Es ist die erste große Schulstudie nach der Corona-Pandemie und die Ergebnisse sind alarmierend: Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben sich seit der letzten Pisa-Studie im Jahr 2018 nicht nur deutlich verschlechtert – die Ergebnisse sind die niedrigsten, die je gemessen wurden. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) als Initiator der Studie spricht von einem „beispiellosen Rückgang“. Ermittelt wurde diesmal die Kompetenz von 15-Jährigen in den Bereichen Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften. Der Rückgang in den Ergebnissen entspreche in etwa dem typischen Lernfortschritt, den Schüler in diesem Alter in einem ganzen Schuljahr erzielen.
Deutschland ist dabei keine Ausnahme: Tatsächlich gilt im OECD-Durchschnitt inzwischen jeder vierte 15-Jährige in Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften als leistungsschwach. Weltweit gingen die Leistungen von Schülerinnen und Schülern dort am stärksten zurück, wo die Schulen aufgrund der Pandemie am längsten geschlossen waren. Länder, die ihre Ergebnisse zumindest halten konnten, wiesen drei Gemeinsamkeiten auf: kürzere Schulschließungen, niedrigere Hürden für den Distanzunterricht und kontinuierliche Unterstützung der Schüler durch Elternhaus und Schule. Besonders stark zeigte sich das im Fach Mathematik: Dort, wo die Lehrer gut erreichbar waren, erzielten die Jugendlichen bessere Leistungen. Allerdings warnen die Bildungsexperten vor voreiligen Schlüssen. Oftmals handele es sich um länger bekannte Probleme, die durch die Pandemie nur verstärkt worden seien: Schwächen bei der Digitalisierung, Lehrermangel. Deshalb habe in vielen Ländern der Abwärtstrend auch schon vor dem Jahr 2019 eingesetzt.
Pisa-Studie 2022: Singapur ist Klassenprimus
Spitzenreiter des Pisa-Tests ist in allen drei Erhebungsbereichen Singapur, gefolgt von anderen asiatischen Staaten. Deutschland bewegt sich im Durchschnitt der 81 teilnehmenden Länder. Wie groß die Unterschiede innerhalb des Rankings sind, zeigt sich am Beispiel Mathematik: In Deutschland gehören 9 Prozent der Schülerinnen und Schüler zu den besonders leistungsstarken – in Singapur sind es 41 Prozent. 19 Prozent der Schüler in Deutschland haben schon einmal eine Klasse wiederholt – im OECD-Durchschnitt sind es gerade einmal 9 Prozent. „Klassenwiederholungen sind in leistungsstarken Systemen tendenziell weniger verbreitet“, schreiben die Studien-Autoren.
Deutschland beteiligt sich seit dem Jahr 2000 an der internationalen Erhebung. In der ersten Runde hatte das Land schlecht abgeschnitten. Danach ging es in den Pisa-Studien zwar stetig bergauf mit den Ergebnissen, aber seit ein paar Jahren sinken die Werte wieder. Außerdem stand ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen im damaligen Pisa-Zeugnis. Beides hatte große Debatten ausgelöst – und beides ist bis heute nicht gelöst. Auch diesmal zeigt die Studie: Unter anderem die Mathematik-Leistungen von privilegierten Schülern liegen deutlich über denen von Schülern aus bildungsfernen Milieus. Deutschland schneidet in diesem Feld signifikant schlechter ab als der Durchschnitt aller OECD-Staaten.
„Wir haben im Lesen, Schreiben, Rechnen ein Problem“, sagt Stefan Düll. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes lenkt den Blick hauptsächlich auf ein Detail der Studie: Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Tatsächlich haben viele der asiatischen Länder, die bei Pisa eine Spitzenposition einnehmen – wie Südkorea oder Japan – sehr homogene Gesellschaften mit wenig Zuwanderung. Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund betrug in Deutschland im Jahr 2022 26 Prozent (13 Prozent im Jahr 2012) „Unsere Schülerschaft hat sich verändert“, sagt er. „Das ist eine riesige Herausforderung“ Viele Jugendliche hätten Probleme mit der deutschen Sprache, dem müsse die Politik entgegenwirken. Bei jüngeren Kindern müsse schon in den Kitas am Spracherwerb gearbeitet werden, bei den Älteren müssten die Angebote individueller sein. „Dafür benötigen wir Lehrkräfte“, sagt Düll. Jedes Kind habe das Recht auf Bildung. Doch auch die Elternhäuser seien gefordert – sowohl was das Lernen der Sprache angehe als auch die Bereitschaft, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Schlechte Bilanz für Deutschland beim Pisa-Test
Doch nicht nur die Leistungsbilanz ist für Deutschland durchwachsen, auch eine soziale Komponente sticht ins Auge: Im Jahr 2022 gaben 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland an, mit ihrem Leben nicht zufrieden zu sein – bei der letzten Pisa-Studie im Jahr 2018 waren es noch 17 Prozent.
Der Bildungsökonom Ludger Wößmann warnt vor den Folgen einer verfehlten Bildungspolitik. "Gute Bildung ist die wichtigste Basis für unseren Wohlstand", sagt er unserer Redaktion. "Langfristig kostet ein Rückgang von 25 Pisa-Punkten, wie wir ihn gerade in Mathematik gesehen haben, Deutschland rund 14 Billionen Euro an entgangener Wirtschaftsleistung bis zum Ende des Jahrhunderts." Die Wirtschaftsforschung belege, dass die Grundkompetenzen die Basis für die späteren Einkommensmöglichkeiten der Jugendlichen und für die Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft seien. "Der offensichtliche und nachhaltige Ansatzpunkt gegen den Fachkräftemangel wäre, in die Fähigkeiten der nachkommenden Generation zu investieren", sagt Wößmann. "Unser Fachkräfteproblem wäre deutlich geringer, wenn es gelingen würde, den Kindern und Jugendlichen die benötigten Kompetenzen zu vermitteln." Gerade die Basiskompetenzen – Rechnen, Schreiben, Lesen – seien die Basis dafür, dass der Übertritt von der Schule in die Ausbildung erfolgreich gelinge.