Die Ampel-Fraktionen und die Union haben sich darauf geeinigt, noch vor der Bundestagswahl zentrale Vorgaben zur Struktur des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz zu verankern. Damit wollen sie nach eigener Aussage die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Gerichts auch in politisch stürmischen Zeiten sicherstellen.
«Wir müssen unsere Demokratie wehrhaft und resilient aufstellen», sagte der Grünen-Fraktionsvize, Konstantin von Notz, am Dienstag bei der Vorstellung der Grundzüge des geplanten Gesetzentwurfs. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erinnerte daran, eine Lehre aus der Weimarer Republik sei, dass «das Mehrheitsprinzip alleine nicht sicherstellen kann, dass jede Mehrheit unter allen Umständen immer die Verfassung wahrt und insbesondere auch die Grundrechte der Menschen respektiert».
Bisher sind Änderungen, die das Risiko einer Blockade oder politischen Instrumentalisierung des Karlsruher Gerichts bergen, theoretisch mit einer einfachen Mehrheit möglich. Für eine Änderung oder Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes ist dagegen immer eine Zweidrittelmehrheit im Bundestages und im Bundesrat erforderlich.
Welche Strukturvorgaben ins Grundgesetz sollen
Die zwölfjährige Amtszeit der Richter und den Ausschluss einer Wiederwahl sowie die Altersgrenze der Richter von 68 Jahren möchte man in der Verfassung festschreiben. «Wir verhindern, dass, wie in Osteuropa geschehen, durch Schaffung neuer Senate oder die Herabsetzung der Altersgrenze neue Verfassungsrichterstellen geschaffen werden, die mit Günstlingen besetzt werden können», erklärte Johannes Fechner (SPD). Im Grundgesetz verankert werden soll künftig auch die Festlegung auf 16 Richter und zwei Senate. Damit die Arbeitsfähigkeit des Gerichts in jedem Fall nicht gefährdet ist, soll im Grundgesetz dann außerdem stehen, dass ein Richter seine Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterführt.
Das Bundesverfassungsgericht wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes. Es bestimmt Zuständigkeiten und Grenzen für das Handeln des Staates. Besondere Bedeutung hat es für die Durchsetzung der Grundrechte. Damit auch in Zukunft niemand an diesen Prinzipien rütteln oder Urteile ignorieren kann, wollen die Ampel-Fraktionen und die Union den Status des Gerichts sowie die Bindungswirkung seiner Entscheidungen ebenfalls auf die Ebene der Verfassung heben. Das Gleiche gilt für die Geschäftsordnungsautonomie, also den Grundsatz, dass das Bundesverfassungsgericht seine inneren Angelegenheiten selbst regeln darf. Das möge banal klingen, sagte Andrea Lindholz (CSU), stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, betreffe aber unter anderem auch die im konkreten Fall nicht irrelevante Frage, in welcher Reihenfolge Akten bearbeitet werden.
Anti-Blockade-Mechanismus
Eine Öffnungsklausel im Grundgesetz soll überdies dafür sorgen, dass bei der Wahl neuer Richter das jeweils andere Wahlorgan einspringen kann, wenn es im Bundestag oder im Bundesrat über einen längeren Zeitraum keine Zweidrittelmehrheit für einen Kandidaten geben sollte. An dem Grundsatz, dass die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts jeweils zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden, soll aber festgehalten werden.
Einigung nach acht Beratungssitzungen
Die geplante Reform ist das Ergebnis vertraulicher Beratungen von Vertretern der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU unter Beteiligung des Bundesjustizministeriums. «Das Bundesverfassungsgericht ist Schutzschild der Grundrechte, aber sein eigener Schutzschild braucht noch mehr Widerstandskraft», sagte Justizminister Buschmann. Es sei gut, dass ein Mechanismus gefunden worden sei, um etwaige Blockaden bei Verfassungsrichterwahlen zu verhindern, findet der Justiziar der Unionsfraktion, Ansgar Heveling. «Damit ist das Bundesverfassungsgericht auch für stürmische politische Zeiten gerüstet.»
Warum ist die Reform aus Sicht von Ampel und Union jetzt nötig?
Die Verankerung der Stellung des Gerichts in der Verfassung selbst diene der Stärkung der Unabhängigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit, hieß es in einem gemeinsamen Papier der vier Fraktionen. Dass dies notwendig sei, begründen die beteiligten Parlamentarier nicht etwa mit dem Auftauchen neuer Parteien wie der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Vielmehr verweisen sie auf Bestrebungen «in einzelnen europäischen Ländern», die darauf gerichtet seien beziehungsweise waren, die Unabhängigkeit der Justiz infrage zu stellen. Unter anderem Erfahrungen aus Polen wurden in die Überlegungen einbezogen. In Polen hatte die mittlerweile abgewählte nationalkonservative PiS-Regierung, die das Land von 2015 bis 2023 führte, gleich nach ihrem Antritt damit begonnen, das Justizwesen nach ihren Vorstellungen umzubauen.
Der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund (DRB) begrüßten die Einigung. DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn sagte: «Die Beispiele Polens und Ungarns haben auf alarmierende Weise gezeigt, wie schnell selbst vermeintlich stabile Rechtsstaaten kippen können, sofern illiberale Kräfte es darauf anlegen.»
Kritik kommt von der AfD
Der stellvertretende AfD-Vorsitzende, Stephan Brandner, sagte, seine Fraktion habe im Bundestag in der Vergangenheit zur Resilienz der Demokratie eigene Vorschläge gemacht. Dass die AfD von der Arbeit an der geplanten Reform ausgeschlossen worden sei, zeige «die miserable demokratische Kultur unter der Ampel-Regierung».
Wie es jetzt weitergehen soll
Aus dem Bundestag dürfte schon bald ein Gesetzentwurf eingebracht werden. Länder, Verbände und auch das Bundesverfassungsgericht sollen in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden. Angestrebt ist eine Verabschiedung noch vor der Bundestagswahl im September 2025.
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