestag eröffnet. Mit sicherem Blick legt der CDU-Chef dort seine Finger in die offenen Wunden der Koalition und reizt den Kanzler damit offenbar so sehr, dass der sein Manuskript zur Seite legt und zurückkeilt, als stünde er schon mitten im nächsten Bundestagswahlkampf. Es ist ein Schlagabtausch, wie das Parlament ihn lange nicht mehr erlebt hat, weil Angela Merkel 16 unaufgeregte Jahre lang auch die schärfste Kritik immer stoisch an sich abperlen ließ. Mit Scholz und Merz aber, so scheint es, haben zwei Antipoden sich gefunden. Zwei, die sich nichts schenken, was für einen Wahlkampf nicht die schlechtesten Voraussetzungen wären – sofern Merz denn will.
„Opposition kann etwas bewirken,“ sagt er in Hannover. Als er vor ziemlich genau 50 Jahren in die CDU eingetreten sei, sei die CDU ja auch in der Opposition gewesen. Damals allerdings dauerte es noch zehn Jahre, bis Helmut Kohl Kanzler wurde. Diese Zeit hat Friedrich Merz nicht mehr.