Sollte es für menschliche Krisen so etwas wie eine Weltrangliste geben – der Jemen stünde ganz oben. Das Land auf der arabischen Halbinsel befindet sich im Dauerkrieg. Von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet, hat sich eine humanitäre Katastrophe ihren Weg gebahnt, die von Experten als die schlimmste weltweit bezeichnet wird. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt, dass rund 16 Millionen Menschen im Jemen akut an Hunger leiden. Das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Trotzdem mussten zum Jahreswechsel wichtige Hilfslieferungen reduziert werden, weil das Geld fehlt.
Dabei verschlimmert sich die Lage in dem Land zunehmend. Wegen einer Währungsabwertung und einer gigantischen Inflation steht die Wirtschaft kurz vor dem Zusammenbruch. Weiter gehen hingegen die Kämpfe. Die Huthi-Rebellen kämpfen gegen die Regierung, internationale Mächte wie Saudi-Arabien und der Iran mischen mit. Ein Ende des Konfliktes ist nicht abzusehen – und damit auch kein Ende des Leidens der Bevölkerung. Durch den Krieg kamen dem Analyseprojekt ACLED zufolge mehr als 145.000 Menschen ums Leben. Zählt man auch indirekte Kriegsfolgen dazu, sind es laut UN eher doppelt so viele Todesopfer.
Die afrikanische Insel gerät nur selten in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Für Tiere ist das Land ein Paradies, für die Menschen ist das Leben schwierig. Nicht nur, dass die Regierung Madagaskarsimmer haarscharf am Abgrund vorbeilenkt, auch das Wetter hat die Gesellschaft jüngst schwer unter Druck gesetzt. Der Staat erlebt seine schwerste Dürre seit Jahrzehnten. Vor allem im Süden wächst auf den Feldern kaum noch etwas, die Menschen müssen sich von Kaktusblättern und Heuschrecken ernähren.
Das Welternährungsprogramm nennt die Katastrophe die erste vom Klimawandel verursachte Hungersnot der Welt – die meisten anderen Hungerkrisen sind durch Kriege oder Korruption menschgemacht. Dabei ist das Land ohnehin gequält: 90 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, es gibt kaum öffentliche Infrastruktur, nur ein Bruchteil der Bevölkerung hat Zugang zu Strom. Fast die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren ist mangelernährt.
Das neue Jahr beginnt für den Sudan, ohnehin ein geschundener Staat, mit einer politischen Katastrophe. Der ehemalige Hoffnungsträger, Präsident Abdullah Hamdok, hat das Handtuch geworfen. Wieder steht das Land unter der Herrschaft des Militärs. Wieder einmal steht das Land vor einer ungewissen Zukunft. Am Ende hatte Hamdok zwar ehrgeizige Pläne, konnte sie aber nicht schnell genug umsetzen, um sich breiten Rückhalt zu sichern. Die politischen Sorgen dürften auch erneut eine Spirale der Gewalt in Gang setzen. Schon bei den Protesten in den vergangenen Wochen, die sich gegen das Militär gerichtet hatten, waren dutzende Menschen gestorben.
Überhaupt sind die Aussichten düster. Als eines der ärmsten Länder der Welt befindet sich der Sudan in einer tiefen Wirtschaftskrise. Seit Jahren liegt die Inflation im dreistelligen Bereich. Das könnte sich noch verschärfen. Aufgrund der politischen Krise frieren viele internationale Geber wie etwa die USA ihre Hilfszahlungen ein, auch die Weltbank dreht den Geldhahn erst mal zu. Dabei ist die Situation ohnehin angespannt: Etwa 3,0 Millionen Binnenvertriebene leben hauptsächlich in der Region Darfur. Zusätzlich beherbergt Sudan rund 1,1 Millionen Flüchtlinge.
Als der Konflikt begann, blickte die Welt noch voller Entsetzen nach Äthiopien: Konnte es tatsächlich sein, dass ein Friedensnobelpreisträger zum Kriegsfürsten wird? Es konnte. Und der Konflikt um die Region Tigray im Norden des Landes ist längst nicht beigelegt, sondern weitet sich eher noch auf andere Landesteile aus. Es besteht die Gefahr, dass der Staat zerfällt. Den Preis für die Machtkämpfe zwischen Rebellen und Regierung zahlt wie überall auf der Welt die Bevölkerung. Beiden Konfliktparteien werden massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Dabei galt Äthiopien einst als Hoffnungsträger des afrikanischen Kontinents – auch ökonomisch. Wirtschaftlich ging es über Jahre hinweg bergauf, bis ethnische Konflikte in dem Vielvölkerstaat zum Sprengstoff wurden. In den Konfliktregionen Tigray, Afar und Amhara sind inzwischen mehr als fünf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Am 2. November 2021 rief die Regierung einen landesweiten Ausnahmezustand aus. Erschwert wird die Lage durch Dürren, Heuschreckenplagen und Extremwetter. Im Norden des ostafrikanischen Landes benötigen insgesamt 22 Millionen Menschen humanitäre Hilfe, so eine Erklärung des UN-Nothilfebüros.
Der Strom der Flüchtlinge aus Syrien ist deutlich schwächer geworden, damit schwindet auch das Interesse der Weltgemeinschaft am Schicksal des Bürgerkriegslandes. Dabei ist der Konflikt um Präsident Baschar al-Assad längst nicht gelöst. Zwar sitzt der inzwischen dank russischer Unterstützung wieder fest im Sattel, sein Land hat er weitgehend unter Kontrolle. Auch der Konflikt in Syrien ist schon lange aus den Schlagzeilen verschwunden.
Doch von einem normalen Leben sind die Syrerinnen und Syrer meilenweit entfernt. Die Gesellschaft ist tief traumatisiert, mehr als 500.000 Menschen haben im Bürgerkrieg ihr Leben verloren, über 6 Millionen wurden innerhalb des eigenen Landes vertrieben, weitere 5,6 Millionen Flüchtlinge halten sich in den Nachbarländern auf. Der Syrien-Sondergesandte der Vereinten Nationen zog Ende 2021eine verheerende Bilanz: „Wir können auf 2021 nur als ein Jahr des sich vertiefenden Leidens der syrischen Bevölkerung zurückblicken.“ 14 Millionen Menschen seien aktuell auf Unterstützung angewiesen – die höchste Zahl seit Beginn des Konflikts. Der Preis für Brot hat sich seit 2018 fast verzehnfacht. Doch in ihre Heimat zurückzukehren bleibt für die Millionen ins Ausland geflohenen Syrer auch gefährlich. Ihnen drohen Menschenrechtlern zufolge nach wie vor willkürliche Festnahmen, Entführungen, Folter oder gar der Tod.
Noch so ein Hoffnungsträger in dieser Liste. Mit der Wahl von Auung San Suu Kyi, auch sie Friedensnobelpreisträgerin, glaubten viele, dass das frühere Birma den Weg in Richtung Demokratie nehmen könnte. Das war im Jahr 2014. Seit dem vergangenen Jahr nun versinkt das Land im politischen Chaos, in Gewalt – und auch hier: im Hunger. Grund war ein Militärputsch. Die Armee hat Aung San Suu Kyi entmachtet und regiert mit eiserner Faust. Immer wieder gibt es Berichte über brutale Menschenrechtsverbrechen: Aktivisten überlieferten jüngst Informationen über dutzende tote Zivilisten, die aufgrund der Kämpfe aus ihren Dörfern fliehen wollten. Sie seien von Soldaten der Militärjunta getötet worden. Protest gegen die Militärregierung wird massiv unterdrückt.
Der politischen Krise folgte auch hier die Versorgungskrise: Lebensmittel und Treibstoff sind so teuer geworden, dass sie für viele Menschen kaum mehr erschwinglich sind. Die EU hat seit dem Putsch Exportbeschränkungen erlassen und Sanktionen unter anderem gegen Mitglieder des neuen Führungsapparats und mehrere Firmen verhängt. Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Aussichten sind wenig erfreulich: Die Opposition des Landes will gegen das Militär ankämpfen, das hofft auf Unterstützung aus China. Der Konflikt könnte also weiter eskalieren.
Noch in den 1980er Jahren kurbelte die Ölindustrie das Wirtschaftswachstum des südamerikanischen Landes an. Heute steckt das Land in einer tiefen politischen, wirtschaftlichen und humanitären Krise. Fast wie ein besonders schlechter Streich des Schicksals mutet es da an, dass in Venezuela selbst das Benzin knapp ist. Millionen Venezolaner haben ihre Heimat inzwischen verlassen, Experten sprechen längst von einem Massen-Exodus.
Prognosen des Internationalen Währungsfonds zufolge wird Venezuela das Jahr mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen in der Region beenden: 1627 US-Dollar – das liegt selbst hinter dem von Erdbeben geplagten Haiti mit 1690 US-Dollar. Das Bruttoinlandsprodukt ist zwischen 2014 und 2021 um mehr als 75 Prozent gesunken. Immer wieder unterbrechen Stromausfälle den Alltag. Präsident Nicolas Maduro regiert das Land autoritär. „Mehrere Institutionen der Vereinten Nationen stellten 2020 und 2021 Anhaltspunkte für Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das Maduro-Regime fest“, analysiert das Auswärtige Amt die Lage. (mit dpa)