Herr Ramelow, wenn man sich die Umfragewerte in Thüringen anschaut, kann man sich schwer vorstellen, dass Sie Ministerpräsident bleiben können.
Bodo Ramelow: Die Umfragewerte sind schon über einige Zeit eindeutig, die AfD liegt vorne. Aber: Meine Popularität als Ministerpräsident liegt deutlich über 50 Prozent – einschließlich der konservativen Wählerinnen und Wähler. Über 50 Prozent sagen, ich soll Ministerpräsident bleiben, nicht mal 20 Prozent wünschen sich Herrn Höcke.
Viele von denen wollen aber offenbar trotzdem AfD wählen …
Ramelow: Deshalb müssen wir den Leuten klarmachen: Egal, was ihr macht, aber wenn ihr Höcke nicht wollt, dürft ihr nicht AfD wählen, auch nicht aus Protest. Ich gehe für ein demokratisches Thüringen in den Wahlkampf und werbe für eine breite Mehrheit. Ich würde mir aber auch wünschen, dass die CDU zu alter Stärke kommt. Auch sie wäre eine gewichtige Repräsentanz gegen das, was an antidemokratischen Tendenzen von der AfD kommt.
Was ist die Strategie der AfD in diesem Wahlkampf?
Ramelow: Ein Mitglied aus dem AfD-Landesvorstand Thüringen hat vor einem Dreivierteljahr auf dem damaligen Parteitag gesagt, die AfD strebe gar keine Mehrheit an. Es reicht ihr, wenn sie ein Drittel der Parlamentssitze bekommt, denn dann kann sie die, in demokratischer Verachtung von ihr sogenannten, "Alt- oder Systemparteien" vor sich herjagen. Und damit wird ganz deutlich, was das Wahlziel der AfD ist: das Parlament bloßzustellen und den Parlamentarismus von innen heraus aushöhlen. Wenn ich dann sehe, dass FDP und Grüne – Stand jetzt – nicht in den Landtag kämen, würde jedes AfD-Wahlergebnis, das knapp über 30 Prozent liegt, zum Wahl-Ziel der AfD führen.
Für wie widerstandsfähig halten Sie die Brandmauer der CDU zur AfD noch? Als es zuletzt um die Absenkung der Grunderwerbsteuer ging, haben die Union und die FDP gemeinsame Sache mit der AfD gemacht.
Ramelow: Dieser Abstimmungs-Akt war eine Machtdemonstration, die am Ende trotzdem auch die Ohnmacht der CDU zeigt. Sie gibt sich in die Hand derjenigen, die gezeigt haben, dass ihnen Regeln egal sind. Sie wollen die demokratischen Parteien desavouieren. Ich bin bei der Grunderwerbsteuer immer noch bereit, das inhaltlich mit der Union zu erklären. Ich bin dafür, jungen Familien einen Zuschuss zu geben.
Schadet die AfD dem Wirtschaftsstandort Ostdeutschland?
Ramelow: Ja. Da muss man gar nicht drum herumreden. Die entscheidenden Fragen sind, wo kriegen wir grüne Energie und Arbeitskräfte her? Ausländerfeindlichkeit, Neonazi-Konzerte, Dinge, die mit der AfD zusammenhängen, dazu die Auftritte dieser Partei, Angriffe auf Journalisten – all das erweckt den Eindruck, als ob bei uns so etwas wie rechtsfreie Räume entstehen. Ich war gerade in Vietnam und da wurde ich gefragt: Wie sehr steht ihr unseren Menschen nahe, wenn sie zu euch kommen? Deswegen bin ich froh, dass die Unternehmen nun eine Kampagne für Vielfalt beginnen. Nicht die Politik, sondern die Unternehmen machen das. Ich kann von morgens bis abends von Vielfalt erzählen, aber für einen Teil der Bevölkerung bin ich verbrannt. Aber wenn die Unternehmen sagen: Moment mal lieber Kollege, wenn an deinem Nachbararbeitsplatz der Kollege nicht aus Eritrea oder aus Vietnam oder einem anderen Land kommt, wenn der die Arbeit nicht macht, dann werden wir am Ende den Schaden haben. Und du auch. Das muss die Debatte sein.
Deutschland hat einen Rechtsruck hinter sich. So wie Sie sich äußern, haben Sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass man – wenn man es differenziert darstellt – auch mit der offenen Migrationspolitik der Linken in der Debatte durchdringt.
Ramelow: Ich habe keine Lust, mit Stammtischparolen zu hantieren. Wenn sie sagen, Abschiebung muss beschleunigt werden, dann ist das genau das. Viele Länder nehmen die zu uns Zugereisten nicht zurück. Ich habe 600 Menschen in Thüringen, die zur Ausreise verpflichtet sind. Dem einen Teil davon verbietet der Bund, überhaupt arbeiten gehen zu dürfen. Oder wir schieben dann die ab, die längst unsere Sprache gelernt haben und die schon in Betrieben fest verwurzelt sind. Warum verbiete ich denen zu arbeiten? Das ist einfach paradox, was der Bund gerade gemacht hat. Ich muss nach Vietnam fliegen und mich freuen, dass ich 80 Menschen finde, die zu uns kommen wollen, um zu arbeiten. Dabei hätte ich 600 schon vor Ort. Und: Arbeit integriert.
Die Linke hat gerade einen Parteitag hinter sich, der nach der Trennung von Sahra Wagenknecht Einheit demonstrieren soll. Wie sehr hat das Bild, dass die Linke im Bund vor diesem Parteitag abgegeben hat, der Linken in Thüringen geschadet?
Ramelow: Das hat der Linken überall geschadet. Wenn sich eine Partei, egal welche, über Monate nur mit sich selbst beschäftigt, ob jemand austritt oder nicht austritt, ob er schon ausgetreten ist, dann absorbiert das Kraft. Eine solche Partei ist überflüssig und deswegen bin ich froh, dass wir in Augsburg jetzt Klarheit geschaffen haben. Ich habe gespürt, dass dort ein anderer Geist geherrscht hat. Beim Erfurter Parteitag hatte ich einen ganz anderen Eindruck. Da hatte ich das Gefühl, man sitzt in seiner Ecke, um den anderen beim Stolpern zu beobachten und dann noch hinterherzurufen: Fall mal schneller.
Noch ein Wort zum Geleit für Sahra Wagenknecht?
Ramelow: Frau Wagenknecht ist in Thüringen geboren, in Thüringen auch immer noch verankert. Ich hätte mich gefreut, wenn sie mich dabei unterstützt hätte, ein klares Zeichen gegen Herrn Höcke zu setzen. Sie ist aber als Irrlicht unterwegs.
Würden Sie mit Wagenknechts Bündnis in Thüringen koalieren?
Ramelow: Ich habe keine Lust, an Phantom-Debatten teilzunehmen. Sie kann in Thüringen nicht kandidieren. Ihre Partei gibt es noch nicht. Was mir wirklich Sorgen macht, ist Hans-Georg Maaßen, der gerade dabei ist, eine Volksfront von rechts aufzubauen, als Thüringer CDU-Mitglied. Und die CDU hat nicht die Kraft, sich von ihm zu distanzieren. Und das 100 Jahre, nachdem in Thüringen zum ersten Mal die Tür für die Nazis geöffnet wurde. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Verfassung an die Wand fahren, weil wir uns selber gegenseitig lähmen. Und da spielt Hans-Georg Maßen derzeit eine der schlimmsten Rollen.
Was muss die Linke tun, um in einer sich immer mehr fragmentierenden Parteienlandschaft mit der CDU koalitionsfähig zu werden?
Ramelow: Die Frage stellt sich umgekehrt. Tatsächlich stimmen wir uns schon seit Jahrzehnten in Thüringen ab. Ich habe Christine Lieberknecht unterstützt, als es um die Kommunalisierung der Stromnetze ging. Ich habe mit Bernhard Vogel zusammengearbeitet, die letzten drei Haushalte in Thüringen habe ich auch mit der CDU zusammen gestaltet.
Mit der CSU wollen Sie "durch die Hölle gehen", sagen Sie. Was meinen Sie denn bitte schön damit?
Ramelow: Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten: Das habe ich seinerzeit immer zu Horst Seehofer gesagt und ihn dabei angelächelt. Ich würde mit ihm durch die Hölle gehen und ihm den Weg ins Paradies zeigen. Das hat ihn dann immer etwas verunsichert. Es geht letztlich um drei Kilometer Schiene …
… ein Streckenstück, die Höllentalbahn, zwischen Thüringen und Oberfranken …
Ramelow: … die fehlen, damit wir die 300 Lastwagen, die täglich Holz transportieren, von der Straße auf die Schiene kriegen. Die könnten dann direkt ins Werk fahren.