Die von der Ampel beschlossene Cannabis-Legalisierung führt zu ungewöhnlichem Rollenverhalten in der Bundesregierung. Zuerst lag es ausgerechnet am Bundesgesundheitsminister, die umstrittene Drogenfreigabe in Bundestag und Bundesrat durchzukämpfen. Nun folgt nach dem Vorbild des SPD-Manns Karl Lauterbach Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der nun bemerkenswerterweise für höhere erlaubte Rauschgift-Blutwerte im Straßenverkehr wirbt.
FDP-Mann Wissing übergeht für Cannabis zuständige Grenzwertkommission
Der FDP-Minister musste für das Ziel sogar eine „Unabhängige Expertenkommission“ einsetzen. Denn die offiziell dafür zuständige „Grenzwertkommission“ konnte sich nicht darauf einigen, eine Erhöhung des bisherigen Cannabis-Maximalwerts von 1,0 Nanogramm der Rauschmittelsubstanz THC im Blut vorzuschlagen. Wissings neue Kommission will den Blutwert nun auf 3,5 Nanogramm verdreifachen und beruft sich dabei auf Studien unter anderem aus Australien, Kanada und den Niederlanden, die Unfallgefahren und Fahrtüchtigkeit untersucht hatten.
Wissing hatte kurz vor der Empfehlung der Kommission deutlich gemacht, dieser folgen zu wollen. Der jetzige Grenzwert 1,0 Nanogramm pro Milliliter Blut ist laut Fachleuten die kleinstmöglich sicher nachweisbare Konzentration und damit faktisch eine 0,0-Grenze "Das wäre ein Konsumverbot über das Verkehrsrecht", sagte Wissing der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Das will ich nicht", betonte er.
CSU möchte gegen Pläne der Ampel-Koalition vorgehen
Bislang nimmt die Polizei bei Drogenverdacht bei Verkehrskontrollen in der Regel einen Speichelschnelltest. Ist er positiv oder weigert sich der Betroffene, wird eine Blutprobe ähnlich wie bei Trunkenheitverdacht veranlasst. Bei Gelegenheitskonsumenten üblicher Cannabis-Mengen sind die Rauschmittelreste meist nach fünf bis zwölf Stunden im Blut abgebaut. Bei häufigem Konsum dauert es jedoch selbst in nüchternem Zustand oft mehrere Tage nach der letzten Dosis, bis die Werte unter ein Nanogramm fallen.
Der Vertreter der Landesinnenminister in Wissings Expertengruppe lehnte im Auftrag der Polizei von Bund und Ländern aus Verkehrssicherheitsgründen die Erhöhung des bisherigen Grenzwerts ab. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kündigt Widerstand im Bundesrat gegen eine Gesetzesänderung an, der die Länder zustimmen müssten. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass die bisherige Regelungslage zum THC-Grenzwert nicht durch eine Gesetzesänderung aufgeweicht wird“, sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion. „Leider ist es seitens des Bundes unterblieben, die Länder in einem früheren Stadium bei der Entscheidungsfindung einzubinden. Es sollten erst Erfahrungen gesammelt werden, bevor auf die Schnelle ein neuer höherer Grenzwert für die Teilnahme am Straßenverkehr aus dem Hut gezaubert wird, ohne dass für den deutschen Straßenverkehr belastbare Erkenntnisse vorliegen.“
Bayern kündigt härtere Cannabis-Kontrollen im Verkehr an
Herrmann kündigte an, die Einhaltung der bisherigen Grenze im Freistaat noch schärfer zu kontrollieren. „Durch die Legalisierung von Cannabis müssen wir leider mit einem erheblichen Anstieg der Fahrten unter Drogeneinfluss und mit höheren Unfallgefahren rechnen“, warnte er. „Die bayerische Polizei wird bei Verkehrskontrollen verstärkt auf Drogeneinfluss achten. Dazu können spezielle Schnelltests genutzt werden, die in ausreichender Zahl bei der bayerischen Polizei vorhanden sind.“
Er erwarte vom Bund eine kritische Überprüfung der Empfehlungen der Expertengruppe. „Hinsichtlich der Arbeit der Expertenkommission ist auffällig, dass die Statements renommierter Wissenschaftler, die sich klar gegen eine Änderung des THC-Grenzwertes aussprachen, nicht bei der Empfehlung berücksichtigt wurden“, kritisierte der Minister. Umgesetzt sollten nur solche Punkte werden, die tatsächlich der Verkehrssicherheit dienen. „Hierzu zählt insbesondere, für Cannabiskonsumenten ein absolutes Alkoholverbot am Steuer vorzusehen“, sagte er.
Die Fachleute weisen darauf hin, dass der weitverbreitete gleichzeitige Konsum von Cannabis und Alkohol selbst unter der 0,5 Promillegrenze das Risiko schwerer Unfälle laut Studien deutlich erhöhe. „Im Unterschied zum körpereigenen Abbau von Alkohol unterliegt der Abbau von THC keiner Regelmäßigkeit“, erklärt auch Innenminister Herrmann. „Der Zeitpunkt der Fahrtüchtigkeit nach erfolgtem Cannabiskonsum ist für Konsumentinnen und Konsumenten daher nur schwer abschätzbar. Ein Mischkonsum mit Alkohol macht dies noch unberechenbarer.“
Auch deshalb sehe man die vorgeschlagene Anhebung des bisher bundesweit gültigen Wertes sehr kritisch. „Denn für uns hat im Straßenverkehr die Verkehrssicherheit absolute Priorität“, betonte Herrmann. „Dass der Besitz bestimmter Mengen Cannabis ab 1. April straffrei ist, bedeutet nicht, dass damit Fahren unter Cannabis-Einfluss ungefährlicher wird.“