Wer schon mal eine Diät versucht oder gar geschafft hat, der weiß, dass der Weg zum Normalgewicht steinig und schwer ist. Der weiß auch, was ein Jojo-Effekt. Warum sollte es im politischen Berlin also anders sein, wenn es um das Abspecken des XXL-Bundestags geht? Rund eine Milliarde Euro an Kosten verursacht das „größte demokratische Einkammerparlament der Welt“ pro Jahr, kritisiert der Präsident des Steuerzahlerbundes, Reiner Holznagel. Nun ist die nächste Runde im Ringen um die Wahlrechtsreform eingeläutet. Es geht nicht nur ums Geld, sondern vielmehr auch um Posten und Einfluss. Es geht gleich hart zur Sache. Und die CSU hat offenkundig keine guten Karten (mehr).
598 Volksvertreterinnen und Volksvertreter sollen im Deutschen Bundestag sitzen. Das ist die Normgröße: Die Hälfte wird direkt gewählt, vor Ort in den 299 Wahlkreisen. Die andere Hälfte soll über die Landeslisten der Parteien ins Parlament einziehen. Doch dieses System gerät an seine Grenzen, wenn sechs Parteien den Einzug schaffen, teils im Kopf-an-Kopf-Rennen. Rechnerisch hätte der am 26. September gewählte Bundestag bis zu 1000 Abgeordnete haben können, geworden sind es schließlich 736 Diätenempfänger. In der Periode davor waren es 709.
CSU gewann mehr Mandate als ihr rechnerisch zustehen
Der Grund sind 138 Überhangs- und Ausgleichsmandate. Die kommen zustande, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach der Proporzverteilung des Zweitstimmen-Ergebnisses eigentlich zustehen. Weil Direktmandate aber nicht verwehrt werden dürfen, erhalten die anderen Parteien zusätzliche Sitze – bis die Prozentverhältnisse wieder stimmen.
Vor allem die CSU war in der Vergangenheit der Auslöser für solche Zusatzmandate. Auch diesmal: Die Christsozialen gewannen 45 der 46 Direktmandate im Freistaat. Bei den Zweitstimmen landeten sie bei historisch miesen 31,7 Prozent – das waren auf den gesamten Bund bezogen 5,2 Prozent. Dieser Zweitstimmenwert allein hätte der CSU weniger als 40 Mandate beschert. Also musste ausgeglichen werden, es entstand der bisher größte Bundestag aller Zeiten.
Was 138 zusätzliche Diätenempfänger in vier Jahren kosten
Allein die Extrakosten für die 138 „Mehr-Abgeordneten“ bezifferte Steuerzahlerchef Holznagel für die gesamte Wahlperiode auf 410 Millionen Euro – und mahnte die Parteien, endlich die hinausgeschobene Reform in Angriff zu nehmen. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung steht: Die Reform soll „nachhaltig das Anwachsen des Bundestags verhindern“. Selbst Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der im Oktober als Alterspräsident die konstituierende Sitzung leitete, drängte das Kollegium zu einer „Reform, die diesen Namen auch verdient“.
Vorausgegangen waren zwei Legislaturen, in denen zwar diskutiert, aber wenig beschlossen wurde. Zuletzt scheiterten Grüne, FDP und Linke mit einem Entwurf, der nur noch 250 Wahlkreise vorsah. Auch der Gang zum Bundesverfassungsgericht half nicht. Die Richter in den roten Roben ließen für die 2021-er Bundestagswahl die „Mini-Reform“ von Union und SPD passieren. Jetzt aber wird es ernst.
Beim Urnengang 2025 muss neues Recht gelten. Die Grünen – nun in der Regierung – wollen auf die CSU – nun in der Opposition – keine Rücksicht mehr nehmen. „Wahlrechtsreformen verabschiedet man möglichst im Konsens mit allen demokratischen Parteien, das ist auch unser Anspruch“, sagte die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir werden auf die anderen zugehen. Aber wenn es sich so gestaltet, dass die CSU, wie in den letzten acht Jahren, jede Möglichkeit verbaut, dann muss man es notfalls ohne sie machen.“ Es könne nicht sein, dass „eine kleine Regionalpartei über Jahre jeden sinnvollen Vorschlag blockiert“.
Das lässt man bei der CSU nicht auf sich sitzen. Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU, reagierte gegenüber unserer Redaktion: „Die Aussagen der Grünen irritieren mich sehr: Uns allen ist daran gelegen, die Größe des Bundestages nachhaltig zu reduzieren.“ Auch die CSU habe in der vergangenen Wahlperiode einen umfassenden Reformvorschlag gemacht, der die Größe des Bundestages gedeckelt hätte. Müller kontert: „Es waren die Grünen, die sich jedem Kompromiss verweigert und nur auf den größtmöglichen Vorteil für sich selbst beharrt haben.“ Er forderte Haßelmann auf, „ihre Drohszenarien abzubauen und konstruktiv mit uns an einer Wahlrechtsreform zu arbeiten“.
Auch CSU-Generalsekretär Markus Blume reagiert gegenüber unserer Redaktion harsch: „Schon nach wenigen Wochen zeigt sich bei den Grünen eine erschreckende Arroganz der Macht: Sie kündigen schon mal an, eine Wahlrechtsreform auch ohne demokratischen Konsens durchdrücken zu wollen.“ Blume wirft zugleich ein Sachargument in die Waagschale: „Wir wollen im Gegensatz zu den Grünen keine Riesen-Wahlkreise, in denen die Abgeordneten den Kontakt zur Bevölkerung verlieren. Dafür werden wir in Berlin weiter kämpfen.“
Damit lenkt der CSU-General den Blick auf den (abgelehnten) Sparvorschlag für ein Parlament mit 500 Sitzen. Legt man die Bevölkerungszahlen zugrunde, wie das der Bundeswahlleiter tut, würde das für Bayern bedeuten: Statt 93 Mandate stünden dem Freistaat nur noch 78 zu – also nur noch 39 Direktmandate. Das heißt: Selbst wenn die CSU auch beim nächsten Mal (fast) alle Wahlkreise gewinnt, würde sie dennoch mindestens fünf bis sechs Mandate einbüßen. Bei den anderen Parteien hingen Gewinn und Verlust von Sitzen letztlich vom jeweiligen Abschneiden ab. Das erklärt die Zurückhaltung der Christsozialen. Oder die Blockade, wie das die Grünen formulieren.
Und dann ist da noch ein Problem: die Gleichberechtigung
Dabei steht neben der reinen Mandatszahl ein zweites heißes Eisen im Reform-Feuer: die Frage von mehr Gleichberechtigung. Die ehemalige Familienministerin Rita Süssmuth (CDU) erinnerte unlängst daran, dass mit der Wahlrechtsreform auch eine Parität von Frauen und Männern sicherzustellen sei. „Man traut den Frauen nichts zu“, sagte die CDU-Politikerin. Es gehe nicht darum, einen Kampf gegen die Männer zu führen, betonte sie, warnte aber vor dem Rückfall in alte Rollenmuster.