Es ist keineswegs so, dass Angela Merkel das Band zur CDU komplett durchtrennt hat, nachdem 2021 ihre Kanzlerschaft endete. Ende Mai etwa wird die Alt-Kanzlerin in der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung die Laudatio auf den Schauspieler Ulrich Matthes halten. Mehr CDU will die langjährige Vorsitzende aber gerade nicht. Der Auftritt in der Stiftung hat damit zu tun, dass Matthes und Merkel befreundet sind. Das Verhältnis zwischen ihr und der größten Volkspartei des Landes hingegen darf als ambivalent bezeichnet werden. Bei dem am Montag beginnenden CDU-Bundesparteitag ist kein Auftritt der Alt-Kanzlerin geplant. Mehr noch: Die Partei beschließt am Dienstag ein neues Grundsatzprogramm und verabschiedet sich darin von der Ära Merkel.
Für CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geht es darum, „dass man einige Fehler korrigiert“, die in Merkels 16-jähriger Regierungszeit passiert seien. Beispielsweise in den Bereichen Migration und Energie. Vor allem Ersteres treibt die Christdemokraten um, es wird nach ihrer Einschätzung das bestimmende Thema zur nächsten Bundestagswahl sein.
CDU will eine restriktivere Flüchtlingspolitik
Merkel hatte zumindest in den Jahren 2015/2016 eine vergleichsweise offene Flüchtlingspolitik vertreten. Die CDU von heute tut sich schwer mit solch einem Zugang. Wie schwer, das zeigt allein die Suche nach einer geeigneten Definition des Begriffs Islam im Grundsatzprogramm. „Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland“, hieß es zunächst. Jetzt steht dort der Satz: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland."
Ferner heißt es: „Wir wollen die Kontrolle über die Migration zurückerlangen.“ Die Zuwanderung soll auf ein Maß reduziert werden, „das die Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht überfordert und zugleich unserer humanitären Verantwortung gerecht wird“. Die Unterscheidung in gute und schlechte Flüchtlinge setzt sich fort. „Wir wollen mehr Humanität bei der Aufnahme von Schutzbedürftigen schaffen“, geht es im Text weiter, die Betonung liegt auf „Schutzbedürftigen“. Andere sollen spätestens an den EU-Außengrenzen abgewiesen werden, deshalb setzt sich die CDU „für einen grundlegenden Wandel des europäischen Asylrechts ein“.
CDU will die Energieversorgung sicherer machen
Beim Thema Energie geht es im Grundsatzprogramm darum, „ein größeres und sicheres Energieangebot“ für die Industrie zu schaffen. Die Angst vor einer Abwanderung deutscher energieintensiver Industrie ins Ausland einerseits und die nachlassende Attraktivität des Standorts für ausländische Investoren andererseits sitzt tief. Dass Merkel den Atomausstieg so konsequent und schnell vollzog, nehmen ihr viele in der Partei heute noch übel. Darüber hinaus hat sich die Welt seit der Auflage des derzeit noch gültigen dritten Grundsatzprogramms der Partei von 2007 enorm verändert. Der Einmarsch der Russen in die Ukraine etwa hatte bekanntlich massive Auswirkungen auf die deutsche Energiepolitik.
Merkel ist beim Volk immer noch sehr beliebt, ein allzu kritischer Umgang mit ihrem politischen Erbe ist deswegen heikel für die Parteispitze. „Wir werden auch in Zukunft Fehler machen“, trat Linnemann dem Eindruck entgegen, dass nun alles bei Merkel abgeladen werde. Man wolle „schon gar keinen Bruch mit einer Person machen“, sagte er. Es gehe vielmehr darum, mit dem neuen Grundsatzprogramm Wege für die nächsten 10, 15 Jahre aufzuzeigen, „die dem Land Mut und Optimismus machen“.
Zu Parteitagsbeginn steht CDU-Chef Friedrich Merz zur Wiederwahl
Genau 1001 Delegierte und rund 800 Gäste werden sich ab Montag im Hotel Estrel in der Neuköllner Sonnenallee versammeln. Vor dem Hintergrund des Grundsatzprogramms könnte es Debatten über den geltenden Abgrenzungsbeschluss der CDU zur Linkspartei geben, der Koalitionsmöglichkeiten für die CDU bei den Landtagswahlen stark einschränkt. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther hatte genau damit Staub aufgewirbelt. In einem Interview mit der Frankurter Allgemeinen Zeitung warb er für eine Zusammenarbeit der Thüringer CDU mit Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken in dem politisch umkämpften Bundesland. Auf Bundesebene sprach er sich für eine Koalition mit den Grünen aus. Doch damit nicht genug. In einem zweiten Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe rief er seine Partei auf, sich wieder an der Politik der Alt-Kanzlerin zu orientieren. "Viele, die unter Merkel CDU gewählt haben, erreichen wir im Moment nicht", sagte er. Günther schoss also mehrere Spitzen gegen Friedrich Merz ab.
Das Vorgehen des Norddeutschen rief sogar die Schwesterpartei CSU aus dem Süden der Republik auf den Plan. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies Günthers Vorstoß unmittelbar zurück. "Die Grünen kann ich mir als Partner im Bund nicht vorstellen. Ich warne auch davor, zu viel Nähe zum grünen Ampel-Hauptproblem zu zeigen, damit bekommt man nur selbst ein Problem", sagte Dobrindt unserer Redaktion. Die Grünen disqualifizierten sich mit ideologischer Politik und polarisierten die Gesellschaft. "Sie stehen für Abschwung und Deindustrialisierung", legte der CSU-Mann nach.
Neben den Fragen politischer Zusammenarbeit wäre das Thema Islam ein weiterer möglicher Diskussionspunkt, bei dem es auf dem Parteitag emotionaler werden könnte.
Zu Parteitagsbeginn steht CDU-Chef Friedrich Merz zur Wiederwahl. 2022 holte er 95,33 Prozent der Stimmen, es wird mit einem ähnlich guten Ergebnis gerechnet. Merz wandelt nach mehreren Anläufen auf den Spuren seiner früheren Konkurrentin Merkel und er gehört wohl zu denjenigen, die den dicksten Schlussstrich unter ihre Regierungszeit ziehen würden. Zu Merkels Geburtstagen hielt sich Merz als Gratulant bislang demonstrativ zurück. Am 17. Juli steht der 70. Geburtstag der Alt-Kanzlerin an, nach einer größeren CDU-Sause sieht es aber nicht aus. Man sei da, sagte Generalsekretär Linnemann kurz angebunden, „in guten Gesprächen“.