Wenn es so etwas wie Freundschaft unter Staatsmännern gibt, dann kommen Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden diesem Zustand schon recht nahe. Mit einwöchiger Verspätung wird der Amerikaner am Donnerstagabend zu einer Art Abschiedsbesuch in Deutschland landen. Wegen des Hurrikans „Milton“ mussten die Planungen geändert werden. Sein Versprechen, den abgesagten Besuch in Berlin bald nachzuholen, klang zunächst wie eine diplomatische Floskel, war aber ernst gemeint. Die Zeit rinnt ihm gleichwohl durch die Finger: Kaum 24 Stunden wird sich Biden in Berlin aufhalten. Der Abstecher gilt deshalb nicht mehr als Staatsbesuch, sondern nur noch als offizieller Besuch. Der letzte Staatsbesuch eines US-Präsidenten wird auch weiterhin von Ronald Reagan unternommen worden sein.
Dennoch hat sich schon vor seiner Ankunft am Donnerstagabend mit der Air Force One der Takt der Hauptstadt verändert. Verlangsamung und Hektik bilden ein ungleiches Paar. Denn wenn sich Biden bewegt, heißt das für alle anderen „Stopp“. Am Freitag sind Gespräche mit Bundeskanzler Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geplant. Steinmeier zeichnet seinen Gast mit der höchsten deutschen Ehrung aus – der Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Es soll zudem ein Vierertreffen mit den Staats- und Regierungschefs der Nato-Verbündeten Deutschland, Frankreich und Großbritannien geben. Doch empfangen wird Biden auch von Demonstranten, die sich gegen die Stationierung von Mittelstreckenwaffen aussprechen.
Die Festigung der Partnerschaft mit den Verbündeten war eines der wichtigsten Ziele des Präsidenten. Insofern kommt seinem Auftritt keine drei Wochen vor der US-Wahl ein hoher symbolischer Gehalt zu. Dem Gast dürfte es auch darum gehen, sein politisches Erbe zu sichern.
Das sind die Streitpunkte im deutsch-amerikanischen Verhältnis
Dem 81-Jährigen sind die transatlantischen Beziehungen wichtig. Und er legt Wert darauf, dass die Wiederbelebung der Partnerschaft mit den Verbündeten nach den chaotischen Trump-Jahren zu seinen Erfolgen gehörte. Der Republikaner Donald Trump hat in seiner Amtszeit Deutschland nie einen bilateralen Besuch abgestattet. Lediglich zum G20-Gipfel im Jahr 2017 kam er nach Hamburg und traf dort erstmals den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Biden hat sein Gastgeschenk indes schon Anfang des Monats überreicht, als er - mit einer Eloge auf den Beitrag der deutschen Auswanderer seit 1683 zur amerikanischen Geschichte - den 6. Oktober zum „Deutsch-Amerikanischen Tag“ erklärte.
Wegen der terminlichen Verschiebung muss das Programm deutlich gestrafft werden. Der Deutschland-Aufenthalt schrumpft von drei Tagen auf einen. Auch der zunächst vorgesehene große Ukraine-Solidaritätsgipfel auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein muss ausfallen. Biden wird nach der Landung und Übernachtung lediglich den Freitag in Berlin verbringen. Schon abends will der Gast wieder zurück über den Atlantik fliegen.
Das persönliche Verhältnis zwischen Biden und Scholz gilt als sehr gut. Noch im Juli, beim Nato-Gipfel in Washington, als führende Demokraten hinter den Kulissen schon heftig auf eine Ablösung des 81-Jährigen als Präsidentschaftskandidaten hinarbeiteten, stärkte Scholz dem Präsidenten demonstrativ den Rücken und betonte, er habe diesen bei Gesprächen immer als hellwach und geistig scharf erlebt.
Auch Biden sieht China als Hauptgegner
Die nach den vier Trump-Jahren spürbar aufgeblühten Beziehungen zwischen Washington und Berlin ändern nichts daran, dass auch Biden Teile der protektionistischen Politik seines Vorgängers übernommen hat. Für öffentliche Aufträge gab er das Prinzip „Buy American“ (“kauft amerikanisch“) aus, und die milliardenschweren Förderungen durch das Klimagesetz sind auch an einen überwiegenden Fertigungsanteil in den USA gebunden.
Kaum weniger kritisch als die Republikaner sieht Biden zudem die wachsende industriepolitische Macht von China. Die amerikanischen Zölle gegen das Riesenreich behielt er bei. Den Import von selbstfahrenden Autos aus China will er auch aus Sicherheitsgründen untersagen. Dass sich die Scholz-Regierung nun gegen die EU-Zölle für E-Autos stellt, wird in Washington mit Befremden wahrgenommen. Für jede neue US-Regierung dürfte der Umgang mit China und die ökonomische Sicherheit höchste Priorität genießen. Sollte nach der Wahl aber Donald Trump im Weißen Haus einziehen, dürfte der Berliner China-Schmusekurs die Zusammenarbeit mit einer Administration, die Deutschland gegenüber ohnehin feindselig eingestellt ist, noch schwerer machen.
Auf Unverständnis stoßen in Washington die Proteste gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Dem Eindruck, dass die USA sich militärisch breit machen wolle, wird energisch widersprochen. Im Gegenteil hätte Berlin auf diese Entscheidung zur stärkeren Absicherung gegen die russische Bedrohung gedrängt. Tatsächlich rennen die linken Demonstranten in Deutschland bei Donald Trump offene Türen ein: Der isolationistische Rechtspopulist hat schon früher mit dem Abzug der amerikanischen Truppen und des militärischen Schutzschildes gedroht, wenn Deutschland seine Verteidigungsausgaben nicht drastisch erhöht.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden