Der Gewinner der Berlin-Wahl braucht einen Verlierer, um zu gewinnen. Und die große Verliererin der Berlin-Wahl träumt davon, Gewinnerin zu werden. Voilà – die Hauptstadt hat gewählt und die Berliner wissen nicht, wer ihr künftiger Bürgermeister sein wird. Die (Noch)-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) klammert sich an einen Strohhalm. "Wir sind im Wahlkampf angetreten, dass das Rote Rathaus rot bleibt. Das war das Ziel", sagte sie in der Wahlnachlese im Willy-Brandt-Haus.
Andererseits sprach sich Giffey nicht dezidiert für eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün aus. Sie werde zunächst Gespräche mit CDU-Spitzenmann Kai Wegner führen. Die Regierende schloss auch nicht aus, in ein Kabinett unter CDU-Führung einzutreten. "Wir sind diejenigen, die auch den Anspruch erheben, diese Stadt weiter mitzugestalten", erklärte Giffey. Die 44-Jährige hielt sich alles offen, um ein vorschnelles Ende ihrer politischen Karriere zu vermeiden.
Wahl in Berlin: 105 Stimmen sind Giffeys Hoffnung
Die SPD hat zwar deutlich verloren und die Bürger sind unzufrieden mit der Arbeit ihres Senats, aber die Genossen liegen unter dem Strich 105 Stimmen vor den Grünen auf Platz 2. Dieses Häuflein Stimmen würden Giffey genügen, um als Stärkste unter den Schwachen eine Neuauflage ihrer Landesregierung mit Grünen und Linken zu erlauben. Giffeys Problem ist, dass ihr Rückhalt in der Partei bröckelt. In der Presse melden sich stellvertretende Vorsitzende, Juso-Chefs und ähnliche Kaliber zu Wort und sägen am Stuhl der Chefin. Der Tenor: Wir können nach dieser Klatsche nicht weitermachen wie bisher.
Das Problem der Giffey-Gegner ist, dass die Berliner sie nicht kennen. Giffey ist das Gesicht der SPD in Berlin, die anderen Genossen aus der Berliner Führungsriege sind weitgehend unbekannt. Ein Mittelweg wäre, dass Giffey Bürgermeisterin bleibt und als Strafe für das schlechte Ergebnis den SPD-Landesvorsitz abgibt. Ihre härteste Probe steht ihr in den eigenen Reihen bevor.
Unterstützung bekommt Giffey von ihrer bisherigen Verkehrssenatorin und Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Sie verzichtete am Montag auf den Anspruch, selbst nach der Macht im Roten Rathaus zu greifen. "105 Stimmen sind 105 Stimmen." Und sie stellte klar: "Ich habe mit Franziska Giffey gut zusammengearbeitet, den Rest muss die SPD klären."
Im Wahlkampf hatten sich beide Politikerinnen unschön beharkt, aber Jarasch blieb dabei, das linke Dreierbündnis fortsetzen zu wollen. Als einzige Bedingung formulierte sie, dass das inhaltliche Profil der Landesregierung nachgeschärft werden müsse. Die 54-Jährige konnte bislang wenig bei der Verkehrswende und dem Klimaschutz durchsetzen. Für beides mehr Gestaltungsspielraum zu bekommen, wäre der Preis, den die SPD zahlen müsste.
Der klare Wahlgewinner CDU muss als Bittsteller auftreten
Das Eigentümliche an der Wahl in Berlin ist, dass Wahlgewinner Wegner die Konkurrenz von SPD und Grünen um jeweils zehn Prozentpunkte deklassierte, aber dennoch wie ein Bittsteller auftreten muss. Wenn nicht eine der beiden Parteien ausschert, bekommt Wegner keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zustande.
Der 50-Jährige entschied sich deshalb, Sozialdemokraten und Grüne gleichzeitig unter Druck zu setzen und zu locken. "Wir haben große Probleme, große Herausforderungen, große Krisen, und die müssen jetzt abgearbeitet werden, schnellstmöglich." SPD und Grünen winken in einem Zweier-Bündnis mehr Posten als bisher, was in der Politik kein schwaches Argument ist. "Von daher glaube ich, haben wir da ganz gute Möglichkeiten, auch andere mit ins Boot zu ziehen", sagte er.
Die Landesverbände der beiden umworbenen Parteien ticken allerdings dezidiert links. Inhaltlich ist der Graben zu den Grünen noch größer, der Kampf um das Auto entzweit Grüne und CDU. Erstere wollen die Zahl der Parkplätze halbieren, das Auto aus ganzen Vierteln aussperren, während Letztere wollen, dass es so bleibt, wie es ist.
In den nächsten Tagen wird es vor allem auf Taktik ankommen. CDU, Grüne und SPD müssen alle damit rechnen, von den anderen in den Hinterzimmergesprächen ausgebootet zu werden.