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Bundestagswahl 2021: "Ihr gehört doch vergast": Wie Politiker im Wahlkampf angefeindet werden

Bundestagswahl 2021

"Ihr gehört doch vergast": Wie Politiker im Wahlkampf angefeindet werden

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    Neun Kandidatinnen und Kandidaten aus der Region sprechen hier über die Anfeindungen, die sie erlebt haben.
    Neun Kandidatinnen und Kandidaten aus der Region sprechen hier über die Anfeindungen, die sie erlebt haben. Foto: AZ

    Vor kurzem verteilten Rechtsextremisten Plakate mit der Aufschrift "Hängt die Grünen". Solche Entgleisungen sind keine Seltenheit. Nahezu täglich werden Politikerinnen und Politiker in Deutschland beleidigt und bedroht. Wie gehen sie damit um? Hier sprechen Direktkandidatinnen und Direktkandidaten aus der Region über ihre Erfahrungen. Sie reichen von Morddrohungen über Vergewaltigungsfantasien bis hin zu Angriffen auf das Privathaus.

    Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Augsburg Stadt

    Anfeindungen erlebe ich seit Jahrzehnten. Allerdings haben Hass und Hetze in den vergangenen Jahren massiv zugenommen – vor allem durch das Erstarken von Pegida, AfD und jetzt den sogenannten Querdenkern. Besonders abscheulich sind die sexualisierten Gewaltphantasien – sowas wie: "Du gehörst totgefickt." Diese Brutalität kommt im Netz häufig vor.

    Absolut besorgniserregend sind auch die Plakate der Neonazi-Partei "III. Weg", auf denen stand "Hängt die Grünen". Ich bin der bayerischen Polizei sehr dankbar, dass sie die Plakate sofort entfernt hat. Anders als in Zwickau oder Chemnitz. Dass die Plakate dort zunächst hängen gelassen wurden, hat mich erschreckt. Denn ich bin überzeugt: Erst kommt das Sagbare, dann das Machbare. Dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen.

    "Ich bin überzeugt: Erst kommt das Sagbare, dann das Machbare. Dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen", sagt Claudia Roth.
    "Ich bin überzeugt: Erst kommt das Sagbare, dann das Machbare. Dem Angriff auf die Menschlichkeit folgt der Angriff auf den Menschen", sagt Claudia Roth. Foto: Die Grünen

    Aber ich muss sagen, dass in diesem Wahlkampf viel Sicherheit durch die Präsenz von Polizistinnen und Polizisten, zum Teil auch in Zivil, gewährt wird. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn es gibt ja tatsächlich Kolleginnen und Kollegen, die angegriffen wurden. Häufig sind das Lokalpolitiker. Denken wir nur an Walter Lübcke, der von einem Rechtsterroristen ermordet wurde, oder zuvor an den Angriff auf Henriette Reker in Köln, die zum Glück überlebt hat.

    Was die Anfeindungen im Netz angeht, arbeite ich eng mit "HateAid" zusammen. Eine wunderbare Organisation von Anwältinnen und Anwälten, die solche Vorfälle verfolgen, zur Anzeige bringen und ausfechten. Zunehmend mit Erfolg! Ich würde jedem und jeder raten, sich Anfeindungen nicht bieten zu lassen. Rassismus, Frauenhass und Antisemitismus sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und müssen verfolgt und bestraft werden.

    Christoph Schmid, SPD, Direktkandidat im Wahlkreis Donau-Ries

    Die Anfeindungen haben verglichen mit 2017 deutlich abgenommen. Das könnte damit zu tun haben, dass die Stimmung gegenüber meiner Partei in diesem Jahr positiver ist. Und man muss dazusagen: Ich bin 1,95 groß und zwei Zentner schwer. Da trauen sich dann doch nicht mehr so viele, körperliche Einschüchterungsversuche zu unternehmen.

    "Der Mangel an Bedrohung hat ein bisschen was auch mit persönlicher Ausstrahlung zu tun", sagt Christoph Schmid.
    "Der Mangel an Bedrohung hat ein bisschen was auch mit persönlicher Ausstrahlung zu tun", sagt Christoph Schmid. Foto: SPD

    Wobei mir ein prägendes Ereignis in Erinnerung geblieben ist. Das war 2017 am Infostand in Lauingen. Da hat einer aus dem Auto raus wüste Beschimpfungen in meine Richtung losgelassen und geschrien, man müsse mich am nächsten Baum aufhängen.

    Und natürlich gibt es Trolle im Internet. Ich verweigere mich da keiner Diskussion, aber wenn es diffamierend wird, lösche ich die Kommentare. Und es gibt rechtliche Grenzen. Sobald jemand mir oder meiner Familie droht, würde ich das anzeigen. Das ist zum Glück nicht vorgekommen.

    Alexander Meyer, FDP, Direktkandidat für den Wahlkreis Augsburg Stadt

    Die Live-Anfeindungen halten sich in Grenzen. Es gab vielleicht ein, zwei unangenehmere Situationen. Da würde ich aber nicht von Anfeindungen sprechen, das blieb im Rahmen härterer politischer Diskussionen. Aber wirkliche Anfeindungen, dass ich ernsthaft bedroht werde, wie beispielsweise Claudia Roth, das habe ich nicht erlebt. Also nichts im Sinne von "wir wissen, wo du wohnst".

    "Grundsätzlich glaube ich: Wenn man diese Menschen im realen Leben treffen würde, dann kämen wir in ein zivilisiertes Gespräch", sagt Alexander Meyer.
    "Grundsätzlich glaube ich: Wenn man diese Menschen im realen Leben treffen würde, dann kämen wir in ein zivilisiertes Gespräch", sagt Alexander Meyer. Foto: Silvio Wyszengrad

    Was ich eher wahrnehme sind Beleidigungen im Internet – vor allem auf Twitter. Es erstaunt mich, wie stark Menschen in den sozialen Medien unter Klarnamen bereit sind, diffamierend zu werden. Leute, bei denen man sieht, das sind Akademiker, gebildete Menschen. Und wenn der Kommentar dann auch noch tausende Likes bekommt, weil derjenige tausende Follower hat, das trifft einen schon.

    Ich versuche sowas aber überwiegend zu ignorieren. Und wenn ich darauf reagiere, dann sicher nicht auf dem gleichen Niveau. Grundsätzlich glaube ich: Wenn man diese Menschen im realen Leben treffen würde, dann kämen wir in ein zivilisiertes Gespräch. Das habe ich auch schon erlebt. Als ich im Internet angegangen wurde, habe ich gesagt: Kommt halt zu meinem Wahlstand. Und teilweise sind die Leute dann auch gekommen. Und wir haben uns anständig unterhalten. Im Nachhinein betrachtet, waren das positive Erlebnisse.

    Rainer Kraft, AfD, Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Augsburg Land

    Anfeindungen erlebe ich auf mehreren Ebenen. Im Plenum von Kollegen durch die pauschale Nazi-Diffamierung. Das kommt nicht von allen. Von den Konkurrenten hier in Augsburg habe ich sowas noch nie gehört. Aber außerhalb der Wahlkreisgrenze eben schon.

    Dazu kommen blöde Sprüche am Wahlkampfstand. Von Leuten, die sich keiner inhaltlichen Diskussion stellen wollen. Da hört man dann sowas wie "braune Brut" oder "euch Braune braucht niemand". Aber das sind noch die geringeren Übel.

    "Das alles gipfelte in einem Angriff auf mein Haus", sagt Rainer Kraft.
    "Das alles gipfelte in einem Angriff auf mein Haus", sagt Rainer Kraft. Foto: Marcus Merk

    Das alles gipfelte in einem Angriff auf mein Haus. Unbekannte hatten es mit Farbkugeln beworfen. Für mich ist es nicht ungewöhnlich. Sowas beobachte ich bei Kollegen häufig. Schlimm ist das vor allem für meine Familie. An dem Tag wollte meine Tochter nicht aus dem Haus gehen, meine andere Tochter konnte abends nicht einschlafen – weil sie Angst hatte, das wieder jemand kommt.

    Diesen Angriff habe ich natürlich zur Anzeige gebracht – genauso wie diffamierende Beleidigungen im Netz. Aber man kann nicht jede Anfeindung melden. Dazu ist die Zahl zu groß und unsere Behörden zu überlastet. Wenn ich auf offener Straße kritisiert werde, versuche ich, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Vor kurzem habe ich einen Mann am Wahlkampfstand auf seine Nazi-Diffamierung angesprochen und konnte ihn überzeugen. Damit habe ich keinen Wähler generiert. Aber ihm zumindest die Angst genommen, dass wir hier die nächste Diktatur errichten wollten. Das klappt nicht immer. Aber ich werde es weiter versuchen.

    Volker Ullrich, CSU, Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Augsburg Stadt

    Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile viele Plakate zerstört oder beschmiert werden. Das trifft nicht nur die CSU und mich, sondern auch andere Parteien. Das ist keine akzeptable Form der politischen Auseinandersetzung. Man setzt sich mit Argumenten auseinander, mit Rede und Gegenrede, aber nicht mit Zerstörungswut.

    "Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile viele Plakate zerstört oder beschmiert werden", sagt Volker Ullrich.
    "Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile viele Plakate zerstört oder beschmiert werden", sagt Volker Ullrich. Foto: Silvio Wyszengrad

    Zum anderen erlebe ich Anfeindungen im Netz. Im persönlichen Gespräch passiert sowas weniger. Da kann es schon mal sein, dass sich jemand über die Politik aufregt. Das muss man aber aushalten.

    Wenn mich Hassmails, diffamierende Posts oder Drohungen erreichen, löschen wir die. Und wenn wirklich eine ernstzunehmende Bedrohung darunter wäre, würden wir das weiterleiten an die Polizei oder das BKA. Ich lasse das nicht an mich ran. Das gehört zur Jobbeschreibung. Ich mache mir eher Sorgen um die vielen Ehrenamtlichen in der Politik. Die Stadt und Gemeinderäte, die sind ja auch betroffen. Da ist es noch wesentlich unmittelbarer.

    Marina Jakob, Freie Wähler, Direktkandidatin für den Wahlkreis Augsburg Land

    Die meisten Anfeindungen, die ich erhalte, kommen über die sozialen Medien – vor allem bei Facebook. Dabei geht es meistens ums Impfen. Die Kommentare kommen von beiden Seiten: von Impfbefürwortern und von Impfgegnern. Denn unsere Haltung ist: Wir wollen Menschen mit Fakten und wissenschaftlichen Daten vom Impfen überzeugen. Zwingen wollen wir aber niemanden.

    "Dabei geht es meistens ums Impfen", sagt Marina Jakob über die Angriffe.
    "Dabei geht es meistens ums Impfen", sagt Marina Jakob über die Angriffe. Foto: Christian Kruppe

    Ich versuche immer, darauf zu reagieren. Wenn ich bei den Menschen das Gefühl habe, man kann mit Fakten argumentieren, dann will ich schon ins Gespräch kommen. Wenn ich aber merke, da ist Hopfen und Malz verloren, dann reagiere ich nicht mehr drauf. Aber sowas muss eine Kandidatin aushalten. Da gibt es viel Schlimmeres. Gerade, wenn ich da mit meinem Konkurrenten von den Grünen spreche, da merkt man schon, ihn trifft es viel schlimmer.

    Frederik Hintermayr, Die Linke, Direktkandidat für den Wahlkreis Augsburg Stadt

    Wir erleben ständig Angriffe auf unser Parteibüro. Diese Woche wurde unser Schaufenster beschädigt, vor zwei Jahren der Briefkasten in die Luft gesprengt, unser Schloss wurde mehrfach demoliert.

    Aber ich erlebe das auch an den Ständen. Dort werde ich regelmäßig als "Arschloch" beschimpft. Manche drohen mir sogar Gewalt an. Vor kurzem hat mir einer erklärt, ich gehöre vors Kriegsgericht, für den "Verrat am deutschen Volk". Das kommt meistens von rechts – vermischt mit merkwürdigen Verschwörungstheorien, auch verbunden mit Corona.

    "Wir erleben ständig Angriffe auf unser Parteibüro", sagt Frederik Hintermayr
    "Wir erleben ständig Angriffe auf unser Parteibüro", sagt Frederik Hintermayr Foto: Silvio Wyszengrad

    Ich versuche, das meistens gelassen zu sehen. Ernst wird es für mich, wenn es gegen meine Familie geht. Da fällt es mir schwer, das nicht an mich ranzulassen. Weil ich nicht weiß, ob das jetzt nur Geschwätz ist, oder ob dieser Mensch wirklich über meine Familienverhältnisse Bescheid weiß. Da reagiere ich als junger Vater sensibel.

    In einigen Fällen bringe ich sowas zur Anzeige. Vor kurzem hat sich dann ein Mann bei mir entschuldigt – auf Anraten des Anwalts, vermute ich. Eine große Hilfe ist da ein Portal des Freistaats Bayern. Dort können Lokalpolitikerinnen und -politiker unkompliziert Angriffe melden, das geht sofort an die Staatsanwaltschaft und wird sofort bearbeitet. Ich habe da auch eine Verantwortung, das anzuzeigen. Es hat nichts mit Stärke zu tun, Angriffe zu ertragen. Diese Kultur darf sich nicht etablieren.

    Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Neu-Ulm und Günzburg

    In den sozialen Medien hat es sich etwas gelegt. Das könnte daran liegen, dass dort inzwischen mehr herausgefiltert wird. Aber es kommt natürlich immer noch vor. Kürzlich meinte einer: "Schade, dass wir nicht im Mittelalter sind, sonst könnten wir Sie jetzt als Hexe verbrennen." Ein anderer schrieb: "Ihr gehört doch vergast." Das stand dann unter einem Tweet, im dem es eigentlich nur um Sonnenblumen ging.

    "Man darf sowas nicht an sich heranlassen. Aber das ist leichter gesagt als getan", sagt Ekin Deligöz.
    "Man darf sowas nicht an sich heranlassen. Aber das ist leichter gesagt als getan", sagt Ekin Deligöz. Foto: Alexander Kaya

    Früher gab es sowas jeden Tag. Morddrohungen, Beleidigungen, Rassismus. Als Frau bekomme ich erstmal die gleichen Anfeindungen wie Männer. Aber obendrauf kommen dann noch Vergewaltigungsfantasien und Ähnliches. Man darf sowas nicht an sich heranlassen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Ich denke mir da immer: Was geht denn in euren Köpfen ab? Was habe ich euch denn getan, dass ihr mich so hasst?

    Diese Beschimpfungen werden im Wahlkampf dann auch auf Plakate geschmiert. Das passiert immer häufiger. In diesem Wahlkampf kam das so oft vor wie nie zuvor. Vor kurzem haben wir uns dann Pinsel und Farbe genommen und Parolen wie "grüner Mist", die dort draufgeschmiert waren, selbst übermalt.

    Ulrike Bahr, SPD, Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Augsburg Stadt

    Die Stimmung an den Haustüren und an den Infoständen ist sehr positiv und wir bekommen viel Zuspruch. Es kommt aber dennoch immer wieder mal zu Anfeindungen, vor allem aus dem Querdenker-Milieu, mit Vergleichen zur Nazi-Diktatur, die wir natürlich strikt zurückweisen.

    "Die Stimmung an den Haustüren und an den Infoständen ist sehr positiv und wir bekommen viel Zuspruch", sagt Ulrike Bahr.
    "Die Stimmung an den Haustüren und an den Infoständen ist sehr positiv und wir bekommen viel Zuspruch", sagt Ulrike Bahr. Foto: Silvio Wyszengrad

    Dazu bekomme ich regelmäßig anonyme Briefe. Da steht dann zum Beispiel "wir behalten dich im Blick". Das lässt einen nachdenken. In den sozialen Medien gibt es solche Hassbotschaften auch mit einer theoretischen Möglichkeit zur Antwort. Aber auf solche Zuschriften zu antworten, ist zwecklos und man füttert nur die Trolle. Ansonsten beantworten wir entsprechende Nachrichten mit Argumenten, Aufklärung und Fakten.

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