Als am Montag wie üblich die Agenda von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für diese Woche vorgestellt wurde, fehlte zur Verwunderung vieler Beobachter ein Termin. Wollte die Brüsseler Behördenchefin nicht Ende dieser Woche nach Uruguay reisen, um jenen Deal abzusegnen, über den die Gemeinschaft seit 25 Jahren verhandelt?
Das Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund aus Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay, kurz Mercosur, ist laut Insidern „faktisch fertig“. Beim Mercosurgipfel in Montevideo am 6. Dezember sollte der Deal besiegelt werden. Die Koffer von Ursula von der Leyen seien schon gepackt, war vor wenigen Tagen zu vernehmen. Am Montag hieß es vonseiten der Kommission nur noch: „Der Austausch auf technischer Ebene geht weiter.“ Was das bedeuten soll, blieb unklar. Es sei „alles möglich“, hieß es hinter den Kulissen, ergo: Von der Leyen könnte spontan doch fliegen oder aber der gesamte Deal platzt, auch weil die Südamerikaner die Reißleine ziehen.
Die Mercosur-Staaten und das Freihandelsabkommen: Frankreich hat Polen auf seine Seite gezogen
Im Zentrum des Wirtschaftskrimis steht Frankreich, das lautstark gegen den Pakt rebelliert und neben den Niederlanden und Österreich mittlerweile auch Polen auf seine Seite gezogen hat. In jenen Ländern gehen Bauern seit Wochen auf die Straße, weil die Vereinbarung ihrer Ansicht nach zu einem unlauteren Wettbewerb für die europäische Landwirtschaft und die Lebensmittelhersteller führen würde. Der Deal ermögliche umfangreiche Importe von Produkten, die nicht denselben Vorschriften unterliegen wie jene in der EU.
Frankreichs Premierminister Michel Barnier hatte vor wenigen Wochen verkündet, dass man „dieses Abkommen in seiner jetzigen Form nicht akzeptieren kann und wird“. Doch angesichts von strauchelnden Wirtschaften wächst der Druck auf Von der Leyen. Würde sie es schaffen, die Abweichler zu überreden, notfalls mithilfe von Ausgleichszahlungen für die demonstrierenden Bauern?
Ist ein Deal gegen Frankreich besser als kein Deal?
Eigentlich sollte Bundeskanzler Olaf Scholz mit Macron und Polens Ministerpräsident Donald Tusk „am Telefon sein“, sagte eine Stimme aus der Kommission. Der Deal sei immerhin „hauptsächlich im deutschen Interesse“. Doch in Berlin ist man abgelenkt vom Wahlkampf. In Deutschland und Spanien betonen die Befürworter gebetsmühlenhaft, dass der Vertrag Unternehmen in Europa jährlich mehr als vier Milliarden Euro an Zöllen ersparen würde. Die größte Freihandelszone der Welt mit mehr als 720 Millionen Einwohnern soll entstehen.
Hinzu kommt, dass unterm Strich auch viele französische Firmen und Landwirte profitieren würden, etwa wenn es um den Export von Käse, Milch und Wein geht. Doch die Rinderzüchter sind lauter. Die Frage bleibt, ob sich von der Leyen über das Veto von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hinwegsetzen wird. Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, war bis zuletzt unentschlossen, ob es „ratsam“ sei, eine so wichtige Vereinbarung gegen den Willen des zweitgrößten Landes durchzusetzen.
Würde man den Abschluss jetzt nicht schaffen, sagte Lange, hätte das weitreichende Folgen: „Wir öffnen die Türen für China.“ Länder wie Argentinien, Brasilien oder Uruguay wenden sich zunehmend Peking zu, dessen Einfluss in Südamerika immer stärker wird. Die EU versucht derweil, den Anschluss im globalen Wettbewerb nicht zu verlieren, auch und gerade weil im Januar Donald Trump als US-Präsident zurück ins Weiße Haus kehrt und mit ihm hohe Zölle auf Importe drohen.
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