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Wahlrechtsreform: Verstößt das neue Wahlrecht gegen das Grundgesetz?

Wahlrechtsreform

Verstößt das neue Wahlrecht gegen das Grundgesetz?

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    Mit der Wahlrechtsreform soll die Zahl der Sitze im Bundestag verkleinert werden..
    Mit der Wahlrechtsreform soll die Zahl der Sitze im Bundestag verkleinert werden.. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Der Streit über das neue Bundestagswahlrecht dauert an: Während die CSU und die Bayerische Staatsregierung ihre angekündigten Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auf den Weg bringen, dringt die Linke auf eine Absenkung der Fünf-Prozent-Hürde. Auch in der SPD gibt es Stimmen, die sogenannte Sperrklausel auf 3,5 Prozent auch im Bund, ähnlich wie bei der Europawahl, abzusenken, weil es im Wahlrecht nicht mehr darauf ankommt, eine Mindestzahl an Direktmandaten zu gewinnen. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnt vor solchen Gedankenspielen, selbst wenn ihre Partei davon profitieren würde und die FDP-Politikerin ebenfalls Korrekturbedarf beim neuen Wahlrecht sieht.

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnt vor Rütteln an Fünf-Prozent-Hürde

    "Ich bin gegen eine Absenkung der Fünf-Prozent-Hürde, und das sage ich ausdrücklich als Liberale, deren Partei in der Vergangenheit mit am härtesten von der Sperrklausel betroffen war", sagt die langjährige frühere bayerische FDP-Chefin unserer Redaktion. "Ich selbst bin 2013 mit meinen Parteifreunden aus dem Parlament geflogen und wir haben den Wählerwillen selbstverständlich akzeptiert", erinnert sie sich an den für ihre Partei bitteren Wahlabend von 2013, als es die Liberalen mit 4,8 Prozent erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik nicht in den Bundestag schafften.

    "Ich warne eindringlich davor, die Fünf-Prozent-Hürde infrage zu stellen", betont Leutheusser-Schnarrenberger dennoch. "Die Fünf-Prozent-Hürde abzusenken wäre keine Korrektur des neuen Wahlrechts, sondern eine grundlegende Veränderung für die Stabilität des politischen Systems in Deutschland", betont sie. "Mit dem Drehen an der Fünf-Prozent-Schraube löst man keine Probleme, sondern schafft sich neue. Ein stabiles Parlament ist von außerordentlich hohem Wert für unsere Demokratie, den wir nicht opfern dürfen."

    Ex-Bundesjustizministerin fordert Nachbesserung bei der Wahlrechtsreform

    Dennoch fordert auch die renommierte Juristin und ehrenamtliche Richterin am bayerischen Verfassungsgericht Nachbesserungen beim neuen Wahlrecht, nachdem künftig auch die CSU, wie einst die FDP, aus dem Bundestag fliegen könnte, selbst wenn sie fast alle Direktmandate in Bayern mit der Erststimme gewinnen würde. Denn mit dem neuen Wahlrecht entscheidet alleine das Ergebnis der Zweitstimmen über die Zusammensetzung des Bundestags. Die Ampel-Koalition schaffte die früher gültige sogenannte Grundmandatsklausel ab, mit der seit 1957 eine Partei auch mit weniger als fünf Prozent in den Bundestag einzieht, wenn sie mindestens drei Direktwahlkreise gewinnt. Zuvor reichte sogar dafür nur ein Direktmandat aus.

    FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin.
    FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    "Ich sehe ein Problem in der pauschalen Abschaffung der Grundmandatsklausel", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. "Ich halte es für falsch, einer Partei wegen dieses anderen Wahlrechts sämtliche gewonnenen Direktmandate in Bayern abzuerkennen, wenn sie bundesweit an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde und zugleich, bei Erst- und Zweistimmen zusammengezählt, wahrscheinlich deutlich über fünf Prozent läge", betont die Ex-Justizministerin. "Das neue Wahlrecht muss bei der Abschaffung der Grundmandatsklausel korrigiert werden und mindestens die Möglichkeit einer Listenverbindung für Fälle wie der CSU schaffen", betont sie.

    Staatsrechtler hält Verfassungsklage gegen Wahlrechtsreform für aussichtsreich

    Der Linken würde das nicht helfen. "Dass eine Partei mit nur drei gewonnenen Direktmandaten nicht mehr in Fraktionsstärke in den Bundestag einzieht, halte ich für vertretbar", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. "Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen sehr breiten und weiten Entscheidungsspielraum beim Wahlrecht eingeräumt", betont sie. "Ich halte es verfassungsrechtlich ohne Weiteres für vertretbar, dass im neuen Wahlrecht eine andere Gewichtung der Erst- und Zweitstimme vorgenommen wird und es dadurch zu einer Reduzierung der Direktmandate kommt."

    Die von Bayern und der CSU mit Klageschriften beauftragten Staatsrechtsprofessoren und Wahlrechtsexperten Markus Möstl von der Universität Bayreuth und Kyrill Schwarz von der Uni Würzburg dürften sich bei der Herabstufung der Bedeutung der Erststimme unter anderem auf den Grundsatz der Stimmengleichheit berufen: Denn trotz mehr Wahlstimmen in absoluter Zahl könnte die CSU ersatzlos fast alle Abgeordneten in bayerischen Großstädten verlieren, weil dort die Wahlergebnisse besonders knapp ausfallen. Und bei einem Scheitern der CSU an der Fünf-Prozent-Hürde würden zahlreich Wahlkreise ganz ohne Bundestagsabgeordnete dastehen. 

    Der Staatsrechtler und nordrhein-westfälische Landesverfassungsrichter Bernd Grzeszick hält eine Klage in Karlsruhe gegen das neue Gesetz für aussichtsreich: "Die Wahl im Wahlkreis ist weiterhin wahlrechtlich relevant und daher an der Gleichheit der Wahl zu messen", betont der Heidelberger Jura-Professor.

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