Zwischen baufälligen Baracken, rostigen Containern, Wohnwagen und roh gezimmerten Hütten torkelt ein Mann mit verstrubbelten Haaren, trotz der Kälte nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet. Ein handgepinseltes Schild verkündet "Klimaschutz heißt Eat the Rich" (,,...esst die Reichen"), andere Graffitis protestieren gegen die Gentrifizierung, eine Stadtentwicklung, von der vermeintlich nur Wohlhabende profitieren. Die Gassen zwischen den Behausungen sind vollgestopft mit rostigen Fahrradteilen, alten Möbeln und verwitterten Kunstobjekten, etwa aus Gasmasken und Stahlhelmen.

Polizisten in schusssicheren Westen sperren den Zugang zur Wagenburg in der Nähe des Bahnhofs Ostkreuz ab, in der sich der gesuchte RAF-Terrorist Burkhard Garweg (55) versteckt haben soll - womöglich jahrelang. Während gleich um die Ecke die letzten Arbeiten an einem luxuriösen Wohn- und Bürokomplex laufen, parken auf dem Parkplatz des Lidl-Marktes gegenüber der informellen Siedlung zahlreiche Mannschaftswagen der Polizei.
Razzia mit Blendgranaten
Am Sonntagmorgen hatten schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei das "Fips" ("Friedrichhainer Infrastrukturprojekt in Selbstverwaltung") durchsucht, dabei wurden offenbar Blendgranaten eingesetzt. Doch Garweg trafen die Fahnder nicht an. Der rund acht Meter lange, mit Blech verkleidete Bauwagen, in dem er nach Angaben des federführenden Landeskriminalamts Niedersachsen mit hoher Wahrscheinlichkeit gelebt hat, wurde am Montagmorgen zur Spurensicherung abtransportiert.

Zwei weitere Razzien in Wohnungen in Friedrichshain am Sonntagabend und Montagvormittag führten ebenfalls nicht zur Ergreifung von Garweg oder dem ebenfalls flüchtigen Ernst-Volker Staub (69). Wie die vor rund einer Woche in Berlin-Kreuzberg festgenommene Daniela Klette (65) gehörten sie der dritten Generation der linksextremistischen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) an, die für zahlreiche Morde und Anschläge verantwortlich ist. Nachdem die RAF 1998 ihre Auflösung verkündete, finanzierte das Trio sein Leben im Untergrund offenbar mit einer Serie von Raubüberfällen.
Schwierige Suche in Vier-Millionen-Stadt
Die Suche nach den Terroristen haben die Behörden nie aufgegeben. Nach der Festnahme Klettes konzentrieren sich die Fahnder nun auf Garweg und Staub. Doch ob sie Berlin längst verlassen haben oder sich noch hier aufhalten, dazu gibt es am Montag keine offiziellen Angaben. Insider aus den Sicherheitsbehörden wissen, wie herausfordernd die Fahndung nach flüchtigen Personen gerade in der Hauptstadt ist. Berlin bietet unter allen Städten in Deutschland die besten Voraussetzungen, um scheinbar spurlos zu verschwinden. Das liegt nicht nur an der schieren Größe, fast 3,9 Millionen Menschen leben offiziell hier, tatsächlich dürften es weit über vier Millionen sein.
Viele Bewohner sind nicht offiziell gemeldet, von der Anonymität profitierten offenbar auch Klette, Garweg und Staub - rund drei Jahrzehnte lang. Ob in den Hochhausvierteln und Häuserzeilen im alten Westen, oder in den Plattenbausiedlungen aus DDR-Zeiten - nicht selten leben Menschen jahrelang Wand an Wand, ohne jemals ein Wort zu wechseln. Allzu großer Heimlichtuerei bedarf es indes offenbar gar nicht, um unter dem Radar der staatlichen Fahnder zu fliegen, das zeigt der Fall von Daniela Klette. Die mutmaßliche RAF-Terroristin lebte unter dem falschen Namen "Claudia Ivone" unbehelligt in einem Kreuzberger Wohnblock, bis sie schließlich festgenommen wurde. Mit Garweg und Staub stand sie offenbar regelmäßig im Kontakt. Aus Klettes Wohnung stammen laut Polizei die neuen Fotos, mit denen nun nach den beiden Männern gefahndet wird. Mit längeren Ermittlungen und weiteren Durchsuchungen sei zu rechnen, sagt die Polizei.