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Bundestag: Wie ein neues Wahlrecht den Bundestag verkleinern könnte

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Wie ein neues Wahlrecht den Bundestag verkleinern könnte

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    Bislang konnten die Wahlberechtigten bei Bundestagswahlen zwei Kreuze machen. Eins für Direktkandidatin oder -kandidaten und eins für eine Partei. Das könnte sich durch eine Reform ändern.
    Bislang konnten die Wahlberechtigten bei Bundestagswahlen zwei Kreuze machen. Eins für Direktkandidatin oder -kandidaten und eins für eine Partei. Das könnte sich durch eine Reform ändern. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Niemand rationalisiert seinen Arbeitsplatz gerne selbst weg – genau das aber werden einige Abgeordnete des Bundestages tun, wenn sie im Lauf dieser Legislaturperiode eine Reform des Wahlrechts beschließen. Dass das Parlament mit 736 Abgeordneten viel zu groß ist, darin sind sich im Prinzip alle Fraktionen einig.

    Wie man es möglichst gerecht und nachhaltig verkleinert, darüber gehen die Meinungen aber noch weit auseinander. Im Moment stehen zwei Vorschläge im Raum, die beide radikal mit dem gegenwärtigen System brechen.

    Zwei Modelle könnten das Wahlrecht in Deutschland reformieren

    Das Ampel-Modell: SPD, Grüne und FDP wollen die Sollgröße von 598 Abgeordneten künftig strikt einhalten: 299 Abgeordnete, die mit der Erststimme in den Wahlkreisen gewählt werden, 299 mit der Zweitstimme über die Landeslisten der Parteien. Die sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandate würden dafür abgeschafft. Sie entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate holt als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis an Sitzen eigentlich zustehen. Die CSU etwa hat bei der vergangenen Wahl 45 Direktkandidaten durchgebracht, hätte streng genommen aber nur 34 Abgeordnete nach Berlin schicken dürfen. Um diesen Vorteil von elf Überhangmandaten wettzumachen, erhalten die anderen Fraktionen Ausgleichsmandate.

    Nun schlagen die Experten der Ampelparteien eine Lösung vor, bei der nicht mehr jeder direkt gewählte Kandidat sein Mandat sicher hätte. Am Beispiel der CSU hieße das, dass nur die 34 Kandidatinnen und Kandidaten mit den prozentual besten Ergebnissen nach Berlin gehen. Elf andere wären in ihren Wahlkreisen zwar formell gewählt, würden aber trotzdem kein Mandat erhalten. Ihre Wahlkreise soll dann einer der unterlegenen Bewerber vertreten, der mit einer dritten Stimme, der so genannten Ersatzstimme, gewählt würde.

    Das Merz-Modell: Die Union ist strikt gegen eine Deckelung der Direktmandate, will die Zahl der Abgeordneten aber ebenfalls auf 598 begrenzen. Fraktionschef Friedrich Merz plädiert dabei für das sogenannte Grabensystem nach italienischem Vorbild, bei dem anders als bislang in Deutschland die Direktmandate nicht mit den Listenmandaten verrechnet und notfalls ausgeglichen werden. Die beiden Wege, ins Parlament zu kommen, trennt also ein symbolischer Graben. Im Bundestag säßen auch bei Merz 299 direkt gewählte Abgeordnete und 299 über die Liste gewählte, was Parteien wie CDU und CSU stärkt, die überproportional viele Direktmandate holen. Bei der Wahl 2017 etwa hätte die Union mit dem Grabensystem die absolute Mehrheit der Mandate geholt, obwohl sie nur 32,9 Prozent der Stimmen hatte.

    Im Moment sitzen 138 mehr Abgeordnete im Bundestag als vorgesehen

    Wie die Suche nach einem neuen Wahlrecht ausgeht, ist noch offen. Die Ampel habe mit ihrem Vorschlag „die ursprüngliche Verabredung zum gemeinsamen Vorgehen aufgekündigt,“ klagt Merz. Der FDP-Mann Konstantin Kuhle dagegen, einer der Erfinder des Modells, sagt: „Mit dem Durchwurschteln der vergangenen Jahre kommen wir nicht weiter.“ Miteinander vereinbar sind die beiden Modelle nicht. Im einen Fall wäre die Union der große Gewinner, im anderen der große Verlierer. Vor allem in den Städten würden ihre Direktkandidaten im Ampel-Modell vermutlich häufig den Kürzeren ziehen.

    Der Bundestag ist das größte demokratisch gewählte Parlament der Welt, nur der chinesische Volkskongress ist noch größer. Im Moment sitzen im Berliner Reichstag dank der Überhang- und Ausgleichsmandate 138 Abgeordnete mehr als vorgesehen. Geschätzte Mehrkosten nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler: 410 Millionen Euro bis zum Ende der Wahlperiode. Das Bundesverfassungsgericht hat das Wahlrecht bereits mehrfach für verfassungswidrig erklärt. So scheiterte auch eine nach einem ersten Urteil 2008 von der schwarz-gelben Koalition durchgesetzte Reform 2012 wieder in Karlsruhe. Die bisherige Regelung lasse zu, dass Überhangmandate in einem Umfang anfallen, „der den Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl aufhebt“, kritisierten die Richter damals und formulierten eine “zulässige Höchstgrenze von etwa 15 Überhangmandaten“.

    Eine Änderung der Verfassung ist für ein neues Wahlrecht nicht nötig. Die Ampel kann sie im Bundestag mit einfacher Mehrheit durchsetzen. Am Ende aber könnte die Reform dennoch in Karlsruhe landen. Im Bayerischen Rundfunk warnt der Verfassungsrechtler Philipp Austermann von der Hochschule des Bundes bereits: „Die Ersatzstimme ist eine Entwertung der Erststimme.“ Es sei eine Ungleichbehandlung der Wählerstimmen, wenn ein Teil der Wahlkreiskandidaten kein Direktmandat zugeteilt bekomme, obwohl er diese es eigentlich gewonnen haben. Außerdem wüssten die Wähler beim Abstimmen nicht, welche ihrer beiden Stimmen am Ende wirklich zählt - die Erst- oder die Ersatzstimme?

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