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Brandenburg: Nach dem Brandanschlag herrscht Stillstand im Tesla-Land

Brandenburg

Nach dem Brandanschlag herrscht Stillstand im Tesla-Land

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    Arbeiter errichten eine provisorische Baustraße zu einem Strommast, der nahe der Tesla-Autofabrik gebrannt hat.
    Arbeiter errichten eine provisorische Baustraße zu einem Strommast, der nahe der Tesla-Autofabrik gebrannt hat. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Ein billiger Besenstiel versperrt die Eingangstür von Elon Musk "Gigafactory". Das Metallding mit dem grünen Kunststoffgriff ist durch die Stangen der doppelflügeligen Tür gesteckt. Niemand darf durch, nicht zur Rezeption, erst recht nicht ins Innere des Tesla-Werks im brandenburgischen Grünheide. Der provisorische Riegel wirkt wie das sichtbare Zeichen des Schocks und der Ratlosigkeit, die beim Elektroautobauer herrschen, seit ein Brandanschlag die gesamte Produktion lahmgelegt hat. 

    Der Eingang zur Gigafactory ist provisorisch versperrt.
    Der Eingang zur Gigafactory ist provisorisch versperrt. Foto: Bernhard Junginger

    Der Betrieb auf dem riesigen Komplex ist zum Erliegen gekommen. Es könnte noch bis kommende Woche dauern, bis er wieder anläuft. Und mit jedem Tag, an dem hier keine neuen "Model Y" fertig werden, steigt der finanzielle Schaden. Schon jetzt ist von einem dreistelligen Millionen-Euro-Verlust die Rede. Manche Arbeiter sind trotzdem gekommen, stehen am gleißend hellen, aber frostigen Mittwochmorgen in kleinen Grüppchen auf dem Vorplatz zusammen. Rauchen, diskutieren. Als Journalisten auf sie zugehen, verstummen sie schlagartig. Die Lippen zusammengepresst, mit einer beschwichtigenden Geste, deutet einer an, dass ihnen offenbar streng verboten wurde, Auskünfte zu geben. Vier Kleinbusse der brandenburgischen Polizei stehen auf dem Parkplatz, auch die Beamten wollen sich nicht äußern. "Hier geht heute nichts mehr", sagt ein Lieferant, bevor er wieder in seinen Transporter steigt. 

    Das Örtchen Erkner kennen Berliner vor allem als Endhaltestelle der S-Bahnlinie 3. Dort, unweit von Grünheide, hatte am Dienstagmorgen ein Strommast gebrannt. Es kam zu einem Stromausfall in mehreren angrenzenden Wohngebieten, Tausende von Haushalten waren betroffen. Im Logistikzentrum einer großen Supermarktkette drohten frische Lebensmittel zu verderben, weil die Kühlkette unterbrochen wurde. Und im Tesla-Werk am Rande der Autobahn A10 musste man die Produktion stoppen und konnte sie auch dann nicht wieder aufnehmen, als in den Privathaushalten der Umgebung nach einigen Stunden die Energieversorgung hergestellt war. Offenbar dauert es, die hochkomplexen Anlagen, in denen etwa mit flüssigem Aluminium hantiert wird, wieder hochzufahren. 

    Die Polizei geht von Brandstiftung aus, der Staatsschutz des Landeskriminalamts aus Potsdam ermittelt. Die vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestufte Gruppierung "Vulkangruppe" hat sich inzwischen zu dem Anschlag bekannt. In einem Bekennerschreiben, das die Behörden für authentisch halten, heißt es: "Wir haben heute Tesla sabotiert." Ziel sei "der größtmögliche Blackout der Gigafactory". Die Verfasser des Schreibens werfen dem US-Autobauer "extreme Ausbeutungsbedingungen" sowie eine "Verseuchung des Grundwassers" in der Region vor. Tesla verkörpere einen "grünen Kapitalismus", der verwerflich sei. Die "Vulkangruppe" wird dem anarchistischen Spektrum zugeordnet, offenbar agiert sie aus Berlin heraus. Gegründet hat sie sich den dürren Erkenntnissen nach um das Jahr 2011. Auf ihr Konto geht wohl eine ganze Reihe von Anschlägen vor allem auf Bahn-Infrastruktur, Funkmasten, Datenleitungen und Fahrzeuge in Berlin und Brandenburg. Bereits 2021 stand die Gruppe im Verdacht, einen Anschlag auf eine Starkstromleitung der damaligen Tesla-Baustelle verübt zu haben. 

    Die Sorge vor einem Imageverlust ist groß

    Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) sagte dem Sender RBB: "Erstaunlich an diesem Vorgang ist, dass die Täter sehr genau wussten, wo es besonders sensibel ist." Der Fall hat eine Debatte über die Verwundbarkeit von kritischer Infrastruktur ausgelöst, weckt Sorgen vor einem Imageverlust des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Ein Sprecher von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betont am Mittwoch die "hohe kriminelle Energie", die die Täter bewiesen hätten. 

    Tesla-Chef ist der exzentrische südafrikanisch-kanadisch-amerikanische Unternehmer Elon Musk, der als einer der reichsten Menschen der Welt gilt. Zum Firmenimperium des Tech-Milliardärs gehört auch der Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter. Auf dem schrieb Musk über die Brandstifter: "Das sind entweder die dümmsten Öko-Terroristen der Welt oder sie sind Marionetten derer, die keine guten Umweltziele haben." Seit 2022 produziert Tesla in seinem einzigen europäischen Werk im 30 Kilometer südöstlich von Berlin gelegenen Grünheide sein kompaktes Elektroautomodell "Y", bis zu 5000 Exemplare pro Woche. Nach Firmenangaben sind rund 11.000 Menschen dort beschäftigt. Der Bau der rund 5,8 Milliarden Euro teuren Anlage war von massiven Protesten begleitet worden. Umweltschutzorganisationen kritisierten die Abholzung von Wald, den Flächenverbrauch und vor allem den immensen Bedarf an Grundwasser für die Autofertigung. 

    Seit bekannt wurde, dass Tesla sein 300 Hektar großes Werksareal um einen Güterbahnhof, zusätzliche Lagerhallen und einen Betriebskindergarten erweitern will, regt sich neuer Protest. Denn dafür müssten weitere rund 100 Hektar Wald gerodet werden. Zwar handelt es sich beim Großteil offenbar um Kiefern-Monokulturen, doch der Flächenverbrauch ist umstritten und verschärft die Sorgen um die Versorgung mit dem in der Region so knappen Trinkwasser. 

    Das Protest-Camp unweit des Tesla-Werks.
    Das Protest-Camp unweit des Tesla-Werks. Foto: Bernhard Junginger

    Am Bahnhof Fangschleuse nahe dem Tesla-Werk hält der Regionalexpress von Berlin nach Frankfurt/Oder. Mehrere jüngere Frauen und Männer steigen aus, behangen mit Rucksäcken und wasserdichten Packtaschen. Zu Fuß geht es wenige hundert Meter in ein Waldstück. Hoch über dem mit Kiefernnadeln bedeckten Boden hängen Plattformen aus Holz und ganze Baumhäuser unter den Wipfeln. Ein schwarz gekleideter, vermummter Mann gleitet an einem Flaschenzug fast lautlos zu Boden, wie ein Ninja-Kämpfer aus einem Actionfilm. Zwischen den Bäumen schimmern silbrig die Kuppeln von Iglu-Zelten, unter einem blauen Planendach sitzen zwei junge Frauen und rauchen. In der Nacht war das Thermometer unter den Nullpunkt gefallen, "im Schlafsack war es kalt", sagt eine. An einer Kochstelle wird dampfender Haferbrei in Plastikschalen geschöpft. In der Mitte der provisorischen Siedlung sitzen etwa 25 Personen, manche mit Tüchern vor dem Gesicht im Kreis. Beim morgendlichen Plenum werden die Aufgaben für den Tag verteilt, wer zaubert aus den gespendeten und mitgebrachten Lebensmitteln ein veganes Mittagsmahl, wer hilft beim Bau weiterer Baumhäuser, wer kümmert sich um die Latrinen? Es gibt viel zu klären im Protestcamp, das vor etwa einer Woche entstanden ist. 

    Auch Lützerath-Veteranen protestieren in ihren Baumhäusern

    Robin Sommer, so will die junge Frau mit der dunklen Wollmütze und dem blauen Halstuch genannt werden, etwa ist für die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative "Tesla stoppen" zuständig. Sie verweist auf eine gemeinsame Erklärung der Bewohner des Protestdorfs, wonach man erst aus der Presse von dem mutmaßlichen Brandanschlag und dem Bekennerschreiben der "Vulkangruppe" erfahren habe. Bedauert werden auch die Folgen des Stromausfalls für die Menschen in der Region. "Unsere Protestform ist eine andere, wir stehen mit unseren Körpern und unseren Baumhäusern für unsere Ziele ein", sagt Robin Sommer. Die Tesla-Gigafactory stehe für eine "Vielzahl von Problemen des Kapitalismus", sagt die junge Frau, die nach eigenen Angaben 25 Jahre alt ist, in Berlin wohnt und dort als Sozialarbeiterin Geflüchteten hilft. Die Tesla-Erweiterung gefährde den Klimaschutz und bedrohe die Trinkwasservorräte. 

    Die Sprecherin der Initiative "Tesla stoppen" sagt: " "Unsere Protestform ist eine andere, wir stehen mit unseren Körpern und unseren Baumhäusern für unsere Ziele ein."
    Die Sprecherin der Initiative "Tesla stoppen" sagt: " "Unsere Protestform ist eine andere, wir stehen mit unseren Körpern und unseren Baumhäusern für unsere Ziele ein." Foto: Bernhard Junginger

    Dass in der nahen Fabrik Elektroautos entstehen, spiele für sie keine Rolle. Vielmehr sei der "Wechsel zum E-Auto für Klima eine grüne Lüge des Kapitalismus". Die Alternative seien "bessere öffentliche Verkehrsmittel für alle". Wie sie selbst seien viele der rund 80 Leute im Camp schon bei den Protesten gegen den Braunkohleabbau im nordrhein-westfälischen Dorf Lützerath und gegen den Autobahnbau im Danneröder Forst in Hessen aktiv gewesen. Beide Besetzungen waren schließlich von der Polizei gewaltsam beendet worden. Aktuell habe die Polizei signalisiert, dass das Camp bis Mitte März geduldet werde. Aber danach werde die Gruppe "natürlich nicht" freiwillig weichen. Denn hier gehe es auch darum, Tesla-Besitzer Elon Musk, "der auf X rechte Narrative befeuert", entgegenzutreten und ein "Zeichen gegen die Ausbeutung von Arbeitenden zu setzen". Die Camp-Sprecherin sagt: "Wir werden auf jeden Fall bleiben." 

    Auf dem Rathausplatz der 8000-Einwohner-Gemeinde Grünheide, wo sich Karl-Marx-Straße und Friedrich-Engels-Straße kreuzen, steht Heidrun Nentwich und nimmt einen tiefen Zug von einer Zigarette. Die 66-Jährige mit der künstlich-blonden Kurzhaarfrisur ist nicht gut zu sprechen auf die Brandstifter. Aber auch nicht auf Tesla. "Stundenlang war der Strom weg, ich musste in der Dunkelheit nach Kerzen tasten, es waren ja auch zwei Altenheime und eine Klinik betroffen." Das sei ja wohl "nicht die feine Art", Strommasten anzuzünden, hoffentlich würden die Täter geschnappt. Auf die Riesen-Fabrik in ihrer direkten Nachbarschaft aber könne sie gut verzichten. "Seit die hier sind, ist für uns nichts besser geworden, die verschandeln die Landschaft und sorgen für Verkehrschaos mit all den Auto-Transportern, die uns die Straßen kaputt fahren." 

    Bei einer Einwohnerbefragung vor wenigen Wochen hat sie zusammen mit fast 3500 Mitbürgerinnen und Mitbürgern gegen eine Werkerweiterung gestimmt. Dafür waren nur knapp 1900. Doch das Votum ist für die Gemeinde nicht bindend, für Bürgermeister Arne Christiani (parteilos) überwiegen die Vorteile einer Erweiterung. An der Rathauspforte lässt die Mitarbeiterin gerade niemanden durch zu ihm. "Viele, viele Anfragen", raunt sie. Am 14. März befasst sich der Gemeinderat erneut mit den Plänen des US-Giganten. 

    Vieles bleibt unklar an diesem Märztag in Grünheide. Auch, wie lange der Besenstiel noch die Tesla-Pforte blockiert.

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