In Frankreich wächst vor dem Hintergrund des Kriegs in Nahost die Sorge vor Terroranschlägen. Nachdem am Wochenende Touristenmagnete wie das Schloss von Versailles und der Pariser Louvre zeitweise geräumt werden mussten, kam es am Mittwoch zur Evakuierung von mindestens sechs französischen Flughäfen aufgrund von Bombendrohungen oder verdächtigen Gepäckstücken. Seit dem Messerangriff eines radikalisierten 20-Jährigen in seiner ehemaligen Schule in Arras am vergangenen Freitag, bei dem ein Lehrer starb und zwei Personen schwer verletzt wurden, gilt die höchste Terrorwarnstufe "Notfall Attentat". Einer Umfrage zufolge befürchten 85 Prozent der Menschen einen "Import" des Nahostkonflikts. Laut dem Innenministerium kam es seit dem Anschlag der Hamas auf Israel zu 327 antisemitischen Straftaten.
Tatsächlich zieht seit Jahren jedes neue Aufflammen des Nahostkonflikts auch Zwischenfälle in Frankreich nach sich. Dort lebt mit rund einer halben Million Menschen die größte jüdische Gemeinschaft in Europa. Zugleich wird die Zahl der Muslime auf mindestens sechs Millionen geschätzt. Während Solidaritätsveranstaltungen für Israel großen Zulauf erhielten, wurden propalästinensische Kundgebungen mit dem Verweis auf eine drohende Störung der öffentlichen Ordnung verboten. Das verstärkte den Eindruck gerade vieler junger Muslime, es werde mit zweierlei Maß gemessen.
Präsident Emmanuel Macron bemüht sich um Ausgleich
Vor diesem Hintergrund bemüht sich Präsident Emmanuel Macron um eine ausgleichende Haltung. "Bleiben wir vereint", appellierte er in einer Fernsehansprache vor einer Woche an seine Landsleute. Einerseits verurteilte er die "Barbarei" der Hamas aufs Schärfste, rief aber zugleich Israel dazu auf, sich an internationales Recht zu halten. "Nichts rechtfertigt den Angriff auf Zivilisten", sagte er am Dienstag. 24 französische Bürgerinnen und Bürger, meist mit doppelter Staatsbürgerschaft, wurden bei dem Terror der Hamas getötet, sieben weitere gelten noch als vermisst. Von der 21-jährigen, nach Gaza verschleppten Franko-Israelin Mia Shem tauchte ein Video auf, in dem sie um ihre Befreiung flehte. Macron zufolge unternimmt das Land intensive diplomatische Bemühungen für eine Freilassung der Geiseln.
In der vergangenen Woche veröffentlichten die Verantwortlichen der christlichen Religionen, des Islams, des Judentums und des Buddhismus eine gemeinsame Erklärung, in der sie jede Gewalt verurteilten. Die Imame von Bordeaux, Paris und der Vorstadt Drancy riefen ebenfalls zu Frieden und Versöhnung auf – doch gerade Hassen Chalghoum, der Imam von Drancy, steht unter ständigem Polizeischutz, weil seine mäßigenden Worte manche seiner Glaubensbrüder provozieren.
Frankreichs Linke weigert sich, von Hamas-Terror zu sprechen
Der Vorsitzende des jüdischen Dachverbandes, Yonathan Arfi, sprach von einer "Schockwelle" für die Juden in Frankreich, die sich auch dort als Zielscheibe fühlen: Während sie nur ein Prozent der französischen Bevölkerung ausmachen, seien sie von 60 Prozent der antireligiösen Taten betroffen.
Kritik zieht auch die Linkspartei La France Insoumise auf sich, weil die Parteiführung sich weigert, beim Anschlag der Hamas von "Terrorismus" zu sprechen, und diesen zunächst nicht klar verurteilte. Inzwischen haben die Sozialisten ihre Zusammenarbeit innerhalb des links-grünen Wahlbündnisses Nupes ausgesetzt. Derweil verhält sich der rechtsextreme Rassemblement National diskret. Dessen Frontfrau Marine Le Pen hat klar Stellung für Israel bezogen. Dies sei "ein wichtiger symbolischer Schritt beim Bemühen um Normalisierung der Partei", sagt der Politologe und Extremismusforscher Jean-Yves Camus. Le Pens Vater Jean-Marie war einst wegen antisemitischer Aussagen verurteilt worden.