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Brexit: "Thank you and goodbye": May startet den Brexit

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"Thank you and goodbye": May startet den Brexit

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    Theresa May unterzeichnet das Trennungsgesuch nach Artikel 50 des EU-Vertrags.
    Theresa May unterzeichnet das Trennungsgesuch nach Artikel 50 des EU-Vertrags. Foto: Christopher Furlong (dpa)

    Ein paar Minuten lang spricht Donald Tusk von dem Brief aus London. Der EU-Ratspräsident entdeckt sogar etwas Positives in der wachsenden Geschlossenheit, die es nun zwischen den 27 EU-Mitgliedern gebe. Doch dann steht der Pole plötzlich da, lässt irgendwie resigniert die Arme fallen und ergänzt: „Was soll ich noch sagen? Wir vermissen euch jetzt schon. Thank you and goodbye.“

    Knapp 30 Minuten vorher hat Tim Barrow, Londons EU-Botschafter, den sechsseitigen Brief von Premierministerin Theresa May offiziell der EU übergeben. Alle wissen: Nun kann der Austrittsprozess nicht mehr gestoppt werden. 44 Jahre gehörte das Vereinigte Königreich zur EU. In genau zwei Jahren, am 29. März 2019, wird die Mitgliedschaft Londons enden. „Das ist kein glücklicher Tag – weder in Brüssel noch anderswo“, sagte Tusk. Und setzt dann betont hinzu: „Wir bleiben zusammen.“ Dennoch hätten der Rat (also der Kreis der Staats- und Regierungschefs) und die Kommission „ein striktes Mandat, das Interesse der 27 Mitgliedstaaten zu schützen“. Tusk weiter: „Es gibt nichts zu gewinnen – für niemanden.“

    EU und Großbritannien stehen vor harten Verhandlungen

    Der Schock nach dem Brexit-Referendum, sogar die aufkommende Wut und Enttäuschung sind der Nüchternheit gewichen. Von Verbänden und Lobbyisten-Vertretungen, von den Parteipolitikern aus dem Europäischen Parlament hagelt es nahezu gleichlautende Appelle, „Großbritannien nicht zu bestrafen“. Der europäische Unternehmerverband Business Europe äußert fast schon höflich die Bitte, man möge die „Schaffung neuer Hindernisse für Handel und Investitionen sowie unfaire Wettbewerbsbedingungen“ vermeiden.

    Niemand in Brüssel hatte realistischerweise erwartet, dass May die errechneten finanziellen Verpflichtungen von geschätzten 60 Milliarden Euro gleich bezahlt. Aber die britische Zusage, eine gute Regelung für die EU-Bürger, die auf der Insel leben, zu finden, und die Bereitschaft, für beide faire Lösungen für alle Streitpunkte auszuarbeiten, gab dem Ausstiegsantrag dann noch eine fast schon versöhnliche Note. Aber der Eindruck täuscht: Die EU der 27 hat die Reihen geschlossen und gibt sich kämpferisch.

    Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber mahnte bereits vor allzu großem Entgegenkommen: „Das Vereinigte Königreich mag zwar ein Mitgliedstaat mit Sonderrechten gewesen sein, es darf jedoch keinesfalls ein Nicht-Mitgliedstaat mit Sonderrechten werden.“ Manfred Weber (CSU), Chef der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion in der EU-Volkskammer, zog gestern bereits verbal einen radikalen Schlussstrich: „Ab jetzt zählen für uns nur noch die Interessen der verbleibenden 440 Millionen Europäer.“

    EU der 27 gibt sich Leitlinien

    Am kommenden Freitag wollen Ratspräsident Tusk und der derzeitige EU-Vorsitzende, Maltas Premierminister Joseph Muscat, einen ersten Entwurf der Leitlinien vorstellen, die die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Sondergipfeltreffen am 29. April in Brüssel beschließen sollen. Im Kern dürfte es dabei um ein Existenzrecht für die etwa drei Millionen Bürger aus anderen EU-Staaten gehen, die auf der Insel leben, verheiratet sind, eine Familie haben, arbeiten. Außerdem fordert die Union eine Klärung, wie Großbritannien seinen finanziellen Verpflichtungen für laufende Förderprogramme und Investitionen sowie Beamtenpensionen nachkommen will. Mehr dürfte innerhalb der ersten zwei Verhandlungsjahre ohnehin kaum zu schaffen sein.

    Der Zeitplan für die Trennung erscheint schon jetzt illusorisch: Der Vertrag sieht vor, dass die Briten am 29. März 2019 aus der Union ausscheiden. Tatsächlich werden es kaum mehr als 18 Monate sein, die für Verhandlungen bleiben. Es geht um nicht weniger als 21 000 Gesetze. Wenn man annimmt, dass in 18 Monaten rund 500 Verhandlungstage zur Verfügung stehen, würde das bedeuten, dass man sich an jedem Tag über rund 40 Gesetze einig werden müsste. Dies ist unmöglich. So dürften die Partner gezwungen sein, eine Verlängerung zu beschließen.

    Brexit fordert einen Spagat zwischen Vergangenheit und Zukunft

    Die Trennungsphase birgt weitere Tücken: Die EU muss das Kunststück fertigbringen, laufende Projekte im Kreis der 28 Mitgliedstaaten mit Großbritannien zu behandeln und zu entscheiden, während man andererseits über die langfristige Politik nur noch in der 27er-Runde beraten kann. Tusk machte das unmissverständlich klar: „Heute hat sich nichts geändert. Europäisches Recht gilt vorerst auch im Vereinigten Königreich weiter.“

    Eine behutsame Mahnung über den Kanal hinweg, Premierministerin May solle nicht versuchen, sich in den nächsten zwei Jahren aus der Verantwortung zu stehlen. Noch weiß niemand, wie sich beide Seiten innerhalb der nächsten 24 Monate verändern werden. Der Chef der europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, malte ein dunkles Bild der nahen Zukunft: „Die britische Premierministerin wird beim Brexit das gleiche Schicksal erleiden wie Goethes Zauberlehrling. Der Kräfte, die sie mit der Verfolgung des harten Kurses freisetzt, wird sie nicht Herr werden.“

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