Angela Merkel und Franz Müntefering fackelten nicht lange. Um ihrer neuen Koalition mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen, vereinbarten sie kurz nach der Wahl 2005 eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte - und verhalfen Bund und Ländern so zu zusätzlichen Einnahmen von rund 20 Milliarden Euro im Jahr.
Die nächste Bundesregierung steht vor ungleich größeren Herausforderungen. In der Finanzplanung für das kommende Jahr klafft eine Lücke von 100 Milliarden Euro, die nur deshalb noch mit Krediten geschlossen werden kann, weil die Pandemie es noch ein weiteres Jahr erlaubt, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu lockern.
Ein Problem: Der demografische Wandel
„Der finanzielle Spielraum der künftigen Bundesregierung ist sehr eingeschränkt“ betont der Wirtschaftsprofessor Niklas Potrafke vom Münchner Ifo-Institut gegenüber unserer Redaktion. „Insbesondere der demografische Wandel stellt die Politik vor große Herausforderungen. Hinzu kommen notwendige Investitionen für Klimaschutz und Digitalisierung.“ Langfristig betrachtet seien die Staatsfinanzen bereits vor Corona kaum tragfähig gewesen, sagt Potrafke. Die Berechnungen seines Instituts hätten einen jährlichen Konsolidierungsbedarf von 1,5 bis 4,1 Prozent der Wirtschaftsleistung ergeben. Das wären umgerechnet zwischen 50 und 140 Milliarden Euro.
Ähnlich argumentiert Reiner Holznagel, der Präsident des Bundes der Steuerzahler. Angesichts der begrenzten Möglichkeiten, sagt er, „ist es umso wichtiger, alle Ausgaben in jedem Ministerium und jeder Behörde zu prüfen.“ Wie die neue Regierung ihre wichtigsten Aufgaben finanzieren soll, ist zwischen den designierten Koalitionspartnern allerdings noch umstritten.
Der liberale Haushaltsexperte Karsten Klein etwa sagt: „Es fehlt nicht an Mitteln, es fehlt an Projekten.“ So lägen im Energie- und Klimafonds, den Rücklagen für den Digitalpakt und ähnlichen Fördertöpfen noch rund 45 Milliarden Euro, die bisher nicht abgerufen worden seien. “Um zu investieren“, sagt Klein, „brauchen wir kein Aufweichen der Schuldenbremse.“
Grüne wollen die Schuldenregeln lockern
Die Grünen dagegen wollen mit einer reformierten Schuldenregel in zehn Jahren 500 Milliarden Euro zusätzlich in den Klimaschutz, die Digitalisierung oder bezahlbares Wohnen investieren und im Gegenzug klimaschädliche Subventionen für Diesel oder Kerosin im Volumen von gut drei Milliarden Euro jährlich abschaffen. „Wir schieben einen enormen Investitionsstau vor uns her, “ betont ihre Haushaltsexpertin Ekin Deligöz. „Es geht hier um Schulgebäude, Schwimmbäder, Spielplätze, Theater, aber auch um unsere Wasserversorgung oder die Feuerwehr.“
Im internationalen Vergleich stehe Deutschland, das nur 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung investiere, sehr schlecht da. Norwegen etwa komme auf sechs, Schweden auf knapp fünf Prozent.
Die Finanzplanung für die nächsten Jahre lässt bisher keine großen Sprünge zu. Vom Jahr 2023 an müssen die einzelnen Ressorts danach kräftig sparen. Dem Verkehrsministerium etwa würden dann bis zu neun Milliarden Euro jährlich fehlen, dem Entwicklungsministerium und dem Verteidigungsministerium jeweils um die drei Milliarden.
CSU-Haushaltsexperte Brandl: „Es gibt keine Spielräume“
Gleichzeitig muss der Bund den jährlichen Zuschuss zur Rentenversicherung bis zum Jahr 2025 um fast 20 Milliarden Euro erhöhen und im ungünstigsten Fall auch den für die gesetzlichen Krankenkassen noch einmal anheben. Auch der CSU-Haushaltsexperte Reinhard Brandl sagt daher: „Es gibt keine Spielräume.“ Wenn die neue Regierung die Schuldenregeln wieder einhalten wolle, müsse sie unter anderem die Transfers an Länder und Kommunen eindämmen.