Am Tag 27 nach dem Karlsruher Urteil fiel der Union beim Blick auf den Haushaltsstreit der Ampelkoalition nicht mehr viel ein. Das rhetorische Pulver wurde längst verschossen, jede nur denkbare Floskel bereits mehrfach bemüht. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nahm, immerhin das war neu, Anleihen beim Film. Die Republik erlebe gerade „Murmeltiertage“, sagte Dobrindt vor Journalisten in Berlin. Die Ampel befinde sich nicht in einer Zeitenwende, sondern in einer Zeitschleife. Das war gemünzt auf den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, vor allem aber auf die Dauer der Haushaltsverhandlungen zwischen Kanzler Olaf Scholz, seinem Vize Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.
Seit Tagen wartet nicht nur das politische Berlin darauf, dass sich die Spitzen von SPD, Grünen und FDP auf einen Haushalt für das Jahr 2024 verständigen. Das Karlsruher Urteil zum Nachtragshaushalt 2021, das den aktuellen Etatstress erst auslöste, erging am 15. November. Seitdem ähnelt die Lage dem von Dobrindt erwähnten Film in der Tat. Scholz und seine Regierung erleben denselben Tag immer wieder; sie gehen morgens ins Kanzleramt und abends ohne Ergebnis wieder heraus, am nächsten Tag wiederholt sich das Szenario.
Haushalt: Christian Lindner erwartet zügige Lösung
Wobei diese Beschreibung ein wenig zugespitzt ist und sich zudem andeutet, dass die Schleife bald durchbrochen wird. FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich zuletzt zuversichtlich, dass eine zügige Lösung möglich ist. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann erklärte am Dienstagnachmittag gar, dass es „sehr bald“ zu einem Ergebnis kommen werde. Das deutete auf Fortschritte hin. Doch zunächst verlief der Dienstag wie die Tage zuvor, selbst die eigenen Leute schienen in einer Art Zeitschleife gefangen. „Wir warten“, hieß es aus der SPD-Fraktion lakonisch.
Aus der Verhandlungsrunde im Kanzleramt drang nichts nach draußen, die Beobachter waren darauf angewiesen, sich aus Äußerungen im Umfeld ein Bild zu machen. Dabei wurde immerhin eines deutlich: Der Haushalt 2024 scheint in den Beratungen nicht mehr das ganz große Problem zu sein – Details wurden hier nicht bekannt, aber das von Lindner ermittelte 17-Milliarden-Euro-Loch ist kein alles verschlingender Schlund mehr. Schwierigkeiten macht der Koalition offenbar noch die mittelfristige Finanzplanung, also der Ausblick auf das Jahr 2025 und folgende.
Es gebe aufgrund des Karlsruher Urteils nicht nur einen Handlungsbedarf für 2024, „sondern, da es sich vielfach um strukturelle Kosten handelt, auch für die Jahre danach“, hatte Regierungssprecher Steffen Hebestreit bereits durchblicken lassen und ergänzt: „Es geht auch darum, dass man den Handlungsbedarf, den man ausweist, nicht nur für ein Jahr hat, sondern dass er sich auch in den folgenden Jahren fortsetzt.“
Kommt die Schuldenbremse erneut?
Hinter dem Begriff „strukturelle Kosten“ verbirgt sich nicht zuletzt die Schuldenbremse. Es geht um die Frage, was auf die Nettokreditaufnahme des Bundes angerechnet werden darf und was nicht, damit die Neuverschuldung 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigt. Die bisherige Praxis, Milliardensummen in Sondervermögen zu parken, ist vom Bundesverfassungsgericht moniert worden. Die Ampel muss sich also einigen, wie viel Geld sie in den kommenden Jahren ausgeben will und wo es herkommt.
Eine Möglichkeit wäre die Aussetzung der Schuldenbremse, wie es für den 2023er-Haushalt, der am Freitag als Nachtrag im Bundestag verabschiedet werden soll, vorgesehen ist. Die Sozialdemokraten sprachen sich am Wochenende auf ihrem Parteitag per Beschluss grundsätzlich dafür aus, dies auch für 2024 zu tun. Scholz hielt sich zurück, wohl wissend, dass die FDP die Schuldenbremse im kommenden Jahr wieder einhalten möchte. Die Grünen stehen irgendwo dazwischen. Die Co-Parteivorsitzende Ricarda Lang hat sich für eine Aussetzung im kommenden Jahr ausgesprochen, Habeck will sie aufweichen, aber dafür müsste das Grundgesetz geändert werden. Wie auch immer: Die Regierung muss ihr Vorgehen sorgfältig abwägen. Sollte sie sich aus Sicht der Opposition eine verfassungsrechtliche Blöße geben, werden CDU und CSU gegen den Haushalt 2024 in Karlsruhe Klage einreichen, wie Unions-Fraktionschef Friedrich Merz am Dienstag noch einmal bestätigte.
Für Mittwoch war mit Blick auf den bevorstehenden EU-Gipfel im Bundestag eine Regierungserklärung von Kanzler Scholz angesetzt – verbunden mit der Erwartung, dass bis dahin zumindest Leitplanken für die künftige Haushaltsplanung vorliegen. Bis zum frühen Abend war unklar, ob es eine solche Lösung oder doch einen weiteren Tag in der Zeitschleife geben würde.