Es gibt Wünsche, die wirken auf den ersten Blick so harmlos, dass die Ungeheuerlichkeit, die sie auf den zweiten Blick offenbaren, umso schlagender ist. Als Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst in einem ARD-Interview nach seinen Erwartungen an den Urlaub gefragt wurde, antwortet er: „Ich freue mich darauf, dass Ruhe herrscht.“ Doch Scholz hatte den Schlips noch nicht ganz gelockert, da zeigte sich bereits: Dieser Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Der Haushaltsstreit geht in eine neue Runde. Die wievielte es ist, können inzwischen wahrscheinlich nicht einmal mehr die Beteiligten selbst sagen. Doch der Kanzler nahm die Sache so ernst, dass er sich mit einem klaren Gruß aus den Ferien meldete: „Das geht“, sagte er der Wochenzeitung Zeit - es war ein Versuch, das einzudämmen, was sein Finanzminister Christian Lindner losgetreten hatte: nämlich juristische Zweifel am Haushaltsplan.
Ob sein Basta wirkt, mag kaum jemand vorhersehen. Bis Mitte August wollen Scholz, Lindner und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erneut Lösungen suchen. Was dafür umso klarer zutage tritt, ist der Frust, der innerhalb der SPD herrscht. Von der Grenze des Erträglichen, die überschritten ist, spricht Parteichefin Saskia Esken. Von „öffentlichem Zirkus“ spricht der Co-Vorsitzende Lars Klingbeil. Und nicht nur die Zweckehe mit FDP und Grünen setzt den Sozialdemokraten zu. Die eigenen Umfragewerte sind schlecht, dass die Partei ausgerechnet ihr Herzensprojekt Bürgergeld scheibchenweise beerdigen muss, lässt die Nerven blank liegen. Dass ab 2026 weitreichende US-Raketen in Deutschland stationiert werden sollen, treibt im linken Lager der Partei den Blutdruck zusätzlich nach oben.
Kann Scholz die Stimmung für die SPD drehen?
Noch gut ein Jahr ist es bis zur nächsten Bundestagswahl. Scholz demonstriert Gelassenheit. Doch die Frage ist: Reicht die Zeit bis zum September 2025 aus für die Sozialdemokraten, sich selbst zu stabilisieren? Kann Scholz das Stimmungstief, in dem er steckt, noch einmal drehen, so wie ihm das im Jahr 2021 gelungen war? Der Kanzler ist überzeugt: „Umfrageergebnisse, die nicht gut sind, sind ein Ansporn, bessere Umfrageergebnisse erreichen zu wollen“, sagt er – andere sind weniger optimistisch. Wären schon am Sonntag Wahlen, würden noch nicht einmal ein Drittel der Wählerinnen und Wähler einer der drei Ampelparteien ihre Stimme geben. Die SPD als Kanzlerpartei kommt in einer aktuellen Forsa-Umfrage auf gerade einmal 15 Prozent – das sind nicht nur zwei Prozentpunkte weniger als die AfD, es wäre auch das mit Abstand schlechteste Ergebnis, das die Partei je bei einer Bundestagswahl erzielt hat. „Einen so geringen Rückhalt in der Wählerschaft dürfte bislang noch keine Bundesregierung gehabt haben“, sagt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstitutes. „Selbst nach siebenjähriger Regierungszeit kam die damals auch nicht mehr sehr populäre rot-grüne Bundesregierung im Sommer 2005 zusammen noch auf 33 Prozent.“
Sogar in der SPD selbst scheinen die Zweifel zu wachsen: Die Partei sei keinesfalls so geschlossen, Scholz das gerne hätte, glaubt Güllner. Eine Mehrheit sei nicht nur mit dem Kanzler unzufrieden, sondern auch mit Saskia Esken – einer Sicht, der man in der SPD entschieden widerspricht. „Von einer Partei, die Olaf Scholz nicht als Vorsitzenden haben wollte und auch Bedenken gegen seine erneute Kanzlerkandidatur hat und die von großem Frust und einer Sehnsucht nach Opposition in der linken Nische geprägt ist, ist kaum ein überzeugender und kämpferischer Wahlkampf zu erwarten“, sagt Güllner. „Die SPD hat offenbar wie schon bei Helmut Schmidt und Gerhard Schröder Vorbehalte auch gegen ihren jetzigen Kanzler. Zur DNA der SPD gehört anscheinend eine Art Oppositions-Gen und eine Aversion gegen die Übernahme von Regierungsverantwortung.“
Belastet die Ampel den Wahlkampf im Osten?
In der Partei selbst geht die Angst um, dass Scholz um des Koalitionsfriedens willen bereit ist, selbst die heiligsten sozialdemokratischen Kühe zu schlachten. Nur mit Mühe konnte ein Mitgliederbegehren abgewendet werden, das sich kategorisch gegen weitere Kürzungen im Sozialen stellen wollte. Spätestens nach den Landtagswahlen im Osten könnten die Fliehkräfte innerhalb der Partei noch zunehmen. Dabei haben die Sozialdemokraten noch nicht einmal die herben Verluste verdaut, die sie bei der Europawahl erlitten hatten. Die SPD befindet sich sowohl in Thüringen als auch in Sachsen im Sinkflug. In beiden Bundesländern sagen Umfragen einstellige Ergebnisse voraus. In Brandenburg, wo bislang ihr Dietmar Woidke als Ministerpräsident regiert, könnten sie die Macht verlieren. Bei den Genossen im Osten jedenfalls geht die Angst um, dass die Berliner Politik sie in ihrer ohnehin schwierigen Lage noch zusätzlich nach unten zieht. „Das schadet nicht nur dem Ansehen der Bundesregierung, sondern schadet am Ende auch unserer Demokratie“, sagte Woidke im Interview mit unserer Redaktion. „Ich glaube, in dieser Zeit erwarten die Menschen einfach Führung, sie erwarten Stärke, sie erwarten Sicherheit.“ Von ungelösten Problemen, Ängsten und Unsicherheiten profitierten Populisten. „Hat Herr Lindner die Handynummer vom Kanzler verlegt? Warum bespricht man solche Dinge nicht intern miteinander?“, fragte Thüringens Innenminister und SPD-Spitzenkandidat Georg Maier im Tagesspiegel. „Der ständige Zoff in der Bundesregierung ist für uns Wahlkämpfer im Osten eine große Belastung. Ich appelliere eindringlich an alle Verantwortlichen der Ampel, dieses unsägliche Sommertheater zu beenden.“
Es gab Zeiten, in denen die SPD in Krisen wie dieser ihr Spitzenpersonal infrage gestellt hatte. Das muss Scholz zumindest aktuell nicht befürchten. Die Hoffnung ist, dass die Wählerinnen und Wähler mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz noch viel stärker fremdeln. Könnten die sich direkt für einen Kanzler entscheiden, würden laut der Forsa-Umfrage 27 Prozent für Scholz entscheiden – und genauso viele für Merz. 46 Prozent wollen weder den einen noch den anderen. „Bei aller Unzufriedenheit mit der Arbeit des Kanzlers liegen die persönlichen Werte von Olaf Scholz immer noch deutlich über den Werten seiner Partei“, so Güllner. „Bei Friedrich Merz ist das nicht der Fall; seine persönlichen Werte liegen meist unter denen der CDU/CSU.“
Welcher Schlagabtausch??? 3 Parteien, die durch ebenbürtig schwache Politiker vertreten werden.
War das nicht von Beginn an klar, dass eine 3 Parteien Konstellation kritisch werden würde? Selbst wenn man eine davon, egal welche, austauscht gegen die Union würde es vermutlich genauso problematisch werden. Ein Dreierbündnis auf Bundesebene hatten wir so noch nicht., ergo fehlen Erfahrungen damit, allerdings lernen sie derzeit sehr langsam vorausgesetzt der Wille ist da. Ein besonderer Aspekt ist noch, dass die FDP in den Länderahlen überall ums Überleben kämpft und das zeigt sich dann auch in einigen Verhaltensweisen im Bund.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden