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Bürokratie: Deutschland – ein Staat auf Papier gebaut

Bürokratie

Deutschland – ein Staat auf Papier gebaut

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    Der deutsche Staat kann nicht ohne Akten aus Papier.
    Der deutsche Staat kann nicht ohne Akten aus Papier. Foto: Lennart Preiss, dpa (Symbolbild)

    Wenn ukrainische Flüchtlinge in Deutschland Schutz bekommen, sind sie dankbar und verwundert zugleich. Dankbar für die Hilfe, aber irritiert über die Verwaltung Deutschlands. Die Ukrainer haben ihren Staat auf ihrem Mobiltelefon in der staatlichen App, während man hierzulande auf den Ämtern hocken und brav Papiere ausfüllen muss.

    Eigentlich sollte es anders sein. Bund und Länder hatten sich im sogenannten Online-Zugangsgesetz vorgenommen, dass spätestens Ende vergangenen Jahres die Behörden wichtige Leistungen digital anbieten sollten. Einen Reisepass beantragen zum Beispiel, ohne dass man dafür zwingend mit Passfotos auf dem Amt erscheinen muss. Oder Bauanträge stellen. Oder Sozialleistungen wie Hartz-IV, einen Wohnberechtigungsschein und Grundsicherung im Alter auf einer zentralen Plattform zugänglich machen. 

    Digitale Behörden: "Deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben"

    Fünf Jahre hatte sich der deutsche Staat dafür Zeit genommen. Passiert ist in dieser Zeit nichts. Immerhin können jetzt Autos elektronisch umgemeldet werden, aber das tun nur 0,3 Prozent, wie eine Erhebung der Regierungsberater ergeben hat, die das gescheiterte Experiment begleiten. Ihr Fazit ist ernüchternd: „Das Online-Zugangsgesetz ist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben“, sagt Lutz Göbel, Chef des Normenkontrollrates. Der unabhängige Rat hat die Aufgabe, darauf zu achten, dass die Bürokratie in Deutschland nicht überhandnimmt. 

    Göbel sagt dann noch ein paar Dinge, die in den Ohren der Adressaten ziemlich unfreundlich klingen. Die Realisierung sei alles andere als zufriedenstellend, eine Trendumkehr nicht ersichtlich und Realisierung und Verbesserungsvorschläge „werden nicht angenommen“. Kurzum: Die Verwaltung setzt weiter auf Papier und die Präsenz der Bürger. Göbel ist Unternehmer und von keiner Partei abhängig, er kann sich offene Worte leisten.

    In der Bundesregierung ist Innenministerin Nancy Faeser für die Modernisierung der Verwaltung zuständig. Göbel zufolge hatte die SPD-Politikerin keine Zeit für ihn. Ein Staatssekretär habe sich im Herbst die Warnungen angehört, dass das Projekt vor die Wand fährt. Die Bundesregierung hat sich dann dafür entschieden, nichts zu tun und einfach eine neue Frist für die digitale Verwaltung gesetzt. Es ist eigentlich keine Frist, denn sie hat kein konkretes Enddatum, sondern lautet auf unendlich. 

    Angst vor dem Verwaltungsgericht führt zu Bürokratie, die weiter auf Papier setzt

    Die Verwaltungswissenschaftlerin Sabine Kuhlmann von der Uni Potsdam gehört auch dem Normenkontrollrat an und hat sich damit beschäftigt, was die Behörden derart veränderungsträge macht. „Die Papiergebundenheit ist eine deutsche Eigenheit“, sagt Kuhlmann. Als Grund macht sie eine Kultur aus, in der Rechtssicherheit der höchste Wert ist und die Angst besteht, als Amt vor den Verwaltungsgerichten Niederlagen zu kassieren. 

    Organisatorisch steht der Modernisierung auch der Föderalismus im Weg. Der Bund, 16 Länder und die Kommunen haben unterschiedliche Zuständigkeiten und schieben sich die Verantwortung hin und her. Normenkontrollratschef Göbel schlägt vor, die schwierige Aufgabe anzupacken, wie Unternehmen es tun. Klar festlegen, wer für was zuständig ist, Meilensteine definieren und mit konkreten Daten versehen. „Liebe Freunde, ohne Frist … geht es nicht, geht es wirklich nicht“, sagt Göbel. 

    Der Normenkontrollrat sieht die Innenministerin in der Verantwortung, dass der Bund Standards für Länder und Kommunen festlegt. Leisten könnte das die Föderale IT-Kooperation (Fitko), eine gemeinsame Anstalt von Bund und Ländern. Doch mit rund 60 Leuten ist sie aus Sicht der Regierungsberater zu schwachbrüstig, um wirklich etwas verändern zu können. Während sich Bund und Länder selbst viel Zeit gegeben haben, um ihre Behörden in das 21. Jahrhundert zu holen, hat ihnen die EU eine sehr viel kürzere Frist gesetzt. Bis Ende 2023 sollen EU-Bürger aus ihren Heimatländern heraus die Möglichkeit haben, auf Leistungen der deutschen Verwaltung zuzugreifen. Zum Beispiel, wenn ein Schwede nach Frankfurt ziehen will und sich dafür bereits aus Stockholm ummelden können soll. Dass das tatsächlich möglich sein wird, glaubt im Kontrollrat keiner. 

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