Nachts geht die deutsche Entwicklungshelferin Katharina von Schroeder mit ihrem achtjährigen Sohn in den Keller der Schule. Aus Angst vor Querschlägern, die von den anhaltenden Kämpfen in Khartum zeugen. Aber auch, weil man dort die Schüsse und Granaten kaum hört. So können Mutter und Sohn die permanente Lebensgefahr für einige Stunden verdrängen, ja sogar etwas Schlaf finden.
Seit fast einer Woche steckt die Mitarbeiterin der Hilfsorganisation „Save the Children“ fest. Und hofft auf die Evakuierung nach Deutschland. Sie ist eine von rund 150 Deutschen, die in Sudans umkämpfter Hauptstadt Khartum auf Rettung warten. Und die eigentlich schon am Mittwoch ausgeflogen werden sollten, doch die Bundeswehr brach eine erste Rettungsmission ab.
Der strategisch wichtige Flughafen steht im Zentrum der Kämpfe
Der strategisch wichtige Flughafen gehört zu den am härtesten umkämpften Schauplätzen dieses Konflikts. Wohl selbst mit einem „robusten Mandat“, das die Absicherung unter Waffeneinsatz etwa durch Fallschirmjäger-Einheiten zulässt, wäre der Einsatz zu gefährlich gewesen. Auch Einheiten anderer Staaten gelang es bisher nicht, ihre Staatsbürger auszufliegen. Die niederländische Armee hält zwei Flugzeuge in Jordanien bereit, um im Fall einer Landemöglichkeit im Sudan schnell reagieren zu können.
Im deutschen Krisenstab wird mit höchster Priorität nach einer Lösung gesucht – weiterhin auch unter Erwägung des robusten Mandats. Das müsste eigentlich vom Bundestag erteilt werden, was aber in derartigen Notfällen nachträglich möglich ist. In Afghanistan erfolgte es vor zwei Jahren erst gut eine Woche nach Beginn des bewaffneten Evakuierungseinsatzes mit großer Mehrheit. Am Freitag teilte das Verteidigungsministerium mit, einen neuen Anlauf vorzubereiten. Die Zeit drängt. Besonders für die Menschen, darunter auch Deutsche, die im hart umkämpften Zentrum und Norden Khartums bereits eine Flucht über den Landweg erwägen.
Neben von Schroeder und ihrem Sohn harren auf dem Gelände der Schule rund 20 andere Menschen aus. Immerhin gibt es dort noch einige Vorräte, anders als in vielen anderen Gegenden der Stadt auch Strom und Wasser. In gewisser Hinsicht war es ein Glücksfall, dass von Schroeder auf dem Schulgelände das Sporttraining ihres Sohnes verfolgte, als die Kämpfe am Wochenende begannen. Rund um ihre Wohnung ist die Gefahr derzeit deutlich höher.
Von Schroeder wirkt gefasst am Telefon. Seit sieben Jahren lebt sie im Sudan, versucht sich ihre Sorge vor ihrem Sohn nicht anmerken zu lassen. Im Hintergrund hört man, wie er mit anderen Kindern Basketball spielt, die Turnhalle gilt als sicher „Wir lenken die Kinder viel ab, versuchen sie zu beruhigen“, sagt von Schroeder, „aber er fragt viel und will nicht, dass ich mich einem Fenster nähere.“
Wäre sie allein, würde sie vielleicht versuchen zu bleiben – wohl wissend, dass die Arbeit von Hilfsorganisationen wie „Save the Children“ wegen der katastrophalen humanitären Auswirkungen der Kämpfe künftig so dringend nötig sein wird wie nie zuvor. Doch die Ausreise ist wegen des Sohnes die einzige Option.
Zumal ein Ende des Konflikts nicht absehbar ist. Ein eigentlich am Dienstag vereinbarter Waffenstillstand scheiterte umgehend. Sudans Armee setzt weiter die Luftwaffe gegen die Rebellenmiliz „Rapid Support Forces“ (RSF) ein, die sie bis vor einer Woche noch als Teil der Sicherheitskräfte bezeichnete. Die bestens ausgerüstete RSF reagiert mit Flugabwehrgeschossen. Beide Seiten nehmen zivile Opfer in Kauf – bislang meldeten die Krankenhäuser über 300 Tote.
Die RSF-Rebellen plündern ganze Nachbarschaften, verüben Raubüberfälle. Es ist noch offen, wie die deutschen Staatsbürger zum Flughafen gelangen können, wenn eine Landung der drei A400M-Militärmaschinen der Bundeswehr gelingen sollte. Noch schwieriger wäre es, die weniger umkämpften Flughäfen außerhalb Khartums zu erreichen. Auch tausende Sudanesen flüchten aus den umkämpften Städten.
„Dieser Konflikt wird erst enden, wenn eine der beiden Seiten die andere zerstört hat“
Als am Mittwoch ein Geschoss ihre Mutter knapp verfehlte und im vor dem Haus geparkten Auto des Vaters einschlug, brach die Architektin Maryam mit ihrer Familie auf. Sie sind jetzt nördlich von Khartum bei Verwandten untergebracht. Ihren richtigen Namen will sie nicht in der Zeitung lesen – aus Angst vor Repressalien durch die Kampfpartei, die sich in diesem Konflikt am Ende durchsetzen wird. Sowohl von der Armee als auch von den RSF erwartet sie künftig noch brutalere Reaktionen auf öffentlich geäußerte Kritik. „Die Lebensmittelpreise haben sich innerhalb einer Woche verdoppelt, der Transport in sicherere Gegenden ist um ein Vielfaches teurer geworden“, sagt sie, „das ist eine Katastrophe, die sehr lange dauern wird“.
Maryam erzählt, wie Diktator Omar al-Bashir die RSF-Miliz außerhalb der Armeestrukturen stärkte, um Regimegegner in der Darfur-Region zu bekämpfen. Nach al-Bashirs Sturz 2019 sei sie nur formell Teil der Sicherheitskräfte geworden. Die Architektin glaubt, dass der RSF-Anführer Mohamed Hamdan Daglo, genannt „Hemeti“, schon damals die Strukturen für einen Machtkampf geschaffen hat. Maryam hat den Verdacht, dass Daglo Unterstützung aus Libyen bekommt. Auch Gerüchte, dass es Unterstützung aus Äthiopien gebe, hält sie für glaubwürdig. „Dieser Konflikt wird erst enden, wenn eine der beiden Seiten die andere zerstört hat“, sagt sie, „und Daglo hat die Mittel, um lange durchzuhalten.“ Während die große Mehrheit der Sudanesen sowohl Armee als auch RSF ablehne, hält sie es auch für möglich, dass Daglo in der Darfur-Region Unterstützung marginalisierter Volksgruppen bekommen könnte.
Vorerst bleibe ihr nichts anderes übrig, als von Tag zu Tag zu denken, sagt Maryam. Schließlich wisse sie nicht, ob sie morgen noch lebe. Sie müsse das Gespräch jetzt beenden, um ihren Vater anzurufen, erklärt sie. Er habe sich als einziges Familienmitglied geweigert, das Haus im umkämpften Khartum zu verlassen. Er sei bereit, darin zu sterben, hat er der flehenden Tochter nur entgegnet.