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Besuch im Kreml: Seehofer bei Putin - ein Treffen auf Augenhöhe?

Besuch im Kreml

Seehofer bei Putin - ein Treffen auf Augenhöhe?

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    Der russischen Präsident Wladimir Putin empfängt den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer in Moskau.
    Der russischen Präsident Wladimir Putin empfängt den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer in Moskau. Foto: Peter Kneffel (dpa)

    Zwei Herren reden miteinander. Der eine ist so mächtig, dass er in seiner Ecke der Welt Soldaten, Kriegsschiffe und Bomber losschicken kann, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Der andere ist nur ein kleines Rad in dem großen, höchst komplizierten Getriebe, das sich „der Westen“ nennt, und hat nicht viel mehr im Gepäck als guten Willen. Was soll dabei herauskommen? Was könnte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer von seinem neuerlichen Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin im besten Fall mit nach Hause bringen? Ein Erinnerungsfoto vielleicht mit einer Botschaft für die Wähler: Seht her, ich, Seehofer, rede mit den Großen der Welt.

    Nicht wenige in Deutschland haben ihm so etwas nach seiner Moskau-Visite vor einem Jahr unterstellt. Er selbst hatte seinen Kritikern sogar zusätzlichen Stoff geliefert, weil er nach dem Treffen mit Putin allzu locker über ein mögliches Ende der Sanktionen gegen Russland plauderte. Damit, so urteilten sie, sei er Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Rücken gefallen und habe die mühsam geschmiedete Allianz des Westens gegen Putins aggressive Politik geschwächt. Dass sein Streit mit Merkel über die Flüchtlingspolitik gerade einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, verschärfte die Tonlage. Eine Zeitung bezichtigte Seehofer damals sogar, ein „nützlicher Idiot“ Moskaus zu sein – ein Etikett, das der frühere CSU-Chef Franz Josef Strauß dereinst der linken Friedensbewegung in

    Seehofer als Kurier der Kanzlerin

    Seehofer ist wild entschlossen, diesem Eindruck entgegenzutreten. Schon im Landtag tat er Anfang der Woche derlei Kommentare wortreich als Unsinn ab. Auch unmittelbar nach der Ankunft in Moskau sucht der bayerische Ministerpräsident das Gespräch mit Journalisten. Das nächtliche Büfett im Nobelhotel Ritz Carlton hätte einige kulinarische Köstlichkeiten zu bieten gehabt. Seehofer lässt es links liegen. Er will reden.

    Seine erste Botschaft dient der Vermeidung neuer Missverständnisse: Selbstverständlich sei die Reise mit Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel abgestimmt. Selbstverständlich könne über eine Aufhebung der Sanktionen erst gesprochen werden, wenn Putin in der Ostukraine einlenke und damit beginne, seinen Teil zur Umsetzung des Minsker Abkommens beizutragen. „Wir sind uns da völlig einig“, sagt Seehofer. Aber ebenso klar sei auch, „dass man darauf hinwirken muss, die Sanktionen zu überwinden“.

    Streit zwischen Merkel und Seehofer: Eine Chronologie

    31. August 2015: «Wir schaffen das», sagt Merkel über die Bewältigung der Flüchtlingszahlen. Kurz darauf lässt sie die Grenzen offen, als Schutzsuchende massenweise von Ungarn über Österreich nach Deutschland einreisen. Seehofer nennt das einen Fehler.

    9. Oktober 2015: Der CSU-Chef droht Merkel mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Rund zwei Monate später legt er das Vorhaben zu den Akten, nachdem sich ein CDU-Parteitag für eine deutliche Reduzierung der Zahlen aussprach.

    20. November 2015: Auf dem CSU-Parteitag in München brüskiert Seehofer die Kanzlerin auf offener Bühne. Er kritisiert sie fast eine Viertelstunde lang, während sie neben ihm steht.

    3. Januar 2016: Seehofer nennt erstmals eine konkrete Obergrenze: «maximal 200.000» Flüchtlinge pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

    21. Januar 2016: Wegen seiner «tiefen Enttäuschung» bezeichnet Seehofer im Sender N-TV das Vertrauensverhältnis zu Merkel als «angeknackst».

    22. Januar 2016: Merkel sagt auf dem CDU-Neujahrsempfang in Greifswald, dass die Zahl der Flüchtlinge «spürbar reduziert» werden müsse.

    10. Februar 2016: Seehofer nennt die Grenzöffnung für Flüchtlinge im Herbst 2015 «eine Herrschaft des Unrechts».

    Ende Februar 2016: Ob seine Partei Merkel wieder als Kanzlerkandidatin unterstützen werde? «Nächste Frage», sagt Seehofer dem «Spiegel».

    25. Juni 2016: Bei einer Unionsklausur in Potsdam bemühen sich Merkel und Seehofer um Einigkeit. Sie kündigen sechs CDU/CSU-Kongresse zu gesellschaftlichen Themen für die kommenden Wochen an. Bereits zuvor hatte Seehofer wieder «ein Fundament des Vertrauens» erkannt.

    Mitte September 2016: Merkel sagt der «Wirtschaftswoche», sie wolle ihren Wir-schaffen-das-Satz «am liebsten kaum noch wiederholen».

    19. September 2016: Nach dem CDU-Wahldesaster in Berlin gibt Merkel in Sachen Flüchtlingspolitik zu, «dass wir eine Zeit lang nicht ausreichend Kontrolle hatten». Seehofer begrüßt diese Stellungnahme.

    24. Oktober 2016: Seehofer sagt, dass er keine CSU-Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl anstrebt - schließt sie aber auch nicht völlig aus.

    5. November 2016: Merkel nimmt erstmals nicht an einem CSU-Parteitag teil. Ein Antrag, dass die CSU keine weitere Amtszeit Merkels unterstützen solle, fällt bei den Delegierten allerdings durch.

    20. November 2016: Merkel kündigt ihre vierte Kanzlerkandidatur an.

    24. November 2016: Der CSU-Chef macht eine Begrenzung der Zuwanderung zur Bedingung für eine erneute Regierungsbeteiligung. Später präzisiert er, dass er ohne Obergrenze lieber in die Opposition gehen würde.

    5. Dezember 2016: Ein CDU-Parteitag spricht sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Merkel will den Beschluss nicht umsetzen. Doch Seehofer ist zufrieden mit der «Gesamtentwicklung» der CDU.

    30. Januar 2017: Der CSU-Vorstand gibt einstimmig grünes Licht, Merkel auch zur eigenen Kanzlerkandidatin auszurufen.

    6. Februar 2017: In einer Sitzung beider Parteipräsidien erklärt Seehofer offiziell die Unterstützung der CSU für Merkel. dpa

    Seine zweite Botschaft betrifft die harten Realitäten in den Beziehungen des Westens zu Russland. „Die Situation ist praktisch wie vor einem Jahr, nur noch ernster“, sagt Seehofer. Noch immer gebe es keinen anderen Weg, als miteinander zu reden. „Es ist ein ständiges Vermitteln, ein ständiges Brückenbauen, ein ständiger Dialog“, sagt er. Die Vorzeichen sind alles andere als erfreulich, schlechte Nachrichten drücken die Stimmung: In der Ostukraine spitzt sich die Lage zu. Während die prorussischen Separatisten ihre Abspaltung vom ukrainischen Staatsgebiet vorantreiben, blockiert die prowestliche Führung in Kiew den Warenverkehr in den Donbass. Dem seit Monaten ohnehin stockenden Friedensprozess droht ein weiterer herber Rückschlag. Seehofers Treffen macht das nicht einfacher.

    Am frühen Abend des zweiten Tages ist es so weit. Seehofer – begleitet von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner und Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber – trifft Putin im prunkvollen Präsentationskabinett des Kreml. Es ist ein hoher, stuckverzierter ovaler Raum, leicht grün schimmernd. Vier übergroße Bronzestatuen erinnern an die Macht der russischen Zaren.

    Die Begrüßung ist freundlich, sehr freundlich sogar. Eine Umarmung Putins durch Stoiber, die vor einem Jahr in Deutschland die Irritationen über die „Neben-Außenpolitik“ der CSU noch befeuert hatte, aber unterbleibt. Nur wenige Minuten ist die Zusammenkunft noch öffentlich. Man erinnert an frühere Treffen. Sogar der legendäre eigenhändige Flug von Franz Josef Strauß nach Moskau findet Erwähnung. Putin lobt die guten wirtschaftlichen Beziehungen. Um vier Prozent seien die Ausfuhren Bayerns nach Russland im vergangenen Jahr gestiegen, während die übrigen Exporte aus Deutschland um 4,6 Prozent zurückgegangen seien.

    Dann geht es um die Kanzlerin. Seehofer überbringt dem Präsidenten ihre Grüße. Es sei ihr „ein Herzensanliegen“ gewesen, sagt er. Sie habe ihn in Telefongesprächen mehrfach daran erinnert, es nicht zu vergessen. Putin lächelt und sagt, er freue sich auf den Besuch Merkels in Russland Anfang Mai. Aus dem „Neben-Außenpolitiker“ Seehofer ist in diesem Moment der Kurier der Kanzlerin geworden. Der CSU-Chef weiß, dass ohne sie nichts vorangehen wird. Und dann gibt es da noch einen Herrn, der das wahrscheinlich gewichtigste Wort in der verfahrenen Situation haben könnte. Er ist die große Unbekannte im Kalkül aller, die eine Verständigung mit Russland und Frieden in der Ukraine herbeisehnen.

    Putin wolle Verständnis wecken für seine Politik

    Die Wirtschaftsvertreter in Seehofers Delegation sowie deutsche Diplomaten in Russland hoffen auf Merkel, die heute in Washington US-Präsident Donald Trump treffen will. Mit ihm könnte der Gesprächsfaden zwischen Russland und den USA wiederaufgenommen werden, der unter Barack Obama abgerissen war. Trump will die Russland- und Putin-erfahrene Merkel angeblich um Rat fragen – für seine eigene Haltung zu Moskau.

    Washingtons Verhältnis zu Moskau ist weniger klar definiert, als das im US-Wahlkampf aussah. Wann es zu einer Begegnung Putins mit Trump kommen wird, ist offen. Merkel hat indes reichlich Erfahrung mit dem Kremlchef. Auch Seehofer und vor allem sein Vor-Vorgänger Stoiber pflegen ein enges Verhältnis zu Putin, wie sonst wohl nur Altkanzler Gerhard Schröder. Dieser Draht soll der Bundesregierung beim Manövrieren zwischen Russland und den USA helfen.

    Der Moskauer Deutschland-Experte Wladislaw Below führt Putins enge Beziehungen zum Freistaat auf eine Reise 2006 zurück. Damals habe Putin Bayern besucht und Stoiber kennengelernt. „Die Chemie stimmte zwischen den beiden“, sagt der Politologe von der Russischen Akademie der Wissenschaften. „Seehofer hat die guten Beziehungen zu Putin von Stoiber geerbt.“ Er sei für Putin nicht nur als Ministerpräsident eines wirtschaftlich starken Bundeslandes, sondern auch als Vorsitzender einer Partei aus der Berliner Regierungskoalition interessant, meint Below. „Seehofer wird in Russland durchaus als Schwergewicht der deutschen Politik wahrgenommen.“

    Putin wolle Verständnis wecken für seine Politik, sagt Below. So seien auch die Einladungen Putins an Merkel und den neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zu verstehen, kommentiert die Zeitung Nesawissimaja Gaseta. Russland sei daran gelegen, die Beziehungen zur führenden Macht in Europa so rasch wie möglich zu normalisieren.

    Schrittweiser Abbau der Sanktionen bleibt das Ziel

    Ob das gelingt, ist angesichts der gespannten Lage in der Ostukraine fraglich. Der Ukraine-Konflikt und die Krim-Annexion bleiben die belastenden Themen zwischen Deutschland und Russland. „Putin weiß das, und er reagiert ruhig, wenn er von deutschen Politikern darauf angesprochen wird“, sagt Below. Umso besser dürften in Putins Ohren Seehofers Worte klingen, der an seiner Meinung festhält: „Ein schrittweiser Abbau der Sanktionen muss das Ziel bleiben.“

    Das betont der Ministerpräsident auch am Abend nach der Unterredung im Kreml, die immerhin fast zwei Stunden gedauert hat. Es sei ein „sehr klares, intensives und ernsthaftes Gespräch gewesen“, sagt Seehofer und deutet auch gleich recht freimütig an, dass es einen erfreulicheren und einen ernsteren Teil gegeben hat. Erfreulich, weil es zwischen Bayern und der Stadt Moskau Vereinbarungen über eine weitere Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur geben werde.

    Der zweite Teil war unzweifelhaft schwieriger. Seehofer sagt, er habe bei Putin noch einmal intensiv für die Umsetzung des Minsker Abkommens geworben. „Der russische Präsident hat erklärt, dass er zu diesem Abkommen steht.“ Und er fügt hinzu: „Er hat gesagt: ohne Wenn und Aber.“ Seine Schlussfolgerung für die Politik der nächsten Zeit lautet: „Wir müssen alle Kräfte unterstützen, dass es auch real zu einer Umsetzung kommt.“

    Mehr will Seehofer öffentlich nicht sagen. Damit ist klar: Der Diskurs mit dem mächtigen Mann im Kreml endet in der entscheidenden Frage genau dort, wo er angefangen hat. Aber die Herren haben miteinander geredet, der Gesprächsfaden scheint zu halten. Ganz nach dem Mantra von Stoiber, dass nichts anderes helfe als reden, reden, reden. Ob das Treffen ein Mosaikstein in Richtung Frieden war, das wird erst die Zukunft zeigen. mit dpa

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