Die besten Fragen an den Kanzler stellen die Kinder. Wegen der entwaffnenden Offenheit kommt Olaf Scholz nicht dazu, in seinen gefürchteten Politikersprech zu schalten. Die Kleinen haben in diesem Moment im Garten des Kanzleramtes mehr Macht als der mächtigste Mann Deutschlands. „Ähm, sind Sie reich?“ „Wenn man weiß, wie viel die meisten Bürgerinnen und Bürger verdienen, dann bin ich reich“, sagt Scholz. „Hast du viel zu essen?“ „Das versuche ich zu vermeiden“, antwortet der Kanzler. Das sei besser für seine Figur. „Warst du gut in der Schule?“ „Ich gestehe, ja.“
Scholz muss in der Schule ein ziemlicher Streber gewesen sein, denn sein Hobby war nicht etwa Bolzen, Schwimmen oder Basteln, sondern Lesen. Am liebsten Geschichtsbücher, aber auch die Geschichten von Karl May. Immerhin hat er auch Musik gemacht. Beim Tag der offenen Tür erfahren die hunderten Gäste auch, dass der Kanzler noch jeden Tag duscht. Auch das entlockte ihm ein Kindermund. In diesen krisenschweren Tagen, in denen der Waschlappen die Wiederauferstehung feiert, ist es für Olaf Scholz ein angenehmer Termin an einem schönen Sommertag.
Tag der offenen Tür: Auf Pommer und Bier beim Kanzler
Luftig, locker unter dem satten Grün der Bäume stellt er sich den Fragen, vereinzelt bekommt er Applaus. Es ist wie ein Spaziergang am Sonntag. Die Leute kommen so zu ihrem Kanzler, als gingen sie in den Park. Viele Männer in T-Shirt und kurzen Hosen, die Damen ebenso oder im Kleid. An den aufgestellten Imbissbuden gibt es Pommes, Nudeln und Bier. Nach einer guten Stunde, in der er ihre Fragen beantwortet, haben sie ein klareres Bild von diesem Mann, der sie durch die Stürme der Zeit führen soll.
Einige sind besorgt wegen der enormen Preise von Gas und Strom, andere wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine. Doch niemand motzt, niemand brüllt „Alles scheiße“ oder „Hau ab“, wie es Scholz neulich bei einem Auftritt in Brandenburg ertragen musste. Die Wutbürger sind zu Hause geblieben. Ihr Gezeter war einer der Tiefpunkte in der zu Ende gegangenen Pannenwoche, die sich zu einer zum Abgewöhnen für den SPD-Mann entwickelte.
Da war sein Schweigen, als Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas in Berlin den Holocaust relativierte, da kamen alte Vorwürfe im Hamburger Finanzskandal um die Warburg-Bank wieder hoch, da erklärten Ökonomen vieler Universitäten die Mehrwertsteuersenkung auf Gas zu einem Irrweg. Als Quittung rauschten seine persönlichen Umfragewerte ab. Ein halbes Jahr nach dem Ausrufen der Zeitenwende muss der Kanzler schon hart um den Rückhalt in der Bevölkerung kämpfen.
Bundeskanzler Olaf Scholz bekommt Beifall
In seiner Regierungszentrale gelingt es ihm. Die Leute klatschen, als er seinen abwartenden Kurs in der Ukraine-Politik begründet. Es bleibe dabei, dass Deutschland nicht nach vorne preschen und Waffen nur in Abstimmung mit den Partnern liefern werde. Gefragt hatte ihn ein General außer Dienst, der sich wie die Osteuropäer mehr militärische Hilfe für die Ukraine wünschte. „Ist er doch drangekommen. Nicht so viel reden“, murmelt seine Frau im Publikum und nimmt die Antwort mit ihrem Handy auf.
Wenig später erteilt Scholz einer Berlinerin eine höfliche Abfuhr, die auf der Gegenseite steht. Sie versichert, keine AfD-Wählerin zu sein und fragt dann danach, welche Chancen auf Frieden vor dem Überfall der Ukraine vertan wurden? Scholz erzählt von seinen Treffen mit Wladimir Putin und dessen historischen Monologen. „Er findet zutiefst, dass Belarus und die Ukraine keine eigenen Staaten sein sollen.“ Doch wenn im Geschichtsbuch geblättert werde, um zu schauen, welcher Landstrich einmal zu einem Land gehört habe, „dann kommen wir die nächsten 200 Jahre aus den Kriegen nicht mehr raus“.
Das Lieblingsfach des Kanzlers in der Schule war übrigens Geschichte. Zu seinem eigenen Platz darin wird er auch gefragt. Ob er so lange regieren wollen wie Angela Merkel, die sich 16 Jahre an der Macht halten konnte? Scholz verweist auf die Mathematik und sein Alter und sagt dann, dass er gerne eine zweite Amtszeit machen wolle. „Das fände ich schön.“