Neuanfang im größten Land Lateinamerikas: Der frühere Schuhputzer, Gewerkschaftsführer und Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva ist nach mehrjähriger Politikpause als neuer Präsident Brasiliens vereidigt worden. "Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren und nicht nur für diejenigen, die mich gewählt haben", sagte er bei seiner Antrittsrede im Kongress. "Niemand ist an einem Land interessiert, das sich ständig im Kriegszustand befindet."
Lula ist ein Polit-Routinier: Zum dritten Mal nach 2003 und 2007 führt er die Regierung an. Der Links-Politiker hatte sich Ende Oktober in einer Stichwahl gegen seinen rechten Vorgänger Jair Bolsonaro durchgesetzt. Der Ex-Militär, dessen Amtsführung das Land tief gespalten und ihm den Beinamen "Donald Trump der Tropen" eingebracht hat, erkannte seine Niederlage nie ausdrücklich an. Seine Anhänger blockierten nach der Wahl wochenlang Landstraßen und riefen das Militär zum Putsch auf.
Lula will die Spaltung der brasilianischen Gesellschaft überwinden
Mit der Amtseinführung in Brasilia am Neujahrstag setzte der 77-jährige Lula erste Signale. In seiner Rede versicherte er, Präsident aller über 200 Millionen Brasilianer sein wollen, also auch jener Hälfte, die trotz der scharfen Kritik an Jair Bolsonaro ihre Stimme dem Rechtspopulisten (49,1 Prozent) gaben. Dass er dabei auch ein Zeichen an die afrobrasilianische und die indigene Bevölkerung sendete, indem er sich von Vertretern der Zivilgesellschaft die Schärpe überreichen ließ, war optisch der vielleicht stärkste Moment des Tages und der größte Kontrast zu seinem rechtspopulistischen Vorgänger Jair Bolsonaro.
Einfach wird eine Versöhnung nicht werden. Es gibt innerhalb der brasilianischen Gesellschaft wegen der vielen Korruptionsskandale um Konzerne wie Petrobras oder Odebrecht große Vorbehalte gegen Lula und seine linke Arbeiterpartei, die eine politische Mitverantwortung für die Skandale tragen, die bis in die Amtszeit Lulas zurückreichen. Der viel knappere Wahlsieg Lulas als erwartet, war deswegen auch ein kleines Misstrauensvotum gegen den Favoriten.
Deutschland zahlt Millionen für den Amazonas-Schutz
Doch nun hat Lula die Chance verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Auf internationaler Bühne wird das deutlich leichter. Hier zählt vor allem sein Versprechen, die Abholzung im Amazonas auf Null zu reduzieren, was geradezu eine diplomatische Euphorie ausgelöst hat. Deutschland erklärte sich prompt bereit 35 Millionen Euro in den Amazonas-Schutzfond einzuzahlen. Gelder, die unter Bolsonaro auf Eis gelegt wurden, weil die Abholzungszahlen wieder stiegen. "Es ist gut zu wissen, dass Brasilien zurück ist auf der internationalen Bühne", sagte Bundespräsident Steinmeier. Er traf Lula bereits am Samstag zu einem Gespräch. "Wir brauchen eine brasilianische politische Führung, die ihre Rolle spielen wird - nicht nur in der wirtschaftlichen Kooperation, sondern auch beim Schutz des Weltklimas." Er habe mit Freude festgestellt, dass Lula gewillt sei, mit Brasilien genau diese Rolle zu erfüllen.
Auf nationaler Bühne erwarten die Menschen, dass das Land nun durchstartet. Lula hat versprochen, die Armut und den Hunger zu reduzieren, deswegen ist besonders im armen Nordosten die Hoffnung groß. Hier lebt Lulas Wahlklientel, das den Ausschlag für den Erfolg gab. Die Menschen erwarten Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung. Bleiben die versprochenen Erfolge aus, kann die Stimmung sehr schnell wieder kippen. Bolsonaro hat mit über 25 Millionen Followern bei Instagram oder Twitter einen Hebel, die Stimmung im Land weiterhin zu beeinflussen und er wird sich ziemlich sicher zu Wort melden. In knapp zwei Dritteln der Fläche des Landes hatte Bolsonaro bei den Wahlen eine Mehrheit, wäre da nicht Lulas deutlicher Vorsprung im bevölkerungsreichen Nordosten.
Lula genehmigt Sonderzahlung an arme Familien in Brasilien
Gleich nach seiner Vereidigung unterzeichnete Lula eine Reihe von Dekreten. So ordnete er Sonderzahlungen an die ärmsten Familien an, verlängerte die Steuerbefreiung für Kraftstoffe, ließ den Kampf gegen die Abholzung des Regenwaldes wieder aufnehmen, reaktivierte den Amazonas-Fonds und verbot den Bergbau in Umweltschutzgebieten.
Um seine Ziele zu erreichen, hatte Lula ein parteiübergreifendes breites Bündnis geschmiedet. Damit alle politischen Parteien, Bewegungen und die Zivilgesellschaft, die ihn im Wahlkampf unterstützt haben, auch mit Posten und Pöstchen belohnt werden konnten, hat Lula insgesamt 37 Ministerien geschaffen - eine stolze Anzahl. Nun wird er dafür sorgen müssen, dass diese reibungslos miteinander zusammenarbeiten. Das aber ist noch das kleinste Problem beim Neustart. (mit dpa)