In der Ampel-Koalition hängt der Haussegen nach kaum zwei Monaten gemeinsamen Regierens gewaltig schief. Schon seit Wochen nehmen die Spannungen zu, jetzt entluden sie sich in einem so unüberhörbaren wie denkwürdigen Knall: Die FDP kündigte Lothar Wieler, dem Chef des staatlichen Robert-Koch-Instituts (RKI) und damit dem wichtigsten Corona-Bekämpfer von SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, das Vertrauen auf. Ein Affront auch gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und eine schwere Belastung für das Bündnis. Das hatte sich ja eigentlich nach dem Prinzip gegründet, jedem Partner sein Biotop zu lassen, aus dem die anderen sich heraushalten. Davon ist gerade kaum mehr etwas zu spüren.
Mit ihrer rüden Ansage reagierte die FDP auf den Schritt Wielers, den Genesenen-Status nach einer Corona-Infektion plötzlich und eigenmächtig von sechs auf drei Monate herabzusetzen. Quasi über Nacht verloren hunderttausende von Bürgern damit das Recht, Fitnessstudios, Restaurants oder Bars zu besuchen. Dass das RKI die Kompetenz dazu bekam, hatte Lauterbach ausdrücklich gebilligt. Der Gesundheitsminister dürfte der eigentliche Adressat des liberalen Zorns sein, den Bijan Djir-Sarai, seines Zeichens designierter FDP-Generalsekretär, so zuspitzte: "Des Vertrauens der FDP kann sich Herr Wieler aber aufgrund dieser neuerlichen Verfehlung, die ja leider keinen Einzelfall darstellt, nicht mehr sicher sein."
Eine Sprecherin der Bundesregierung sah sich am Montag genötigt, Wieler gegen die Attacke in Schutz zu nehmen, die wohlgemerkt nicht aus der Opposition, sondern dem eigenen Lager kam. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Wieler nur der Sündenbock ist für einen aus Sicht der FDP verfehlten Kurs der Partner in der Pandemie. Die kleinste der drei Ampel-Parteien wünscht sich, über Lockerungen zu diskutieren. Weite Teile der Wirtschaft, allen voran Gastronomie und Einzelhandel, sitzen den Liberalen im Nacken und verweisen auf die Öffnungen in Ländern wie Dänemark und Großbritannien. Doch die SPD steht auf der Bremse.
Die Bundesregierung hat keine gemeinsame Position zur Impfpflicht
Weiterer Corona-Zankapfel in der Ampel ist die Impfpflicht, über die alle Abgeordneten zwar frei entscheiden sollen, die aber dennoch heftig diskutiert wird. Olaf Scholz oder sein Gesundheitsminister Lauterbach befürworten die Impfpflicht, haben aber keinen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht und wollen dies auch nicht tun. Aus gutem Grund offenbar, denn wie die Sache ausgeht, ist völlig offen, eine Blamage für den Kanzler drohte. FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki ist mit seinem Antrag, eine Impfpflicht komplett abzulehnen, voll auf Konfrontation zu Scholz und Lauterbach, eine gemeinsame Ampel-Position ist nirgends in Sicht.
Doch es ist längst nicht nur das Mega-Thema Corona, das die Ampel entzweit - oder vielmehr "entdreit". Immer lauter knirscht es in allen möglichen Politikfeldern. Da stoppte etwa ausgerechnet der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck kürzlich abrupt die KfW-Förderung für energieeffizientes Bauen und stieß damit nicht nur zahlreiche Bauherren im Land vor den Kopf. Sondern auch Bauministerin Klara Geywitz von der SPD. Die nannte Habecks Entscheidung "bedauerlich". In der FDP finden viele, Habeck agiere zu sehr als Klimaschutz- und zu wenig als Wirtschaftsminister. Angesichts steigender Rohstoff- und Energiepreise könnten gerade kleinere und mittlere Unternehmen durch einen zu strengen Klimaschutzkurs unter die Räder kommen.
Wie geht es weiter mit Russland, der Ukraine und Nord Stream 2?
Heftige Meinungsverschiedenheiten gibt es auch in der Außenpolitik, und da vor allem in der Frage nach dem richtigen Kurs der Bundesregierung angesichts der Bedrohung der Ukraine durch Russland. FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann brachte zunächst mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine ins Spiel, die Bundeskanzler Olaf Scholz zuvor ausgeschlossen hatte. Strack-Zimmermann ruderte aber kurze Zeit später wieder ein Stück zurück.
Auch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, mit der künftig mehr russisches Erdgas nach Deutschland gepumpt werden soll, sorgt in der Koalition für Zwist. Erst spät ließ sich Kanzler Olaf Scholz die Aussage entlocken, dass mögliche Sanktionen gegen Russland auch eine Nicht-Inbetriebnahme der Röhre einschließen. Bei den Grünen gibt es schon viel länger Zweifel an der Gasleitung, die Kritiker für einen wichtigen Baustein der geostrategischen Ambitionen Russlands halten. In der SPD wurde das Projekt, dessen wichtigster Fürsprecher in Deutschland Ex-Bundeskanzler und -Parteichef Gerhard Schröder ist, dagegen lange unverdrossen als "rein privatwirtschaftlich" dargestellt.
Lindner lässt Ressorts mit teuren Extrawünschen abblitzen
Nun droht in der Ampel auch noch der Streit ums liebe Geld zu eskalieren. Finanzminister Christian Lindner (FDP) wird gerade mit üppigen Extrawünschen seiner Kabinettskolleginnen und -kollegen konfrontiert, die sich einem Bericht des Handelsblatts zufolge auf rund 400 Milliarden Euro zusätzlich belaufen. Lindner aber warnt, gerade in Zeiten tendenziell steigender Zinsen müsse die Politik jetzt Prioritäten setzen.
Im Klartext bedeutet das, dass sich die anderen Ressorts ihre Sonderwünsche abschminken können. Quer durch die drei Ampel-Parteien fragen sich nun Politikerinnen und Politiker, wie das während der Koalitionsverhandlungen aufgebaute Vertrauensverhältnis wieder gekittet werden kann. Dass die Flitterwochen irgendwann vorbei sein würden, sei ja klar gewesen, heißt es. Doch jetzt müssten die nicht abgesprochenen Vorstöße und der nach außen getragene Zwist schleunigst wieder aufhören. Denn das liefere nur der Opposition, namentlich der Union, Steilvorlagen. CDU und CSU sind inzwischen in den Umfragen bereits wieder an der SPD vorbeigezogen.