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Bündnis 90/die Grünen: Zwei neue Chefs unter dem Kommando von Habeck und Baerbock

Bündnis 90/die Grünen

Zwei neue Chefs unter dem Kommando von Habeck und Baerbock

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    Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour ist beim Online-Parteitag der Grünen neben Ricarda Lang zum neuen Vorsitzenden gewählt worden.
    Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour ist beim Online-Parteitag der Grünen neben Ricarda Lang zum neuen Vorsitzenden gewählt worden. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Die neuen Chefs der Grünen sind Außenseiter. Sie entstammen nicht der wohltemperierten Wirklichkeit der großen Altbauwohnungen mit Stuck und Fischgrätenparkett, aus denen die Grünen Personal und Wähler rekrutieren. Ricarda Lang ist 28 Jahre alt, kommt aus der Nähe von Stuttgart und weiß, wie es sich anfühlt, wenn nicht genügend Geld da ist. Ihre Mutter erzog sie allein und verlor ihre Stelle. Keine Armut, aber ein Leben ohne Polster. Ricarda Lang muss täglich kämpfen, weil sie dick ist und deshalb eine Zielscheibe für Spott und Beschimpfungen. „Ich sehe aus, wie ich aussehe“, sagt sie in ihrer Bewerbungsrede. Sie hat knallroten Lippenstift aufgelegt, trägt ein knallrotes Kleid – und steht im weißgetünchten Zimmer ihres Mitbewohners. Kurz vor dem Parteitag hat sie Corona erwischt.

    Ricarda Lang nimmt die Wahl als Grünen-Chefin an.
    Ricarda Lang nimmt die Wahl als Grünen-Chefin an. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Omid Nouripour kam als Flüchtling nach Deutschland. In Teheran zählte seine Familie zur gehobenen Mittelschicht, floh Ende der 80er Jahre aus dem Regime der Mullahs. In Frankfurt am Main quetschte sich die Familie in 60 Quadratmeter, die Eltern arbeiteten weit unter ihrer Qualifikation als Regalauffüllerin im Kaufhaus und als Fahrer. Nouripour, 46, ist bislang in der Öffentlichkeit der Mann, der den Deutschen erklärt, warum im Nahen Osten eines der vielen Pulverfässer hochgeht. Derzeit streitet er für einen härteren Kurs gegen Russland. „Wir sind die Unbeugsamen“, ruft Nouripour in das Berliner Velodrom. Anders als Lang ist er gesund und auf dem Parteitag präsent. Sein Ausruf kann als Ansage an die politische Konkurrenz interpretiert werden - oder auch als Ansage an die beiden Vorgänger Annalena Baerbock und Robert Habeck.

    Die Grünen sind unter Habeck und Baerbock mehr geworden – und umgänglicher

    Denn die Geschichte der Partei ist voll von legendären Schlachten um die Vorherrschaft. Partei-Ikone Joschka Fischer bekam einst einen Farbbeutel an den Kopf geschleudert, weil er die Bundeswehr gegen Serbien einsetzte. Das ist über 20 Jahre her. Früher waren die Grünen eine Partei, deren Flügel miteinander umsprangen, als wären sie rivalisierende Mächte im Orient. Doch diese Zeiten sind vorbei. Habeck und Baerbock haben die Mitgliederzahl binnen vier Jahren auf 125.000 verdoppelt und trotz der vielen Neu-Mitglieder den Grünen ihre Widerspenstigkeit ausgetrieben. Sie haben sie regierungsfähig gemacht.

    Robert und Annalena, bei den Grünen wird konsequent geduzt, sind jetzt Minister. Das Parteistatut sieht vor, dass sie nicht gleichzeitig Vorsitzende sein können. Dass ist einerseits die Chance von Lang und Nouripour, zum Zuge zu kommen, andererseits auch ihre Bürde. Denn Habeck und Baerbock werden weiter ganz wesentlich das Bild der Grünen bestimmen. Das Weltgeschehen und die Regierung geben die Schlagzeilen vor. Und beiden Chefinnen der (gewachsenen) Bundestagsfraktion Britta Haßelmann und Katharina Dröge haben auch Geltungsdrang.

    Ricarda Lang startet mit mäßigem Ergebnis in ihr neues Amt als Vorsitzende

    Überspitzt gesagt sind die neuen Parteivorsitzenden machtlos wie nie. Und dazu startet Lang auch noch mit einem Malus. Gegen sie wird – wie gegen die anderen Mitglieder des alten Parteivorstands – wegen Untreue ermittelt, weil sie 1500 Euro Corona-Bonus bezogen hat. Laut Einschätzung von Rechnungsprüfern hätten die Vorstandsmitglieder – darunter auch Habeck und Baerbock – höchstens 300 Euro Prämie erhalten dürfen. In ihrer Rede ging Lang auf die Misslichkeit nicht ein. Für jemanden, der sich als Gesicht des linken Parteiflügels um die Leute mit wenig Geld kümmern will, sieht es nie gut aus, wenn er größere Summen annimmt, als ihm zustehen. Am Ende bekommt Lang 76 Prozent der Stimmen, was einer ziemlichen Klatsche gleichkommt.

    Der Realo Nouripour schneidet besser ab, erreicht knapp 83 Prozent. Seine Aufgabe ist nicht so eindeutig definiert wie die seiner Co-Vorsitzenden, die das Feld des Sozialen beackern wird. Er kann neben Außenministerin Baerbock als Nahostexperte ein Kopf in der Außenpolitik sein, darf ihr aber nicht die Schau stehlen oder gar querdenken. Anders als Lang liebt Nouripour die Show. Der Schalk sitzt ihm im Nacken, was im Kampf um Aufmerksamkeit ein Vorteil ist. „Als Student habe ich gekellnert, heute kann ich besser kochen als Lars Klingbeil und Friedrich Merz“, ulkt er am Schluss seiner Bewerbungsrede.

    Neue Aufgabe für Nouripour und Lang: Kompromisse unterbreiten

    Die Hauptaufgabe der neuen Chefs unter Baerbock und Habeck wird sein, die Kompromisse des Regierens einer hochmoralischen Parteibasis zu erklären und somit zu erwartenden Unmut zu besänftigen. Einem Teil der Mitglieder wird der Kampf gegen die Erhitzung der Erde nie konsequent genug sein. Für einen Teil wird der Reichtum Weniger ein Skandal bleiben und die Gesellschaft ausgrenzend und rassistisch sein. „Regieren ist doch keine Strafe, es ist eine riesengroße Chance“, aber hält Lang schon mal dagegen.

    Die zweite Aufgabe von Lang und Nouripour ist es, den Bundestagswahlkampf aufzuarbeiten. Das Wahlergebnis von 15 Prozent ist zwar das beste seit Gründung der Partei gewesen, es blieb aber deutlich hinter den Erwartungen zurück. Kanzlerin wollte Baerbock werden und scheiterte am aufgepumpten Lebenslauf, einem zusammengeschusterten Buch und der Corona-Prämie. Die Fehler-Analyse haben die Grünen ihr bislang erspart. „Im Wahlkampf haben wir uns kleingemacht“, spricht der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann per Videoschalte diese bittere Wahrheit an. Die Partei habe sich zu einer Ergänzungspartei verzwergt, sagt er und fordert, die Grünen müssten wirtschaftsfreundlich werden. Dem linken Flügel und Ricarda Lang kann das nicht gefallen.

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