Der Blick über Budapest war spektakulär an diesem Freitagmorgen. Vielleicht wollte Olaf Scholz schlicht eine Minipause vom Berliner Ampeldrama einlegen und die Aussicht über den Stadtteil Buda genießen: die in der Sonne glitzernde Donau, die Elisabethbrücke, die St.-Anna-Kirche. Wahrscheinlicher ist, dass der Bundeskanzler nach dem Pressestatement einfach die perfekte Kulisse für ein Foto erkannte. Die Bilder am Rande des EU-Gipfels in der ungarischen Hauptstadt sollten wohl sein Image polieren.
Nachdem Scholz am Donnerstag aus bekannten Gründen zunächst passen musste, stieß er am Abend zu seinen 26 Amtskollegen. Er habe „die kollegiale Solidarität gespürt“, sagte der SPD-Politiker im Anschluss, auch wenn er ganz offensichtlich anderes im Kopf hatte als Europas Probleme. Die kreisten vor allem um den Wahlausgang in den USA.
„Wir müssen gemeinsam als Europäische Union, als Europäer für unsere Sicherheit das Notwendige tun“, sagte Scholz und forderte von allen ihren Beitrag. Allzu konkret wurde er nicht. Stattdessen machte er „together“, „zusammen“, als Schlagwort für die transatlantischen Beziehungen aus. Diese wolle man weiterentwickeln. Zunächst aber suchten die EU-Staats- und Regierungschefs nach Wegen, auf Trump 2.0 zu reagieren.
Der EU fehlen die Hebel gegen Trumps Zoll-Pläne
Man müsse „vorbereitet“ sein, hieß es von allen Seiten. Es ist das aktuelle Zauberwort der Gemeinschaft, auch wenn etliche Diplomaten gebetsmühlenhaft betonen, dass Europa eben alles andere als vorbereitet ist – weder bei Handelsfragen noch im Bereich Verteidigung und Sicherheit. Hinzu kommt, dass der EU „die Hebel fehlen“, wie es ein Diplomat nannte, um der „America first“-Politik von Trump etwas entgegenzusetzen.
Brüssel beklagt seit Langem, dass Peking und Washington ihren Firmen mit hohen Subventionen Vorteile verschaffen, sodass Europa das Nachsehen hat. Trump tönte zudem, künftig auf Einfuhren aus dem Ausland neue Zölle in Höhe von zehn bis 20 Prozent zu erheben. Sonderabgaben würden die deutsche Automobilindustrie und ihre Zulieferer besonders hart treffen. Neben China stellen die Vereinigten Staaten den wichtigsten Absatzmarkt für Hersteller wie Mercedes-Benz, Volkswagen oder BMW dar.
„Die Welt besteht aus Pflanzenfressern und Fleischfressern. Wenn wir uns entscheiden, Pflanzenfresser zu bleiben, dann werden die Fleischfresser gewinnen und wir werden ein Markt für sie sein“, beschrieb Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron die neue Realität und kam zu dem Schluss: „Ich denke, wir sollten uns zumindest dafür entscheiden, Allesfresser zu werden.“ Nur wie, wenn im Weißen Haus bald ein Mann sitzt, dessen Lieblingswort Zölle lautet und der die Europäer in Sicherheits- und Verteidigungsfragen als Schmarotzer betrachtet?
Orbán sieht sich als Gewinner des Wechsels in Washington
Der Wechsel in Washington trifft die EU zu einer ungünstigen Zeit. Deutschlands Position ist nicht erst seit dem Ampelbruch geschwächt. In Frankreich regiert ein Präsident ohne Autorität. Der traditionelle Motor der EU fällt damit aus, weil die beiden „lahmen Enten“ aus Berlin und Paris „ohne Budget und ohne Mehrheit“, wie es ein Beamter nannte, mit innenpolitischen Dramen beschäftigt sind. Das verhilft nicht nur den Orbáns dieser Welt zu mehr Einfluss, sondern dürfte insbesondere Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni Möglichkeiten verschaffen, den politischen Ton in der Gemeinschaft anzugeben. Neben Orbán soll die Postfaschistin den US-Republikanern am nächsten stehen.
Orbán als Gastgeber des Doppelgipfels hätte den Zeitpunkt der Zusammenkunft nicht besser planen können. Sein Land hat seine Ratspräsidentschaft unter das Motto „Make Europe Great Again“ gestellt, in Anlehnung an das US-Vorbild. Trump und Orbán lehnen die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine ab, der Ungar inszeniert offen seine Russlandfreundlichkeit.
Viele hatten befürchtet, dass der bekennende Trump-Fan die Veranstaltung kapern würde, um sich als Vermittler nach Washington aufzudrängen, die große Feierstunde mit ploppenden Champagnerkorken blieb aber aus. Zwischen den Zeilen machte Orbán trotzdem klar, dass der Triumph des Republikaners auch Orbán auf die Gewinnerseite stellt.
Einig waren sich die Staats- und Regierungschefs darin, dass die EU unabhängig von anderen vorankommen müsse. Doch für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit braucht es mehr Geld. Und da fangen die Streitigkeiten schon wieder an. Für notwendige Investitionen müssten sowohl öffentliche als auch private Mittel mobilisiert werden, hieß es vage in der Abschlusserklärung. Auch wenn Deutschland eine gemeinsame Schuldenaufnahme ablehnt, bleibt diese als Option auf dem Tisch.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwähnen, daß die USA künftig von einem Feind von Deutschland und der EU regiert wird. Dier Rhetorik mancher Artikel, nicht nur in der AZ, und einiger Kommentatoren lässt kaum einen andern Schluß zu. Anscheinend reichen die aktuellen Kriege manchen noch nicht.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden