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Bundestagswahl 2013: Peer Steinbrück: Der Kandidat

Bundestagswahl 2013

Peer Steinbrück: Der Kandidat

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    Die Wahlplakate der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) und des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück stehen  in Wolmirstedt (Sachsen-Anhalt) nebeneinander.
    Die Wahlplakate der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) und des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück stehen in Wolmirstedt (Sachsen-Anhalt) nebeneinander. Foto: Jens Wolf, dpa (Archiv)

    Am Ende, nach ziemlich genau einer Stunde, erzählt Peer Steinbrück gerne die Geschichte von John F. Kennedy und dem Mann mit dem Besen.

    Anfang der sechziger Jahre, als die Sowjets gerade den ersten Menschen in den Weltraum geschickt hatten, besuchte der damalige US-Präsident das Raumfahrtprogramm der Nasa, die im Wettlauf der Supermächte um die Vorherrschaft im All zu dieser Zeit noch ein gutes Stück zurücklag. Mitten in dem Gewimmel aus Ingenieuren und Technikern fiel Kennedy dabei ein Mann in einem grauen Kittel auf, der mit einem Besen in der Hand etwas abseits stand. Er ging auf ihn zu, fragte ihn, welche Aufgabe er denn hier habe – und erhielt eine Antwort, wie sie amerikanischer kaum sein könnte: „Mister President, ich bin dabei behilflich, einen Mann auf den Mond zu bringen.“

    Auf dieses Wir-Gefühl, diese Selbstverständlichkeit, mit der sich auch eine einfache Putzkraft als Teil eines größeren, gemeinsamen Ganzen fühlt, will Steinbrück hinaus. „Das Wir entscheidet“ hat die SPD in diesem Wahlkampf auf ihre Plakate geschrieben. „Und das Wir“, hämmert der Kandidat seinen Zuhörern ein, „das Wir sind Sie!“

    Kanzlerkandidat Peer Steinbrück eckt an

    Der 66-jährige frühere Finanzminister steht im Prediger, einem ehemaligen Dominikanerkloster mitten in Schwäbisch Gmünd, und hat wie bei den meisten seiner Auftritte schon ein Dutzend Fragen aus dem Publikum beantwortet. Vor seinem Schluss-Solo mit der kleinen Anekdote von Kennedy und dem Mann mit dem Besen will ein Besucher allerdings noch schnell wissen, was ihn denn von Angela Merkel unterscheide. Steinbrück stutzt einen Moment, als müsse er sich das selbst erst noch fragen, und entgegnet dann kurz: „Sie eckt nicht an.“ Kunstpause. „Das ist bei mir etwas anders.“ Kunstpause. „Aber dafür bin ich nicht langweilig.“

    Zwei Tage später wird ein Magazin ihn mit ausgestrecktem Mittelfinger auf der Titelseite zeigen, eine ironisch gemeinte, aber auch eine sehr verstörende Pose. Ja, er eckt an, dieser Kandidat, der von sich sagt, er rede gerne Klartext, und der gerade über die kleine Bühne in der Mitte des Saales tigert, als warte er nur auf eine Gelegenheit zuzubeißen. Wahlkampf mit Peer Steinbrück, das ist eine ständige Gratwanderung zwischen seriös und sarkastisch, zwischen Politik und Provokation, zwischen detailreich und derb. Er kann wohltuend sachlich sein wie im TV-Duell mit seiner Kontrahentin, aber auch ein beißend-ironischer Kabarettist seiner selbst, wenn er dem Steuerbetrug den Kampf ansagt, weil der Ehrliche doch nicht der Dumme sein dürfe. „Mit mir kann man die Kavallerie satteln“, sagt Steinbrück dann – und grinst diebisch dabei.

    Peer Steinbrück verzichtet auf keine Pointe

    Die Kavallerie? Richtig. Da war doch was. Als Finanzminister hatte er der Schweiz im Streit um deren Steuergeheimnis erst mit der Peitsche gedroht und die Eidgenossen anschließend auch noch mit Indianern verglichen, gegen die man am besten die Kavallerie ausreiten lassen müsse. Das mittelschwere diplomatische Beben, das er damals zwischen Berlin und Bern ausgelöst hat, hindert ihn nun allerdings nicht daran, im Wahlkampf damit zu kokettieren. Im Gegenteil. Die Pointe, auf die Peer Steinbrück verzichtet, ist noch nicht erfunden.

    Würzburg, ein lauer Septemberabend. Der Kandidat hat sich auf einem kleinen roten Podium auf dem Viehmarktplatz am Ufer des Mains aufgebaut und ist gerade bei der Sozialpolitik. Rente, Pflege, Gesundheit, Demografie – ernste Themen, aber offenbar nicht so ernst, als dass er nicht noch einen kleinen, frechen Spruch riskieren könnte. Wozu jetzt in die Einzelheiten gehen? Keiner Pflegerin könne man es zumuten, frotzelt Steinbrück, im Alter von 63 oder 64 Jahren noch einen Patienten wie ihn mit seinen 92 Kilo Lebendgewicht hin und her zu wuchten. „Und Sigmar Gabriel hat mir gesagt, in seinem Fall sei das ein noch größeres Problem...“

    Die Kanzlerin Angela Merkel unterfordre die Wähler, sagt Peer Steinbrück

    Nein, langweilig ist er weiß Gott nicht. Mit ihren staatstragend-distanzierten Auftritten, in denen sie vor allem über die guten Wirtschaftsdaten referiert, unterfordere die Kanzlerin die Wähler, findet Steinbrück. Er dagegen unterhält sie nicht nur, er mutet ihnen auch einiges zu. Die hohen Honorare für seine Vorträge, das angeblich viel zu niedrige Kanzlergehalt, snobistische Erörterungen über einen guten Weißwein und den Preis, den er haben muss, dazu noch der Stinkefinger, den er seinen Kritikern zeigt: Selbst unter den Sozialdemokraten gibt es Spötter, die die Entfernung zwischen zwei Fettnäpfchen heute mit „einem Steinbrück“ messen.

    Richtig in Fahrt gekommen ist seine Kampagne erst nach dem TV-Duell Anfang des Monats, als der Herausforderer vor allem bei den Unentschlossenen punkten konnte. Sie hat er jetzt, auf den letzten Metern seines Wahlkampfes, auch im Auge. Heißt es nicht, jeder Dritte überlege noch, wen er wähle?

    Die Mitglieder eines CSU-Stammtisches zu überzeugen, sagt Steinbrück, stehe nicht in seiner Macht. Aber die, die ihr Kreuz mal hier, mal dort machen oder aus Verdruss oder aus Desinteresse gar nicht mehr zur Wahl gegangen sind: Die umwirbt er mit eingängigen Formulierungen wie der von einem Land, in dem die entscheidende Frage nicht mehr sei, wo jemand herkomme, aus einem Arbeiter- oder einem Akademiker-Haushalt, sondern wo er hin wolle. Mit ihm als Kanzler, verspricht Steinbrück, werde Deutschland nicht nur wirtschaftlich stärker, sondern auch sozial gerechter: mehr Geld für Kindergärten und Krippen, mehr Anerkennung, auch finanzieller Art, für Erzieherinnen und Pfleger, gleiche Löhne für Stammbelegschaften und Leiharbeiter. Und, immer wieder, Kennedy und der Mann mit dem Besen: „Das Wir entscheidet.“

    Peer Steinbrück klingt sozialdemokratischer als früher

    Der kühle Egoist, als der er lange galt, argumentiert nicht nur sozialdemokratischer als früher – er klingt neuerdings auch so. Steinbrück weiß, dass er seinen Genossen in den ersten Monaten als Kandidat mit seinen Ausrutschern einiges an Geduld abverlangt hat und er ihnen umgekehrt nun seine Loyalität und eine gewisse Empathie schuldet. Längst ist er mit der Partei, deren Funktionäre er schon als „Heulsusen“ verhöhnt hat, im Reinen. Einen Teil ihrer Solidarität versucht er, in Form eines guten Wahlergebnisses zurückzuzahlen – wohl wissend, dass es schon eines demoskopischen Wunders bedarf, um tatsächlich Kanzler zu werden. Der demonstrative Optimismus, mit dem Steinbrück alles auf die rot-grüne Karte setzt, steht im krassen Gegensatz zu den Umfragewerten für Sozialdemokraten und Grüne.

    In Würzburg dämmert es bereits, als der Kandidat nach einer längeren Exkursion durch das Wahlprogramm der SPD noch kurz auf die Kanzlerin zu sprechen kommt, die er gelegentlich etwas despektierlich „die Merkel“ nennt. Über das Gelände weht der Geruch von Bier und Bratwurst, links und rechts von der Bühne sitzen hunderte von Neugierigen an Biertischen in knalligem SPD-Rot. Nur das, was der Mann auf der Bühne in der Mitte sagt, will plötzlich so ganz und gar nicht mehr in dieses deftige Ambiente passen. Gemessen an seinem Naturell und seiner Rauflust geht Steinbrück mit der Frau, die er stürzen will, erstaunlich pfleglich um und belässt es meist bei eher allgemeinen Vorwürfen wie dem von der Richtlinienkompetenz, die sie zwar habe, aber nicht nutze. Angela Merkel sei, legt er lediglich noch nach, „eine Architektin der Macht, aber keine Architektin des Landes“.

    Steinbrück kämpft gegen Merkel, die so populär ist wie kein anderer Politiker in Deutschland

    Der Herausforderer weiß, dass es ein höchst ungleicher Kampf ist, den er da führt. Die Kanzlerin ist populär wie kein Politiker sonst in Deutschland und genießt bis weit ins sozialdemokratische Lager hinein Respekt – sie da frontal anzugreifen, wäre nicht nur unklug, sondern geradezu selbstzerstörerisch. Nur einmal, beim TV-Duell, hat er für einen Augenblick einen etwas schärferen Ton angeschlagen und ihr entrüstet vorgeworfen, sie habe das Land mit ihrer Politik des Aussitzens und des Abwartens in den Stillstand geführt. Es ist, aus seiner Sicht, ja auch zum Verrücktwerden: Angela Merkel, die Meisterin des Ungefähren, liegt in nahezu allen Vergleichen vor ihm, dem Mister Klartext. Popularität. Kompetenz. Verlässlichkeit. Für einen Mann mit dem Ego eines Peer Steinbrück muss das schwer erträglich sein. Natürlich könnte er Kanzler – aber wie soll er es denn werden?

    Peer Steinbrück: Image als notorischer Polterer

    Frank-Walter Steinmeier ist es vor vier Jahren ähnlich ergangen. Auch er hätte, vermutlich, Kanzler gekonnt – und landete am Ende bei beschämenden 23 Prozent. Anders als der frühere Außenminister, der in seiner ruhigen, abwägenden Art häufig wie ein sozialdemokratisches Abbild von Angela Merkel wirkte, will Steinbrück sich von ihr nicht einlullen lassen. Er spielt regelrecht mit seinem Image als notorischer Polterer, und wenn es vor ihm im Publikum mal etwas zu ruhig wird, muss er seinen nächsten Gedanken nur mit der Formulierung „in meiner bewährt diplomatischen Art“ beginnen – schon hat er die Lacher wieder auf seiner Seite.

    Irgendwo auf dem Weg zwischen Würzburg und Schwäbisch Gmünd sitzt er in seinem Bus und ärgert sich, dass der Wahlkampf nicht noch ein, zwei Wochen länger dauert. Die Zeit, glaubt er, würde für ihn arbeiten. Über eine Große Koalition, die immerhin ein Teilerfolg wäre für die SPD, will er erst gar nicht reden, so kurz vor der Wahl. Er hätte auch nichts davon – er will ja nicht noch einmal Minister unter Merkel sein. So bleibt Steinbrück im Falle eines Falles nur ein Trost: „Ich bin dafür nicht langweilig.“

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