Frau Ministerin, während die Corona-Impfstoffe rasend schnell entwickelt wurden, gibt es immer noch kein wirksames Medikament gegen eine Corona-Infektion. Wann kommt endlich ein geeignetes Präparat auf den Markt?
Anja Karliczek: Wir haben im Rahmen des Förderprogramms zur Medikamentenentwicklung mehr als 30 Förderanträge bekommen, die jetzt von Experten geprüft werden. Es geht um die Unterstützung der Produktentwicklung vielversprechender Kandidaten hin zu einer begrenzten Zulassung. Ich kann Ihnen aber leider nicht sagen, ob und wann die Wissenschaft letztlich zu einem wirksamen und sicheren Medikament kommen wird. Das ist wirklich kein Selbstläufer.
Ist also die Wissenschaft in der Behandlung von Covid-19 gar nicht weiter gekommen?
Karliczek: Doch. Die Behandlung von Covid-19 Patienten hat seit Beginn der Pandemie große Fortschritte gemacht. Ein Beispiel dafür ist der Einsatz von bekannten entzündungshemmenden Mitteln, von denen man nun weiß, dass sie gerade bei schweren Verläufen sehr hilfreich sind.
Wissenschaftler wie Professor Hilgenfeld von der Uni Lübeck kritisieren, ihr Ministerium stecke Milliarden in die Erforschung von Impfstoffen, aber zu wenig Geld in die Medikamenten-Forschung. Was sagen Sie dazu?
Karliczek: Wir haben die Medikamentenforschung bislang schon stark unterstützt und setzen das nun auch fort. Ich bin sicher, dass die Regierung und der Bundestag das notwendige Geld zur Verfügung stellen werden. Wir sind mit Hochdruck dran. Denn es wäre ein großer Gewinn, wenn eines Tages auch spezifische Medikamente gegen Covid-19 verfügbar wären. Auch nach erfolgreichen Impfkampagnen werden immer wieder Menschen erkranken. Das Virus wird uns noch lange beschäftigen.
Aber die Summen sind doch sehr unterschiedlich…
Karliczek: Die Summen für die Förderung lassen sich nur bedingt vergleichen. Die Entwicklung von Impfstoffen ist deshalb so teuer, weil hier sehr große Probandengruppen für die Studien notwendig sind. Klinische Studien für Medikamente sind dahingehend grundsätzlich anders, weil die Forscher gezielt geeignete Patienten ansprechen können, ob diese an der Studie teilnehmen wollen. Dadurch verkleinern sich die Probandengruppen drastisch.
Sie haben es begrüßt, dass Erzieherinnen und Grundschullehrer jetzt in der Impfreihenfolge vorgezogen werden. Aber was ist, wenn es - wie bei den Pflegerinnen und Pfleger auch - eine hohe Impfverweigerer-Quote gibt?
Karliczek: Wir müssen weiterhin Überzeugungsarbeit leisten. Dazu gehört auch immer wieder der Hinweis, dass in der EU bewusst nicht der Sonderweg einer Notfallzulassung gewählt wurde. Es gab hier ein Zulassungsverfahren mit den anerkannt hohen Standards. Ich bin überzeugt, dass der AstraZeneca Impfstoff ein sicherer Impfstoff ist.
Dennoch sind die Zweifel gerade am Serum von AstraZeneca erheblich. Müssen wir dann wie bei den Masern, für diesen Bereich eine Impfpflicht einführen?
Karliczek: Nein. Ich gehe von einer hohen Impfbereitschaft aus. Außerdem würde die, die dem Impfen skeptisch gegenüberstehen, sich in ihrer Ablehnung bestätigt sehen. Das wäre kontraproduktiv.
Die Schulen und Kindergärten öffnen wieder. Was passiert, wenn die Zahlen erneut steigen? Müssen wir den Eltern sagen, dass bald wieder Distanzlernen für alle angesagt ist?
Karliczek: Ich glaube, wir haben jetzt eine ganz gute Ausgangslage, dass es in den nächsten Monaten möglichst viel Unterricht in den Schulen selbst geben kann. Sie ist besser als noch vor Monaten. Alle müssen dazu aber umsichtig sein und in dieser weiter schwierigen Lage der Pandemie vorsichtig bleiben. Wir haben aber jetzt konkrete Handlungsempfehlungen der Wissenschaft, wie der Schulbetrieb gestaltet werden muss, um Infektionen vorzubeugen. Die Lehrerinnen und Lehrer in Grundschulen können sich bald impfen lassen. Das wird zur Stabilisierung des Unterrichts beitragen. Und auch die Schnelltests werden helfen, wenn sie richtig eingesetzt werden. Aber noch einmal: Es gibt in dieser Pandemie für nichts einen Freifahrtschein. Wenn konsequent im Sinne der Infektionsprävention gehandelt wird, können für die Schulen die Spielräume aber nach und nach größer werden. Das hoffe ich nicht zuletzt im Sinne der Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern sehr.
Ihr Parteifreund Jens Spahn hatte Schnelltests für den 1. März angekündigt. JVom Hoffnungsträger zum Buhmann: Spahn wird für Corona-Politik heftig kritisiertCorona-Pandemieetzt soll es sie erst später geben, auf Geheiß von Kanzlerin Angela Merkel, heißt es. Wie haben Sie die Entwicklung verfolgt, warum die Verzögerung?
Karliczek: Es war zunächst nicht ganz klar, wann die neuen Selbsttests zugelassen werden, was sie kosten werden und auch wie viele dann zur Verfügung stehen. Es muss nun mit den Ländern geklärt werden, wie diese Tests eingesetzt werden. Das nächste Bund-Länder-Treffen ist am Mittwoch. Bis dahin werden wir Antworten auf viele dieser Fragen haben. Klar ist aber: Wenn wir die Tests haben, dann nutzen wir sie auch.
Schnell- und Selbsttests werden in der Debatte oft durcheinander geworfen, sind aber ja zwei verschiedene Dinge. Warum sind die Selbsttests für den Hausgebrauch nicht schneller gekommen?
Karliczek: Weil wir auch hier, wie bei den Schnelltests, sichergehen müssen, dass sie funktionieren. Was habe ich denn von einem Test, wenn er am Ende kein sicheres Ergebnis liefert? Also haben wir auch hier die bewährten Zulassungsverfahren eingehalten.
Die CSU schlägt ein großes Staatsprogramm für eine europäische Impfstoff- und Arzneimittelproduktion vor, um die Abhängigkeit vom Ausland zu verringern. Kann die CSU mit Ihrer Unterstützung rechnen?
Karliczek: Wir sind uns alle einig, dass wir die Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln und auch die Produktion in Europa stärken müssen. Das ist für mich eine zwingende Konsequenz, die wir aus der Pandemie ziehen müssen. Wir können uns hier die USA zum Vorbild nehmen, wo die Förderagentur Barda Milliarden Dollar in die Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln investiert, die für die öffentliche Gesundheit wichtig sind. Wenn wir so etwas in Europa hinbekämen, wäre das ein echter Gewinn.
Bleibt aber die Frage, ob der Staat den Aufbau von Produktionsanlagen mit Milliarden bezuschussen sollte?
Karliczek: Für mich ist vorrangig, die Forschung und Entwicklung neuer Impfstoffe und Medikamente zu fördern. Es gibt in der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten verschiedene Täler des Todes, wie es in der Branche heißt. Zunächst scheitern manche Entwicklungen schon daran, dass keine klinische Prüfung am Menschen begonnen wird, auch wenn bis dahin gute Ergebnisse erzielt worden sind. Und selbst wenn diese erste klinische Prüfung erfolgreich ist, sind die Hindernisse bis zur Marktzulassung oft gerade für Entwickler aus dem akademischen Bereich und kleinere Firmen sehr hoch. Hier müssen wir ansetzen, besonders wenn es um Impfstoffe und Medikamente geht, die in Notfällen schnell gebraucht werden.
Zum Abschluss eine Frage zum Koalitionspartner. Die SPD kommentiert das Geschehen von der Seitenlinie mit scharfen Worten. Spahn bekommt sein Fett weg, Ihnen wurden von SPD-Chefin Saskia Esken gerade gravierende Versäumnisse beim Ausbau digitaler Bildungsangebote in Zeiten der Corona-Krise vorgeworden. Von Politikverweigerung war da die Rede. Ihr Kommentar?
Karliczek: Geschenkt.
Das stört Sie nicht?
Karliczek: Also mal im Ernst: Wir haben noch so viel Arbeit vor uns, da will zumindest ich noch nicht in den Wahlkampfmodus umschalten, mag Frau Esken das auch anders sehen. Ich glaube auch, dass die Menschen da draußen im Moment überhaupt keinen Nerv für solche Parteipolemik haben. Die Menschen sind alle extrem gefordert und deshalb sollte die Regierungskoalition noch mindestens bis zum Sommer eine ganz solide Arbeit abliefern.
Zur Person: Anja Karliczek wurde am 29. April 1971 in Ibbenbüren geboren. Sie hat eine Ausbildung als Bankkauffrau, Hotelfachfrau und Diplom-Kauffrau. 1998 trat sie der CDU bei, 2013 zog sie in den Bundestag ein. Im März 2018 machte Kanzlerin Angela Merkel sie zur Bildungs- und Forschungsministerin. Karliczek ist verheiratet und hat drei Kinder.
Lesen Sie dazu auch:
- Ministerin Karliczek: "Impfstoff wird nach Zulassung weiter streng beobachtet"
- Grundschulen und Kitas öffnen in mehreren Bundesländern
- Schulen öffnen in Corona-Pandemie: Werden Lehrer früher geimpft?
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.