Es ist ein weiter Weg vom armen Flüchtlingskind aus Augsburg ins Schloss Bellevue nach Berlin. Natalya Nepomnyashcha hat ihn zurückgelegt und ist dafür im Festsaal von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden. Sie hat den sozialen Aufstieg zur Unternehmensberaterin geschafft.
Das allein ist eine Leistung, aber nicht der Grund für den Orden. Ausgezeichnet hat sie das Staatsoberhaupt, weil sie mit ihrem „Netzwerk Chancen“ anderen zeigt, wie man nach oben kommt. „Denn auch ihnen will sie den Weg bereiten, einen Beruf auszuwählen, den sie wirklich ausüben wollen“, hieß es in der Begründung für ihre Ehrung.
Nepomnyashcha hat sich als Kind wochenlang nur von Kartoffeln ernährt
Die Worte sprach „Tagesschau“-Sprecherin Susanne Daubner, die durch die Zeremonie führte. Neben Nepomnyashcha stand der Bundespräsident, der ihr Urkunde und Orden überreichte. Die Deutsch-Ukrainerin war nicht die einzige Geehrte an diesem Tage. Direkt nach ihr erhielt der bayerische Kabarettist Gerhard Polt den Orden, weil er Leute zum Lachen bringt, wie Daubner erklärte. „Und das große Publikum des Bayern reicht weit über seine Heimat hinaus, erreicht das ganze Land, Jung wie Alt. Seit Jahrzehnten prägt Gerhard Polt als gesellschaftskritischer Künstler das deutsche Kabarett.“
Prominentester Neuzugang im Verdienstorden der Bundesrepublik ist der Fußballtrainer Jürgen Klopp, der für seine Verdienste um das Deutschlandbild in England ausgezeichnet wurde, wo er jahrelang den FC Liverpool trainiert hatte. Insgesamt erhielten 28 Männer und Frauen ein Verdienstkreuz für ihr ehrenamtliches Engagement, ihre Haltung, ihre Kunst oder für wissenschaftliche und unternehmerische Verdienste.
Natalya Nepomnyashcha kam im Jahr 2001 mit ihren Eltern als jüdische Kontingentflüchtlinge aus Kiew nach Augsburg. Sie war damals elf Jahre alt. Ihre Eltern fanden sich nicht wirklich in Deutschland zurecht, hatten keine richtigen Jobs. „Wir hatten nie eine finanzielle Sicherheit, hatten nie genügend Geld. Ich weiß noch, wie wir uns teilweise wochenlang nur von Kartoffeln ernährt haben“, erinnert sie sich heute an die ersten Jahre in der neuen Heimat.
In mir tief drinnen steckt die Angst, dass ich abrutschen könnte und wieder arm bin. Das kriege ich nicht aus meinem Kopf.
Natalya Nepomnyashcha, Unternehmensberaterin und Preisträgerin des Bundesverdienstkreuzes
Diese Erfahrung, unten zu sein, hat sich in ihre Psyche eingegraben und selbst der berufliche Erfolg kann dieses Gefühl nicht überschreiben. „In mir tief drinnen steckt die Angst, dass ich abrutschen könnte und wieder arm bin. Das kriege ich nicht aus meinem Kopf“, sagt Nepomnyashcha. „Wir von unten“ heißt ihr Buch, in dem sie die eigene Geschichte erzählt.
In ihrem Netzwerk werden junge Leute gefördert, um Karrierehindernisse zu überspringen. Die Gründerin weiß, dass Aufsteigern häufiger die Selbstsicherheit fehlt und sie von Zweifeln befallen werden, ob sie gut genug sind. „Es geht zum Beispiel um das Gefühl der Unterlegenheit, weil man nicht weiß, wie französische oder italienische Weine ausgesprochen werden oder die Handlung von Theaterstücken nicht kennt“, sagt sie.
„Netzwerk Chancen“ hilft Menschen ohne Abitur nach oben
Im Netzwerk helfen Mentoren auf dem Weg nach oben. Und natürlich der Austausch untereinander. Unterstützt werden sollen ausdrücklich nicht nur Studenten, sondern auch Gründer, die vielleicht eine Handwerksfirma aufziehen wollen. „Es geht darum, ein glückliches Berufsleben zu führen“, sagt Nepomnyashcha. Ihr eigener Weg verlief nicht gerade. Über Umwege gelang ihr auch ohne Abi der Master in Internationale Beziehungen an einer britischen Uni.
Sie hält es für einen Skandal, dass Deutschland zwar seit Jahren weiß, wie ungerecht das Bildungssystem hierzulande ist, aber dennoch wenig dagegen tut. „Wer nicht auf das Gymnasium geht, dem wird schon sehr früh eingeredet, dass er nicht gut genug ist“, meint sie. Nepomnyashcha will mit ihrem Buch eine Debatte darüber anstoßen. Wenn das nichts bringt, muss aus ihrer Sicht in der Wirtschaft eine Quote für soziale Aufsteiger eingeführt werden, ähnlich der Frauenquote. „Ich will nicht 100 Jahre warten“, sagt die Bundesverdienstkreuzträgerin.
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