Es ist einigermaßen paradox. Ausgerechnet Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD, verkauft sich den Wählerinnen und Wählern als Alleinerbe Angela Merkels. Die ist aber nicht Mitglied der SPD, sondern der CDU. Normalerweise fiele es Armin Laschet zu, sich als natürlicher Nachfolger einer noch immer hochgeschätzten Bundeskanzlerin zu präsentieren. Doch es ist ihm nicht gelungen, diese Rolle auszufüllen. Laschet steht von den drei Aspiranten auf die Macht am heftigsten unter Druck, deshalb soll die Analyse des ersten TV-Triells mit ihm beginnen.
Gegen den Wind der Veränderung: Armin Laschet punktet mit Warnung vor Rot-Rot-Grün
Armin Laschet: Seine Leute hatten ihm verordnet, endlich den Schlafwagen zu verlassen und sich dem Abwärtssog entgegenzustemmen. CSU-Chef Markus Söder, der selbst K-Kandidat werden wollte, fordert seit Wochen mehr Biss. Und Laschet gab dem eigenen Lager, was es sehen wollte. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zeigte sich keine Sekunde als jovialer Rheinländer, sondern spielte mit ernster Miene und zackigen Armbewegungen auf Angriff. Er warf Scholz vor, die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen blockiert zu haben. Er warf Annalena Baerbock von den Grünen vor, mit ihrem Klimaschutzprogramm der Industrie Fesseln anzulegen. Er warf beiden vor, sich mit der Linkspartei in ein Bett legen zu wollen. Letzteres war sein stärkster Moment. Hier stocherte er genüsslich in der Wunde des SPD-Mannes herum, der ein rot-rot-grünes Bündnis nicht ausschließen will.
Stärken: Laschet konnte den Eindruck vermitteln, dass er endlich den Kampf aufnimmt. In den Umfragen haben CDU und CSU seit Jahresbeginn 15 Punkte verloren. Er setzt nun inhaltlich auf klassisch konservative Themen: Mehr Geld für die Armee, mehr Sicherheit durch Videoüberwachung, geringere Steuern für Unternehmen, damit die Wirtschaft wächst. Und er hat die roten Socken als Wahlkampfklassiker der Union aus der Kiste geholt. Die Wähler sollen sich vor einem Linksbündnis fürchten.
Schwächen: Es ist nicht leicht, das eigene Image in den verbleibenden vier Wochen bis zur Wahl zu drehen. Laschet ist bisher nicht als Mann der klaren Kante aufgefallen, sondern pflegt einen Politikstil, der unter einem großen Bogen viele Positionen einbindet. Inhaltlich wurde er zwei, drei Mal von Scholz und Baerbock gestellt. Wie er gleichzeitig Steuern senken und den Staatshaushalt wieder in eine Balance bringen will, bleibt sein Geheimnis. Dabei war die schwarze Null eines der letzten konservativen Herzensprojekte. Ziemlich verunglückt geriet sein Schlussplädoyer, in dem er für sich in Anspruch nahm, sich standhaft in den „Wind der Veränderung“ zu stellen. Die Bild-Zeitung, sonst dem schwarzen Lager verbunden, titelte am Montagmorgen: „Debattendebakel für Laschet.“ Dennoch versammelten sich am Montag die Truppen um ihren angeschlagenen Anführer. Selbst CSU-Chef und Dauerquerulant Markus Söder gratulierte: "Starker Auftritt und klarer Sieg von Armin Laschet." In WhatsApp-Gruppen der Unions-Anhänger ist man erleichtert, dass sich der Kanzlerkandidat behaupten konnte.
Realpolitik ist komplizierter als grüne Träume: Baerbock tritt auf wie es ihrem Naturell entspricht
Annalena Baerbock: Genau wie für Laschet ging es in den vergangenen Monaten auch für Annalena Baerbock und die Grünen stetig nach unten, wenn auch nicht so steil wie für den CDU-Vorsitzenden. Genau wie Laschet hat auch die 40-Jährige die Kampagne bisher vermasselt, weil sie Einkünfte zu spät meldete, ihre Vita aufbauschte und ein Buch voller abgeschriebener Stellen veröffentlichte. Ihre wichtigste Aufgabe in der TV-Runde war es zu verhindern, dass aus dem Dreikampf ein Zweikampf wurde. Das hat sie geschafft.
Stärken: Baerbock konnte in der Dreier-Konstellation ihren Vorteil ausspielen und wechselseitig sowohl Laschet als auch Scholz als Vertreter der Großen Koalition angreifen, die aus grüner Sicht Stillstand verwaltet hat. Nichtstun sei kein Klimaschutz, prangerte sie an. Und beim Thema Afghanistan spießte sie auf, wie Außen-, Innen-, und Verteidigungsministerium die Ortskräfte im Stich ließen. Die Kanzlerkandidatin musste sich dieses Mal nicht mit ihren schweren Skandälchen herumplagen, was sie spürbar befreite. Sie diskutierte lebhaft und engagiert, ohne beleidigt zu wirken.
Schwächen: Das zentrale Instrument der Grünen im Kampf gegen die Erderwärmung ist die CO2-Abgabe. Die Einnahmen sollen über ein Energiegeld in Höhe von 75 Euro an Jedermann – auch an Kinder – zurückgegeben werden. Doch so einfach, wie es sich Baerbock vorstellt, funktioniert die Rückzahlung über die Finanzämter nicht. Baerbock konnte im TV-Triell so auftreten, wie es ihrem Naturell entspricht. Ob sie dadurch ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen kann, ist offen.
Olaf Scholz präsentiert sich als rationaler Alleinerbe Merkels - doch das kann auch starr wirken
Olaf Scholz: Der SPD-Spitzenmann hat im Vergleich zu Armin Laschet den Vorteil, dass er seine Außenwirkung nicht ändern muss. Früher als Scholzomat verspottet, inszeniert er sich seit einem Jahr als der direkte Nachfolger Merkels. Sein Habitus entspricht ihrem öffentlichen Bild – nüchtern, sachlich, emotionslos. Und dem entsprach sein Auftritt im TV-Triell. Baerbock und Laschet stritten emotional, Scholz gab sich ungerührt rational. Nicht ganz ernst gemeinte Beschreibungen changierten zwischen Buddha und dem Teilnehmer einer Trauerfeier.
Stärken: Seine demonstrative Gelassenheit und seine ruhige Art sind für viele Wählerinnen und Wähler attraktiv. Die Blitzumfrage der Meinungsforscher von Forsa entschied Scholz für sich, obwohl er auf einen Teil des Publikums vor den Bildschirmen passiv wirkte. In der Steuerpolitik verortete er sich in der Mitte als jemand, der mittlere und kleinere Einkommen entlasten will, „indem Leute, die in meiner Einkommenskategorie oder da drüber liegen, etwas mehr zahlen, gar nicht so viel.“ Weil die Corona-Krise enorm hohe Schulden verursacht habe, könne der Staat die Steuern nicht senken. Der bisherige Finanzminister inszeniert sich als verlässlicher Kassenwart, was sonst eine Domäne der Union ist. Von der geplanten Vermögensteuer sprach er nicht.
Schwächen: Sein größter Schwachpunkt ist ohne Frage die unwahrscheinliche, aber nach wie vor im Raum stehende Koalition mit Linken und Grünen. Die Linkspartei hat bei der jüngsten Abstimmung im Bundestag zur Rettungsmission der Bundeswehr in Afghanistan die großen Zweifel an ihrer Verlässlichkeit in der Außenpolitik bestätigt. Armin Laschet forderte Olaf Scholz auf, zu Rot-Rot-Grün einfach zu sagen, „ich mach es nicht“. Doch der Sozialdemokrat eierte rum und versuchte, der Linken einen Prinzipienkatalog vorzuschreiben. Der 63-Jährige kann dem Bündnis wegen des linken Flügels in seiner Partei keine Absage erteilen. Er braucht die theoretische Option auch, um FDP-Chef Christian Lindner bei der Stange zu halten – besser eine Ampel-Koalition als Rot-Rot-Grün. Wenn der Wahlkampf noch einmal richtig Fahrt aufnimmt, muss Scholz aufpassen, dass er als Stoiker nicht plötzlich starr wirkt.