Oft ist Wahlwerbung schon am Tag nach dem Urnengang vergessen, doch manche Kampagnen brennen sich ins kollektive Gedächtnis ein. „Mit Adenauer für den Frieden, die Freiheit und die Einheit Deutschlands“, empfahl die CDU im Jahre 1949 – noch etwas sperrig, aber erfolgreich. Bald wurden die Slogans kürzer. Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard versprach „Wohlstand für alle“. Mit „Willy wählen“ lancierte die SPD 1972 die erste personalisierte Wahlkampagne und beförderte so die Wiederwahl von Willy Brandt.
Mit welchen Kampagnen sie bei den Bundestagswahlen im kommenden September die meisten Wähler überzeugen können, beschäftigt die Parteien seit Monaten. Doch während bei den einen schon konkret an Werbespots und Plakaten gearbeitet wird, steht bei den anderen wenig bis gar nichts fest. Die Union etwa hat sich nach Angaben der CDU-Zentrale noch nicht für eine Werbefirma entschieden. Jung von Matt, die berühmte Hamburger Agentur, die für Kanzlerin Angela Merkel 2017 die Kampagne „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ entwarf, wird wohl – wie die Kanzlerin – nicht mehr antreten. Trotz Merkels Wiederwahl verbuchte die Agentur ihre Kampagne als Misserfolg.
Bundestagswahl: Warum die SPD mit Martin Schulz scheiterte
Dass die CDU noch keinen Werbe-Partner bestimmt hat, ist dem Umstand geschuldet, dass ja auch noch die Kanzlerkandidaten-Frage offen ist. Schlechte Voraussetzungen, glaubt der Wahlkampfprofi Frank Stauss. Er gilt in Politiker- und Werberkreisen als Kampagnen-Legende, hat in fast 30 Jahren für die SPD zahlreiche Wahlkämpfe konzipiert. Etwa für Gerhard Schröder oder Hannelore Kraft – manche erfolgreich, andere weniger. „Ideal ist es, eineinhalb Jahre vor der Wahl zu beginnen, ein Team für die Kampagne zusammenzustellen, das dann zusammenwachsen kann“, sagt der 55-Jährige aus Freiburg, der heute in Berlin lebt. Für die SPD sei es beispielsweise 2017 ein großes Manko gewesen, dass Martin Schulz so spät als Kanzlerkandidat feststand. Stauss: „Gestartet ist er ja mit großen Sympathien. Doch dann ging der Kampagne schnell die Luft aus, weil sie inhaltlich schlecht vorbereitet war.“ Schulz sei anfangs als der große Europäer präsentiert worden, dann immer mehr als Kumpel von nebenan und Ex-Bürgermeister von Würselen. „Mit dieser Anbiederung hat er sich letztlich nur verkleinert“, sagt der Werbeprofi.
Vor den nun anstehenden Wahlen wollen es die Genossen besser machen. Vizekanzler Olaf Scholz steht seit dem vergangenen August als Kandidat fest. Statt der Schulz-Agentur KNSK sollen die Werber um den Hamburger Raphael Brinkert helfen, die derzeitigen Umfragewerte von lausigen 15 Prozent zu überwinden. Eine Herausforderung für die bislang vor allem auf Sportmarketing spezialisierte Agentur, die unter anderem Fußballnationalspieler und den DFB beriet. „Olé Olé Olaf Scholz“ dürfte der Slogan aber dennoch nicht lauten.
Für Frank Stauss ist es ohnehin nicht der eine, der geniale Spruch, der Wahlen entscheidet. „Es muss alles zusammenpassen. Die Organisation, das Team und der Auftraggeber, die Kandidaten und die Botschaften.“ Als Beispiel für gelungene Wahlwerbeversprechen nennt er den Satz „Sie kennen mich“, mit dem Angela Merkel (CDU) 2013 gegen Peer Steinbrück ins Schwarze getroffen habe. Übersetzt, so Stauss, habe das bedeutet: „Mir können Sie vertrauen, bei ihm sollten Sie vielleicht Zweifel haben.“
Ähnliches sei Hannelore Kraft (SPD) 2012 in Nordrhein Westfalen gelungen, als sie mit dem Slogan „NRW im Herzen“ elegant ihren CDU-Gegner Norbert Röttgen ausgekontert habe. Der hatte nämlich klar gemacht, dass er im Fall einer Niederlage zurück nach Berlin gehen würde. Als SPD-Mann Gerhard Schröder 1998 gegen Helmut Kohl antrat, habe er mit dem Satz „Wir sind bereit“ erfolgreich die damalige Wechselstimmung in der Bevölkerung aufgegriffen – für sich, gegen Kohl.
Eine Kampagne, das gilt unter Werbern als ehernes Gesetz, muss auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten sein wie ein Maßanzug. Die FDP etwa setzte vor den Wahlen 2017 auf die viel diskutierten Motive mit den ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Fotos von Parteichef Christian Lindner. Ersonnen hat die Kampagne, die die Liberalen zurück in den Bundestag führte, die Agentur Heimat. Nach Informationen unserer Redaktion hat sie beste Chancen, auch in diesem Jahr den Zuschlag der FDP zu erhalten. Die Werber aus Berlin erwarte keine leichte Aufgabe, glaubt Frank Stauss. Denn: „Christian Lindner hat an Strahlkraft verloren, eine andere Galionsfigur ist aber nirgends in Sicht.“
Die Frage bei den Grünen: Annalena Baerbock oder Robert Habeck?
Bei den Grünen ist zwar noch nicht klar, ob sie Annalena Baerbock oder Robert Habeck als Kanzlerkandidat ins Rennen schicken, doch zumindest werbemäßig haben sie die Weichen gestellt. Wie schon für die Bundestagswahl 2017 haben sie ein Projektteam aus parteinahen Werbeprofis gegründet. Unter dem Namen „Neues Tor 1“, der Berliner Postadresse der Bundesgeschäftsstelle der Grünen, tüftelt etwa Matthias Riegel von der Agentur Wigwam bereits an Strategien.
Während manche Parteien ihre Werber regelmäßig wechseln, setzt die Linkspartei seit Jahren auf die Dienste der Agentur DIG Trialon aus Pankow im Norden Berlins. Das, so heißt es in Parteikreisen, dürfte auch in diesem Jahr der Fall sein. Frank Stauss sieht bei der Linkspartei das Problem, dass ihr die bekannten Gesichter fehlen: „Am Ende wird dann doch wieder Gregor Gysi auf Plakaten auftauchen.“
AfD-Erfolg von 2017 fußte vor allem auf einem Thema
Unklar ist, ob die AfD wieder auf die Schweizer Agentur Kunkelbakker setzt. Die ersann für die Wahl 2017 Plakate, auf denen etwa gut gelaunte Weinköniginnen und der Spruch „Burka? Steh’ ich mehr auf Burgunder“ zu sehen waren. Ein solcher, eher humoristischer Ton werde bei der AfD nicht mehr funktionieren, glaubt Stauss. Denn längst sei klar geworden, „wie radikal diese Partei wirklich ist“. Der Erfolg der AfD 2017 habe zum Großteil auf dem Flüchtlingsthema gefußt. Die politische Gesamtgemengelage, so der Werber, sei für die Bürger wichtiger als die Kampagne einer Partei.
Das zeigte etwa die Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen, bei der Stauss für die amtierende Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der SPD arbeitete. Der Agenturmann: „Die Leute waren damals mit der rot-grünen Regierung einfach sehr unzufrieden. So konnte Armin Laschet von der CDU gewinnen, ohne selbst wirklich zu überzeugen.“ Die CDU setzte damals auf die Düsseldorfer Agentur Brand Lounge. Zurückhaltend gestaltete Plakate zeigten Laschet im Gespräch mit Bürgern und die Worte „Zuhören. Entscheiden. Handeln“. Aber auch Seitenhiebe auf den politischen Gegner fehlten nicht. Mit „Die haben doch den Gong nicht gehört“ zielte er auf die umstrittene rot-grüne Schulpolitik.
Ob bei der Union nun aber Laschet oder Söder als Kanzlerkandidat antritt – er kann jedenfalls nicht den frechen Herausforderer geben, der sich an einer Amtsinhaberin abarbeiten kann. Stauss sieht zudem die Herausforderung, „dass Angela Merkel bis zum Wahltag als Kanzlerin im Amt sein wird“. Laschet müsse sich schon jetzt als CDU-Chef emanzipieren von Merkel, klar machen, wie er das Land in die Zukunft führen will. „Auch für Markus Söder wäre die Kanzlerkandidatur kein Selbstläufer und völlig anders, als er es aus Bayern kennt“, sagt der Werbeprofi. „Ein starker Wahlkämpfer ist Söder ja nicht, in München kam er mit einem miserablen Ergebnis an die Macht.“ Mal eben vorarbeiten, eine Kampagne entwerfen und dann nur noch den Namen des Kandidaten einsetzen, das jedenfalls könne für die CDU nur schiefgehen. „Was für Laschet passt, kann für Söder völlig daneben sein“, sagt Stauss.
Unklar ist, wie sehr sich die Pandemie auf den bevorstehenden Parteien-Wettstreit auswirken wird. Frank Stauss ist aktuell für die SPD im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aktiv. Politikerbesuche an Haustüren und auf Marktplätzen seien unter Corona-Bedingungen kaum möglich. Das beschleunige den Trend zu virtuellen Kampagnen: „Social Media wird wichtiger, aber wir sehen im Moment ja auch, dass sich viele Menschen in der digitalen Welt schwertun. Und die Gefahr besteht, dass im Netz versucht wird, mit Fake News oder Verschwörungstheorien Einfluss auf den Wahlausgang zu nehmen.“ Das Fernsehen sei für Polit-Werbung „alles andere als tot“, spiele aber hierzulande keine so herausragende Rolle wie in den USA.
Wahlkampf 2021: Erlebt das gute alte Flugblatt eine Renaissance?
Dagegen erlebten gedruckte Produkte gerade „sogar so eine Art Renaissance“. Flugblätter und Postwurfsendungen dürften also auch im Digitalzeitalter für prall gefüllte Briefkästen sorgen. Ebenso werden bedruckte Kugelschreiber, Luftballons und Flaschenöffner ihren Weg zum Bürger finden.
Und wer weiß: Vielleicht bleibt von den Wahlen 2021 nicht ein bestimmter Spruch in der gemeinsamen Erinnerung hängen, sondern Bilder von Corona-Masken mit Parteilogo.
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