Dass er einmal so eine Art Kronzeuge für eine große Sozialreform werden würde, hätte sich Ronny Dominitzki nach eigener Auskunft nie träumen lassen. Der 44-Jährige aus Lichtenberg, dem von tristen Plattenbauten aus DDR-Zeiten dominierten Bezirk im Osten Berlins, hatte die Hoffnung aufgegeben. Dass er in seinem Leben überhaupt noch einmal einen festen Arbeitsplatz finden würde. "Wenn ick ehrlich bin, hätt ick damit nicht mehr jerechnet", berlinert er. Denn wie lange er zuvor arbeitslos und auf die Unterstützung angewiesen war, die im Volksmund Hartz IV genannt wird, kann er aus dem Stegreif gar nicht so richtig sagen. Sehr lange jedenfalls und immer wieder. Doch jetzt steht er da im örtlichen Jobcenter und erzählt seine Geschichte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.
Das Kabinett hat sich auf das Bürgergeld verständigt
Der SPD-Politiker ist mit seiner großen schwarzen Hybrid-Limousine hergeeilt, gleich nach der Sitzung des Ampel-Kabinetts am Mittwochvormittag, auf der das neue Bürgergeld beschlossen wurde. Es soll ab dem kommenden Jahr das alte, 2005 unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeführte Hartz-IV-System ersetzen und besteht einerseits aus höheren Regelsätzen, andererseits aber aus intensiverer Förderung der Arbeitssuchenden. Die sollen auf ihrem Weg ins Berufsleben weniger mit Druck und Androhung von Strafen als vielmehr mit Anreizen und Beratung begleitet werden. In Wirtschaft und Politik glauben viele, dass das nicht funktionieren wird, dass die Reform nicht nur die Motivation zur Arbeit bei Langzeitarbeitslosen sinken lassen wird, sondern sogar Geringverdiener dazu bewegen könnte, morgens erst gar nicht mehr aufzustehen. Denn, so die Kritiker, die Einkommensunterschiede zwischen Bürgergeld-Beziehern und Menschen mit schlechter bezahlten Jobs würden nun noch mehr verschwimmen. Zumal auch im künftigen Bürgergeld-System das Jobcenter für Miete, Heizkosten und Krankenversicherung aufkommt oder Zuschüsse zu Bekleidung oder Elektrogeräte zahlt.
Kritik am Bürgergeld kommt aus der Wirtschaft und der Union
Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, sieht das Bürgergeld etwa als Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen. Heil widerspricht energisch. Denn das Bürgergeld umfasse weit mehr als höhere Leistungen. Es gehe darum, den Menschen beim Verlust des Arbeitsplatzes erst einmal Sicherheit zu geben. So müssen sie sich etwa künftig zwei Jahre lang keine Sorgen machen, dass sie aus ihrer Wohnung ausziehen müssen, falls diese als nicht angemessen, sprich zu teuer, gelte. Abgeschafft werde der bisher geltende "Vermittlungsvorrang". Nach diesem Prinzip wurden die Menschen laut Heil oft "in irgendwelche Hilfsjobs" vermittelt. Doch meist habe das Jobcenter sie schon nach wenigen Monaten wiedergesehen. "Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen haben keinen Berufsabschluss", sagt er. Wer eine Qualifikation nachholt, soll künftig zusätzlich zum Bürgergeld – 502 Euro für Alleinstehende – 150 Euro Prämie obendrauf bekommen.
So gelang Ronny Dominitzki der Weg aus der Arbeitslosigkeit
Das Jobcenter von Lichtenberg, zuständig für 27.000 Leistungsempfänger im Bezirk, ist eine Art Wiege des neuen Bürgergelds; hier werden Ansätze der intensiveren persönlichen Förderung, wie sie sich im neuen Gesetz widerspiegeln, seit 2014 ausprobiert. Ronny Dominitzki, der eine kaufmännische Lehre abgebrochen hatte und unter den Folgen eines Herzinfarkts leidet, sagt, er habe sich jahrelang gefühlt, als wäre er beim Jobcenter durch alle Raster gefallen.
Doch im Rahmen des Lichtenberger Pilotprojekts hat er mit seiner zuständigen Arbeitsvermittlerin Anastasja Wittenberg erst einmal lange darüber gesprochen, welche Tätigkeiten überhaupt für ihn infrage kommen. Dann wurden mögliche Arbeitsstellen identifiziert. Schon eine der ersten, unter Anleitung verfassten Bewerbungen war erfolgreich, führte gleich zum unbefristeten Arbeitsvertrag. Seit einigen Wochen macht er nun in einem Altenheim in Köpenick die Zimmer und Bäder der Bewohner sauber. Der Arbeitsminister ist zufrieden. "Sie werden echt gebraucht, sonst leben die alten Menschen im Schmutz", sagt Heil. 13 Euro brutto gibt es dafür in der Stunde. So richtig viel mehr als bisher mit Hartz IV hat er damit jetzt auch nicht in der Tasche, sagt Dominitzki: "Aber jetzt ist es mein Geld, und ich hab' es mir erarbeitet. Dieses Gefühl ist unbezahlbar."