Wer das Haus der Nebls betritt, merkt sofort: Familie steht hier im Mittelpunkt. Die Wände schmücken gerahmte Fotos der drei Kinder. Im Wohnzimmer hängt eine riesige Sitzschaukel wie ein Tipi von der Decke. In einer Ecke baumelt ein Kleiderständer mit Kostümen. In diesem Haus sind die Kindersachen nicht in eine Ecke verbannt und beige gehalten. Sie sind präsent und bunt. Genau wie die drei Töchter von Jasmin und David Nebl – Marla, 8, Elisa, 6, und Anna, 4. Kein Wunder also, dass die beiden auf die Frage nach ihrem größten Glück antworten: „Unsere Töchter!“
Eine Antwort, wie die meisten Eltern sie geben würden, zeigt eine Umfrage des Forschungsinstituts Insa. Drei Viertel der Befragten sagten, dass Kinder glücklich machen. Unter Eltern lag die Glücksquote bei 87 Prozent. Das Allensbach-Institut stellte fest, dass die Mehrheit der Eltern zwar überzeugt ist, dass jede Lebensform glücklich mache, aber kaum jemand mit Kinderlosen tauschen wollte. Für 80 Prozent der Eltern sind ihre Kinder das Wichtigste auf der Welt. Dazu kommt: Familie gibt Halt. Über 80 Prozent der Menschen würden sich in Krisenzeiten an ihre Familie wenden. Und nicht nur Eltern sind glücklicher: Vor kurzem kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass Großeltern, die sich um ihre Enkel kümmern, deutlich länger leben.
„Ich bin einfach froh, wie gut es uns geht.“
David Nebl, Dreifacher Papa
Glück, Zusammenhalt, ein erfülltes Leben – das ist Familie. Und so ist die Glücksliste der Nebls lang. „Ich bin einfach froh, wie gut es uns geht“, sagt David Nebl. Er schaut dabei aus dem großen Esszimmerfenster, deutet auf den Garten und das Haus um ihn herum. Seine Frau ergänzt: „Außerdem ist toll, dass unser Umfeld uns und unsere Tochter Elisa so akzeptiert, wie wir sind“, sagt sie. Denn Elisa hat „eins mehr“, wie ihre Mama sagt. Sie hat das Down-Syndrom. Das Chromosom 21 ist bei ihr drei- statt zweimal vorhanden.

„Wir haben das während der Schwangerschaft erfahren“, sagt Jasmin Nebl. „Die Diagnose war erst ein Schock. Danach sind wir heimgefahren und haben einen Nachmittag darüber gesprochen. An diesem Nachmittag kamen wir auf den Namen Elisa“, erzählt sie. „Danach haben wir uns einfach auf unser Kind gefreut.“ Sie ist Heilpädagogin und hat vor der Geburt ihrer Töchter an einer Förderschule gearbeitet.
Dass die beiden nach Elisa noch ein drittes Kind bekommen möchten, stand schnell fest. Auch wenn Anna, die jüngste Tochter, das eingespielte Familienleben durcheinander gewirbelt hat. Papa David erzählt: „Bevor Anna kam, waren Marla und Elisa so groß, dass wir als Eltern ab 20 Uhr Feierabend hatten. Dann hatten wir auf einmal wieder ein Baby, das keinen Feierabend kennt“, sagt er und lacht. Auch, weil Elisa so viel einfacher im Umgang war. „Sie ist einfach mitgelaufen“, erinnert sich Mama Jasmin.
Jedes Kind ist anders. Doch Elisas Beeinträchtigung bringt Herausforderungen mit sich. Das größte Ärgernis für die Eltern ist der andauernde Kampf mit Behörden, Verwaltungen, Ärzten. David Nebl nennt ein Beispiel: Als Elisa drei Jahre alt wurde, sollte sie in den Kindergarten kommen. Der ist nur ein paar Häuser entfernt. Ihre große Schwester Marla ging dorthin. Doch die Stadt wollte, dass Elisa einen Kindergarten besucht, der auf Kinder mit Behinderung spezialisiert ist.
Gefühlslage der Nation
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„Dabei ist es möglich, in jedem Kindergarten einen Einzel-Integrationsplatz zu bekommen, und eine Integrationshelferin zur Unterstützung. Und die Stadt muss das nicht einmal selbst bezahlen“, sagt Jasmin Nebl. Durch ihren Beruf wusste sie das. Aber andere Eltern? „Wir haben ein Jahr verhandelt, damit unser Kind in seinem sozialen Umfeld, bei uns im Ort, in den Kindergarten gehen konnte“, sagt sie. David Nebl ist verärgert, wenn er daran denkt, wie viel Zeit und Energie sie investieren müssen, um sich einen Weg durch den Verwaltungsdschungel zu bahnen — nur, weil offizielle Stellen zu wenig davon aufbringen.
Zwei Drittel der Eltern wünschen sich mehr Unterstützung vom Staat
Im Nachhinein hat sich der Kampf gelohnt. Weil die Integrationshelferin sie immer in den Kindergarten begleitet, kann Elisa öfter betreut werden. David Nebel erklärt es so: „Durch das Down-Syndrom ist Elisa anfälliger für Infektionen.“ Das heißt, ein Drittel der Zeit ist sie krank zu Hause. „Ohne Integrationshelferin wäre sie bei Personalengpässen auch noch die Erste, die nicht gebracht werden dürfte.“ Dann wäre sie noch einmal ein Drittel der Zeit zu Hause. „Jetzt aber ist sie die Letzte, die nicht kommen darf, weil die Erzieherinnen froh sind, wenn noch eine weitere erwachsene Person da ist, die mal nach den Kindern schaut“, sagt Nebl.
Damit spricht er ein Thema an, das alle Eltern von Kita-Kindern umtreibt: den Betreuungsnotstand. Denn neben all den Glücksfaktoren ist Familie auch zu einer Belastungsprobe geworden. So hat die Mehrheit der Eltern in der Allensbach-Umfrage den Eindruck, dass die Herausforderungen für Eltern steigen. Mütter spüren das mehr als Väter. Die Nachfrage nach Eltern-Kind-Kuren war in den vergangenen Jahren so hoch wie nie. Je geringer das Einkommen einer Familie ist, desto belasteter fühlt sie sich. Zwei Drittel der Eltern wünschen sich deshalb mehr staatliche Unterstützung.
„Ich bin überzeugt, dass Elisa ein ganz großes Glück für alle ist.“
Jasmin Nebl, Mama von drei Kindern
Dass Eltern sich heute oft belasteter fühlen, hat mehrere Gründe. Einer ist, dass in mehr Familien als früher beide Elternteile erwerbstätig sind. Damit das gelingt, muss die Kinderbetreuung funktionieren. Tut sie aber nicht. Und das zehrt an den Nerven. An denen der Eltern und an denen der Kita-Fachkräfte. Eine Umfrage ihres Berufsverbands hat jüngst ergeben, dass nur zehn Prozent der Krippen-Erzieherinnen ihr Kind in einer Krippe betreuen lassen würden. Denn wegen des Personalmangels scheint es den Fachkräften oft unmöglich, den Kindern gerecht zu werden.
Genau das, davon ist David Nebl überzeugt, sei das Problem unserer Zeit: „Egal wohin man schaut, es sind alle am Limit. Die Erzieherinnen, die Eltern, die Behörden, die Ärzte.“ Das Leben der Familie Nebl hat sich durch Elisa dagegen entschleunigt. Es gebe weniger Druck, sie alle lebten im Moment. Und so sagt Jasmin Nebl: „Ich bin überzeugt, dass Elisa ein ganz großes Glück für alle ist. Auch für die Kinder und Familien um uns herum.“
Als Teil unserer Bundestagswahl-Serie schauen wir uns auch die Parteiprogramme genauer an und dröseln auf, wie die Parteien zu unterschiedlichen Sachthemen stehen.

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