Wildsau und Gurkentruppe – das sind die Schlagworte einer Episode, die als einer der Tiefpunkte in der reichen Geschichte des Streits innerhalb von Regierungskoalitionen gilt. 2010 war es, die Union unter Angela Merkel herrschte mit dem Juniorpartner FDP, als ein Streit um das Gesundheitswesen eskalierte. Die FDP warf der CSU "Wildsau-Politik" vor, die Christsozialen nannten die Liberalen daraufhin eine Gurkentruppe. Auf dieses Niveau, da waren sich die Beteiligten der heutigen Ampel-Koalition einig, wolle man nie herabsinken. Doch gegen den Zwist, der sich jetzt vor allem zwischen Grünen und FDP abspielt und bei dem auch die führende SPD kein gutes Bild abgibt, wirkt der Wildsau-Gurkentruppen-Zoff fast schon harmlos-drollig. Nichts weniger als "Wortbruch" warf Robert Habeck der FDP vor, die zum geplanten Heizungsgesetz nicht nur einige, sondern gleich 101 Fragen hat. Damit ist die geplante Verabschiedung des Gesetzes noch vor der Sommerpause, die Anfang Juli beginnt, kaum mehr zu schaffen. "Ich nehme zur Kenntnis, dass die FDP sich nicht an das gegebene Wort hält", schäumte der grüne Energie- und Wirtschaftsminister.
So reagiert die SPD auf den "Wortbruch"-Vorwurf im Heizungsstreit
Beim Koalitionsgipfel im März hätten sich alle Partner auf das Vorhaben geeinigt, mit ihrem Rückzieher, argumentierte Habeck, stelle die FDP auch die Autorität von SPD-Kanzler Olaf Scholz infrage. Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte die Liberalen, sie nervten mit ihrer Bremserei. Doch ebenso deutlich machte er, dass es eben nicht einfach um einen Konflikt zwischen Rot und Grün gegen Gelb auf der anderen Seite geht. Vielmehr drängt auch die SPD auf deutliche Änderungen am Gesetz, das sie freilich schnell abräumen will. Mützenich bemängelte etwa die einseitige Fixierung auf Wärmepumpen. Auch gegen den Wortbruch-Vorwurf Habecks nahm er die Liberalen in Schutz. Hintergrund des sozialliberalen Doppelpasses: Die SPD sieht sich als Anwältin der "kleinen Leute", die FDP als Sprachrohr der Wirtschaft. Beide fühlen sich von den Habecks Plänen überfordert.
Mit Blick auf das 160-Parteijubiläum, das die SPD in dieser Woche feierte, geriet mancher Genosse ins Grübeln: Zu Zeiten von Willy Brandt und Helmut Schmidt, da habe die SPD zusammen mit starken Gewerkschaften dafür gesorgt, dass sich auch Arbeiterfamilien Wohneigentum leisten konnten. Heute, so heißt es in Abgeordneten-Büros, meldeten sich nicht wenige Besitzer dieser oft schlecht gedämmten Häuschen aus den 1970ern mit ihrer Sorge, wie sie denn die Heizungsauflagen der Ampel-Regierung mit kleinen Renten erfüllen könnten.
Grüner nennt FDP "destruktive Clique"
Die Grünen, zuvor jahrelang vom Erfolg verwöhnt, haben sich in die Wagenburg zurückgezogen, wittern nach der "Trauzeugen-Affäre" um Habecks erst spät geschassten Staatssekretär Graichen überall Angriffe unter der Gürtellinie. Gegenüber der FDP herrscht offene Wut. Marcel Emmerich, grüner Obmann im Innenausschuss, nannte die Liberalen eine "unzuverlässige, destruktive Clique, die sich an Verabredungen nicht gebunden fühlt". Die FDP-Abgeordnete Sandra Weeser wirft den Grünen wiederum vor, als Retourkutsche auf das Zögern beim Heiz-Gesetz sogar das bereits fertige Gesetz zum Wiederaufbau im Katastrophengebiet Ahrtal zu blockieren. Dies sei "explizit gelogen", keilt Grünen-Abgeordnete Christina-Johanne Schröder zurück
Und dabei steht die Auseinandersetzung um das Thema, über das traditionell am heftigsten gestritten wird, erst noch bevor: das liebe Geld. Der Finanzminister hat seinen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr noch nicht vorgelegt. Den ursprünglich vorgesehenen Termin am 21. Juni hat er bereits abgesagt. Hintergrund: Linder fordert eine pauschale Sparrunde, um die Schuldenbremse nicht zu reißen, wie er es seinen Anhängern fest versprochen hat. Gerade in den grün geführten Ressorts brodelt es.
Wahlen in Bayern und Hessen werfen Schatten voraus
Die wachsende Gereiztheit im Ampel-Lager erklären Insider mit den beiden wichtigen, schon in gut vier Monaten anstehenden Landtagswahlen. Während es in Bayern für alle Ampel-Partner ohnehin wenig zu holen gibt, hat die Hessen-Wahl Signalcharakter. Die SPD liegt in Umfragen weit hinter der CDU und sogar knapp hinter den Grünen. Die wiederum, aktuell Junior-Partner der CDU, hoffen, dass bis zum Wahltermin schon Gras über den Heizungsstreit gewachsen ist. Um den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde bangen aber muss die FDP. Strategen bei Grünen wie der SPD argwöhnen, Kurs der Liberalen sei es zu verhindern, dass rasch ein Knopf an das leidige Heizungsgesetz kommt – um dann in der heißen Wahlkampfphase weiter als Opposition innerhalb der Regierung zu punkten. Sollte es diese Strategie geben, ist längst nicht sicher, ob sie auch aufgeht. Bei der Bundestagswahl 2013, die auf den Wildsau-Gurkentruppen-Streit folgte, flog die FDP aus dem Bundestag.