Angela Merkel ist mit ihrer Geduld am Ende. Unruhig rutscht die Kanzlerin auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe der Regierungsbank hin und her, mal zupft sie an ihrem lila Blazer, mal blickt sie mit gequälter Miene auf den Boden oder in das weite Rund des Plenarsaals.
Unverkennbar, Angela Merkel hat genug gehört. Doch Oppositionsführer Gregor Gysi, der Chef der Linksfraktion, denkt gar nicht daran, mit seiner Kritik über die Arbeit der Großen Koalition aufzuhören. Lautstark geißelt er am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestags, dem traditionellen Höhepunkt der Haushaltsdebatte, die soziale Spaltung der Gesellschaft und wirft Union und SPD eine systematische Umverteilung zulasten der ärmeren Bevölkerungsschichten vor.
Gysi kritisiert zu geringen Mindestlohn und Rentenpaket
Dass nun endlich der von seiner Partei seit Jahren geforderte flächendeckende Mindestlohn komme, sei ja schön und gut, aber 8,50 Euro seien viel zu wenig. „Zehn Euro wären angemessen.“ Dass es weiterhin Ausnahmen gebe, sei „demütigend“ für jeden Betroffenen. Und auch am Rentenpaket hat Gysi einiges auszusetzen. Unterschiedliche Renten in Ost und West „sind ein Skandal“.
Nach einer knappen halben Stunde ist Angela Merkel erlöst. Gysi ist fertig – und die Kanzlerin darf ans Rednerpult. In nüchternen Worten zeichnet sie ein völlig anderes Bild der Lage in Deutschland. Mit dem ersten strukturell ausgeglichenen Haushalt seit Jahrzehnten lege ihre Regierung „die Grundlagen für Deutschlands Stärken in der Zukunft“. Die Wirtschaft wachse unverändert, die Zahl der Beschäftigten erreiche mit 42 Millionen einen neuen Rekordstand.
Merkel lobt politische Entscheidungen ohne auf Gysis Kritik einzugehen
„Deutschland bleibt Stabilitätsanker und Wachstumsmotor der Euro-Zone und der EU“, verkündet die Kanzlerin. Ohne die Kritik Gysis auch nur mit einem Wort zu erwähnen, lobt sie die Beschlüsse zur Mütterrente und zur Rente mit 63 und die anstehenden zum Mindestlohn und zur EEG-Reform, um kurz die geplante digitale Agenda und die Maut für Ausländer zu streifen.
Ausführlich widmet sie sich ihrem Lieblingsthema – Europa. „Unserem Land geht es nur dann gut, wenn es Europa gut geht.“ Wenn es Europa gelinge, sich auf die Zukunftsfragen zu konzentrieren, werde es das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen. Mit Blick auf den 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, der zur „Selbstzerfleischung eines ganzen Kontinents“ geführt habe, rühmt sie, dass es gelungen sei, in Europa eine „umfassende Gesprächskultur“ zu entwickeln. Deswegen sei die EU – trotz aller Schwierigkeiten – attraktiv und ein Zukunftsmodell.
Oppermann wettert gegen die Schmähkritik der Linken auf Joachim Gauck
Die Debatte plätschert eher langweilig und unaufgeregt vor sich hin, bis Thomas Oppermann, der Fraktionschef der SPD, ans Rednerpult tritt – und sich Gregor Gysi vorknöpft. In deutlichen Worten weist er die Kritik der Linkspartei an Bundespräsident Joachim Gauck zurück. Der brandenburgische Landtagsabgeordnete Norbert Müller hatte auf seiner Facebook-Seite das Staatsoberhaupt einen „widerlichen Kriegshetzer“ genannt. Dies sei eine „unglaubliche Schmähkritik“, wettert der Sozialdemokrat. Die SPD reagiere sensibel auf derartige Angriffe gegen Staatsoberhäupter, „denn das war die Strategie der Nazis in der Weimarer Republik gegen Reichspräsident Ebert“.
Mit einem Schlag ist es mit der beschaulichen Ruhe im Plenarsaal vorbei, die Linken protestieren empört. Oppermann beeindruckt dies nicht. Zwar nimmt er Fraktionschef Gysi in Schutz, aber durch seine „demagogischen Verdrehungen“ von Gaucks Äußerungen lege er die Grundlage für solche „unglaublichen Entgleisungen“ anderer.
Da hält es Gysi nicht mehr auf seinem Sitz. Erregt setzt er zur Gegenrede an. „Es kann schon sein, dass der eine oder andere bei uns mal über das Ziel hinausschießt“, räumt er ein. Er selber würde den Bundespräsidenten niemals beleidigen, aber „rügen darf ich schon“. Dass man nun die Kritik am Präsidenten in einen Zusammenhang mit den Nazis stelle, sei „inakzeptabel“.