Dieses Bild aus dem Reichstag ist kaum zu glauben. Zwei Anführer von CDU und CSU stehen einträchtig nebeneinander und lächeln um die Wette. Es sind Friedrich Merz und Alexander Dobrindt. Merz ist vor wenigen Minuten zum neuen Chef der Unionsfraktion gewählt worden – mit 89,5 Prozent. „Wir sind jetzt Opposition. Wir haben den Auftrag, Alternativen zu entwickeln“, spricht Merz nach der Wahl in die aufgereihten Kameras. Nach der Höflichkeit kommt die erste Spitze gegen die neue Koalition. „Die Bundesregierung arbeitet handwerklich schlecht.“
Vor 20 Jahren war der 66-Jährige schon einmal Fraktionschef, dann entmachtete ihn Angela Merkel. Die Altkanzlerin ist seit einigen Wochen im Ruhestand und ihr Rivale der neue starke Mann der CDU – Parteichef und Oppositionsführer im Bundestag. Dobrindt ist als Landesgruppenchef der zweite Mann der Fraktion. Er konzentriert sich voll auf das Signal der Geschlossenheit: „Es gilt Teamplay zwischen CDU und CSU und Powerplay gegen die Regierung.“
Der Appell ist bitter notwendig. Vor nicht mal einem Jahr war das ganz anders. Damals im April war ein brutaler Machtkampf zwischen den beiden Schwesterparteien ausgebrochen. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder wollte Armin Laschet mit blitzendem Ehrgeiz die Kanzlerkandidatur entreißen. Es misslang. Die Niederlage konnte Söder nicht verwinden. Seine stetigen Sticheleien ließen Laschet in der Gunst der Wähler stürzen. Olaf Scholz von der SPD wurde Kanzler, die CDU verlor die Macht. Söder musste bislang keinen Preis für seine Illoyalität zahlen. Seinen Egotrip hat er beendet. Er und die Großen der CSU unterstützen Merz, der die CDU wieder aufrichten will. Merz ist bislang ziemlich erfolgreich darin. Er hat den bisherigen Fraktionschef Ralph Brinkhaus dazu gebracht, freiwillig und ohne zwischenmenschliche Hässlichkeiten auf seinen Posten zu verzichten. Laschet tritt auch nicht nach. In der CDU ist der Machtkampf fürs Erste geklärt. Aufbrechen könnte er wieder, wenn die vier anstehenden Landtagswahlen enttäuschend ausgehen. Doch die Ausgangslage ist besser als noch zum Jahreswechsel gedacht.
Bei der CDU sorgt Merz dafür, dass sich auch Innenpolitiker dem riskanten Kurs anschließen
In den Umfragen steht die Partei wieder vor der SPD, die seit der Machtübernahme einige Zähler verloren hat. 26, 27 Prozent gegen 22, 23 Prozent. Einigkeit wirkt. Die Einigkeit steht auf zwei Pfeilern. Erstens auf der Einsicht, dass Uneinigkeit Mist ist. Und zweitens auf der Annahme, dass die neue Regierung verwundbar ist. Deshalb attackiert die Union die Ampel-Koalition, wo es nur geht. Wegen der nach oben schießenden Strom- und Spritpreise, dem vermeintlichen Schweigen des Kanzlers, der geplanten Zuwanderung Zehntausender und wegen der vermaledeiten Impfpflicht. Söder und Merz gehen bei Letzterer sogar ein hohes Risiko, was die Sozialdemokraten mit einer Mischung aus Verblüffung und Verärgerung beobachten.
Der Ministerpräsident Bayerns hat sich entschieden, die Impfpflicht für die Beschäftigten von Kliniken, Praxen, Altenheimen und Pflegediensten brutal zu stoppen. Unterstützt von Merz macht er SPD, Grüne und FDP dafür verantwortlich, ein schlechtes Gesetz geschrieben zu haben. Wohlgemerkt hat diesem Bayern Ende vergangenen Jahres im Bundesrat zugestimmt. Um das Ampelbündnis vorzuführen, riskieren die aus ihrer eigenen Wahrnehmung tragenden Parteien Bayerns und Deutschlands, dass die Rechtsordnung Schaden nimmt. Dadurch nämlich, dass sich einzelne Ministerpräsidenten einfach weigern, Bundesrecht umzusetzen. Für konservative, stabilitätsorientierte Parteien ist das keine Kleinigkeit.
Bei der CDU sorgt Merz dafür, dass sich auch die Innenpolitiker der Partei dem riskanten Kurs anschließen. Leichter macht es Rot-Grün-Gelb der schwarzen Opposition bei der allgemeinen Impfpflicht. Es gibt in der Koalition kein Einvernehmen und mehrere Vorschläge. Es ist unsicher, ob sie bei dem umstrittenen Vorhaben überhaupt eine Mehrheit zustande bringt. Die Vorstellungen reichen von einer Pflicht zur Spritze ab 18 Jahren bis zur Ablehnung einer Pflicht. Es droht also eine Blamage. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sieht sich sogar gezwungen, die Union um Zusammenarbeit zu ersuchen. Merz nimmt das Angebot nach seiner Kür an, schiebt aber direkt nach, dass seine Fraktion nicht den Ausputzer spielen wird. Denn die Union hat mittlerweile einen eigenen Vorschlag vorgelegt. Dieser knüpft die Impfpflicht an so viele Bedingungen, dass sie de facto nicht kommen kann. Merz als Oppositionschef kann das egal sein. Er hat einen eigenen Entwurf und kann nun genüsslich in der Wunde rumstochern, dass es die Ampel nicht kann.
Als Schwachpunkt im Ampelbündnis haben CDU und CSU die FDP ausgemacht
Dem ständigen Angriff auf die Ampel muss sich die interne Organisation der Partei unterordnen. Die für die Themen zuständigen Fachpolitiker arbeiten an einer Flut an parlamentarischen Anträgen, um die Regierung unter Druck zu setzen. Merz, so sagen es seine Fachleute, gibt nicht von oben seine Positionen durch, sondern will sich ihr Wissen zunutze machen. Nach außen tritt Merz deutlich weicher auf, um nicht das alte Feindbild des wirtschaftsfreundlichen Millionärs zu bedienen. „Die Sozialpolitik wird ein wichtiger Bestandteil der Oppositionsarbeit im Bundestag werden“, sagte der Chef der Arbeitnehmergruppe, Axel Knoerig, unserer Redaktion.
Der Vorteil an der Opposition ist, dass man sich um die Finanzierung und Umsetzung nicht scheren muss. Als Schwachpunkt im Ampelbündnis haben CDU und CSU die FDP ausgemacht. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner will 60 Milliarden zusätzlich an Schulden aufnehmen. Die Abgeordneten von CDU und CSU müssen nicht viel mehr tun, als alte Reden Lindners hervorkramen und sie ihm genüsslich unter die Nase halten. Davor fürchten sich die Liberalen. Fürchtet sich die FDP, kommt Unruhe in die Ampel. Uneinigkeit, das wissen sie bei der Union, ist Mist.