Bei seinem Wachstumschancengesetz war sich Bundesfinanzminister Christian Lindner eines Erfolgs offenbar sicher. Der FDP-Politiker hatte bereits einige Tage vor dem geplanten Kabinettsbeschluss einen Termin mit der Bundespressekonferenz ausgemacht – der am Mittwochmittag dann kurzfristig wieder abgesetzt wurde. Lindners Gesetz schaffte es nicht durchs Kabinett, die Koalition zeigt sich heillos zerstritten.
Des Ministers ursprüngliche Zuversicht kam nicht von ungefähr. Die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie und des russischen Überfalls auf die Ukraine belasten die deutsche Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte. Gleichzeitig soll das Land bis 2045 klimaneutral werden. All das muss vorangetrieben werden, all das kostet viel Geld. „Mit dem vorliegenden Gesetz werden wir die Liquiditätssituation der Unternehmen verbessern und Impulse setzen, damit Unternehmen dauerhaft mehr investieren und mit unternehmerischem Mut Innovationen wagen können“, erklärte der Finanzminister.
Mit dem grünen Wirtschaftsminister Habeck war sich Lindner schon einig
Geschehen soll das unter anderem durch eine Investitionsprämie für Unternehmen, die Geld in den Klimaschutz stecken. Die Grünen hatten dagegen an sich nicht viel einzuwenden, mit Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war sich Lindner einig. Bis es dann zur überraschenden Wendung kam. „Es ist bedauerlich, dass heute ein Kabinettsbeschluss trotz des Einvernehmens mit dem Bundeswirtschaftsministerium nicht möglich war“, ließ Lindner danach über einen Sprecher erklären.
Zwischen sechs und 6,5 Milliarden Euro würden Lindners Pläne wohl kosten. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) fürchtete angesichts dieser Summe um ihre sieben Milliarden Euro schwere Kindergrundsicherung – und sorgte dafür, dass das Wachstumschancengesetz nicht auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Das vorläufige Scheitern wurde dann noch während der Kabinettssitzung nach außen durchgestochen. Eigentlich hatte sich das Regierungsbündnis vorgenommen, den schlechten Beispielen der Großen Koalition nicht zu folgen und sich bislang weitgehend daran gehalten. Die Abweichung von dieser Regel könnte ein Hinweis darauf sein, wie groß der Druck in der Koalition gerade ist.
Wolfgang Kubicki nennt die Blockade "einfach nur dumm"
Der Streit über die geplanten Steuererleichterungen für Firmen soll nach einer Blockade im Kabinett auf der Kabinettsklausur in Meseberg Ende August geklärt werden. „Deutschland braucht wieder Wachstum“, verteidigte Lindner seine Pläne. Die strukturellen Bedingungen für die deutsche Wirtschaft müssten verbessert und Investitionen attraktiver werden. „Jede und jeder sollte wissen, dass alle sozialen Ausgaben ein starkes wirtschaftliches Fundament benötigen“, sagte der Finanzminister. „Auch Familien mit Kindern benötigen gute Arbeitsplätze“, ergänzte er und das war natürlich eine Spitze gegen Paus und die Grünen.
Lindners Parteifreund Wolfgang Kubicki formulierte es deutlich heftiger. „Es ist einfach nur dumm von Frau Paus, nachdem Habeck und die anderen grünen Ministerinnen und Minister bereits zugestimmt hatten. Dieses Verhalten hat ihre Verhandlungsposition nicht verbessert“, sagte der Bundestagsvizepräsident der Bild-Zeitung. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler nannte Paus demnach ein „personifiziertes Standortrisiko“.
Kanzler Scholz ist überzeugt, dass eine Einigung gelingen wird
Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann bemühte sich, den Eindruck eines handfesten Koalitionsstreits abzumildern. Die Ampel habe in den letzten Monaten bewiesen, „wie sehr sie entschlossen“ sei, die Arbeit voranzutreiben. Der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Aussicht gestellte Neustart habe stattgefunden. „Ich würde in Abrede stellen, dass wir nicht durchgestartet sind“, sagte Hoffmann. Was das Wachstumschancengesetz angehe, sei Scholz überzeugt, dass eine Einigung gelingen werde.
Aus der Wirtschaft und Opposition kam Kritik. „Dass die Bundesregierung den Beschluss zum Wachstumschancengesetz und damit die lang angekündigten Entlastungsmaßnahmen aufschiebt, sendet das falsche Signal: Sie sind angesichts der konjunkturellen Lage lange überfällig“, erklärte ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke. Das Handwerk vertraue darauf, dass auch die Politik aus dem Krisen- und in den Zukunftsmodus schalte.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte unserer Redaktion: „Die Streit-Ampel geht in die nächste Runde. Offensichtlicher kann man geballte Regierungsunfähigkeit und mangelnden gemeinsamen Regierungswillen kaum zur Schau stellen.“ Die Botschaft sei klar: „Die Ampel lässt Wirtschaft und Wohlstand schrumpfen und die Cannabispflanzen wachsen. Sie hat jeglichen Kompass verloren.“